Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1909

34 kostete ihn nichts, da ihm einer der griechischen Kaufleute, die sich in Mar¬ seille niedergelassen, erlaubt hatte, in seinem Magazin als eine Art Hofhund zu schlafen. Wenn das Wetter schön war. schwamm, tauchte und trocknete er sich in der Sonne; war es schlecht, so kauerte er sich in eine Ecke und schlief. Im Jahre 1824 beabsichtigte die tür¬ kische Regierung, ihre Marine bedeutend zu verstärken. Es war damals schon wie jetzt, ein Arsenal und ein Werft in Kon¬ stantinopel; aber die Osmanen verstan¬ den wenig vom Schiffbau und man mußte sich nach europäischen Künstlern umsehen. Da aber die Schiffbauer nicht zum Sultan Mahmud kommen wollten, mußte Sultan Mahmud zu den Schiff¬ bauern gehen, das heißt, er sandte einen Effendi*) vom Marinedepartement nach Marseille mit der Vollmacht, vier Fre¬ gatten durch die Schiffbauer dieser Werfte erbauen zu lassen. Da der Effendi von Stambul Carte blanche in Beziehung auf das Geld hatte und die Schiffbauer sich keinen Centime darum kümmerten, ob Griechen oder Türken die Oberhand bekämen, so machte man sich frischweg an die Arbeit, und im Frühjahr 1825 waren zwei derselben fertig, um vom Stapel gelassen zu werden Die französischen Arbeiter bemerkten, daß Demetrius der Taucher großes In¬ teresse an dem Fortschreiten des Schiff¬ baues nahm. Jeden Tag kam er auf die Werfte, wo die Fregatten gebaut wur¬ den, und saß dort stundenlang auf einer Bretterbeuge. Auch andere Griechen kamen bisweilen und schleuderten Flüche gegen die Türken und die Franzosen, die ihnen ihre Arme liehen, um Schiffe zu bauen, welche von den Ungläubigen im Kampfe gegen Christen angewendet wer¬ den sollten. An diesen Tiraden nahm jedoch Demetri selten teil. Er war ein wortkarger Mann, der ruhig auf den Brettern saß und den Arbeitern bei ihrer *) Effendi (a. d. Neugriechischen #b#sorns) ist ein Ehrentitel bei den Türken, ent¬ D. V. sprechend dem deutschen Herr. Hantierung aufmerksam zuschaute. Nie¬ mand kümmerte sich um ihn: nur bis¬ weilen warf ihm jemand mitleidig ein paar Sous zu. Endlich erschien der Tag, an welchem die erste Fregatte, „Sultani Bahri“ vom Stapel gelassen werden sollte. Halb Mar¬ seille war auf den Beinen. Der Unter¬ präfekt war zugegen, nicht offiziell, son¬ dern offiziös. Auf der Tribüne, die unter dem Stapel errichtet war, glänzte ein die schöner, eleganter Damenkreis; „Sultani Bahri“ war flaggengeschmückt und an Bord befand sich der große Effendi selbst, mit seinem Sekretär, einem Dolmetscher, seinem Pfeifenträger und dem Schiffbaumeister. Der Anblick des Ablaufens eines Schiffes gehört zu dem Großartigsten, was man sehen kann. Das Herz pocht mit den Hämmern um die Wette, die die letzten Hindernisse aus dem Wege räumen und wenn sich die mächtige Masse zu bewegen beginnt, erfaßt den Zuschauer ein banges Gefühl von Zweifel, Hoff¬ — nung und Furcht. Wenn das Schiff sich aufrichtet und wie ein lebendiges Wesen durch die Wasser streicht, jubelt alles in uns vor Freude und Bewunderung; man muß unwillkürlich laut aufschreien und sich selbst, seinen Nächsten, jeder¬ mann zu dem glücklichen Gelingen des Werkes gratulieren. Aller Augen waren auf die „Sultani Bahri“ gerichtet. Die einzige Barriere zwischen ihr und dem Wasser waren einige Holzblöcke, die von dem Schiffs¬ zimmermann weggeräumt wurden. Diese Arbeit galt früher für so gefährlich, daß Verbrechern man sie von verurteilten vollziehen ließ, welche ihre Freiheit er¬ hielten, wenn sie die Arbeit glücklich voll¬ brachten. Gleich beim ersten Hammer¬ schlag tauchte Demetri, der bislang unter der Menge gestanden, in das Wasser und schwamm in die Richtung, die die Fregatte wahrscheinlich ein¬ chlagen würde. Ein Schrei durchfuhr die versammelte Menge, als er gerade auf den Vorsternen zuschwamm, denn das Schiff hatte sich zu bewegen begon¬

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