Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

einzieht, mag das Einzugsfest mit seinem eigenen Weine feiern, der Keller des Frei¬ herrn v. Assenborn soll auch keinen Tropfen dazu liefern.“ Der alte Diener blickte seinen Herrn vorwurfsvoll an. „Entsinnen Sie sich nicht mehr, gnädiger Herr, daß gestern abends ihre Gäste die letzte Flasche aus¬ gegossen haben?“ sagte er, das graue Haupt schüttelnd. „Sie selbst gaben Be¬ fehl, daß der Keller den Trun . . ., den Herren geöffnet werden sollte.“ — „Schweig, alter Rabe!“ fuhr der Frei¬ herr zornig auf. „Was kümmert's dich!“ „Wenn aber der gnädige Herr eine Flasche Tokayer aus dem Keller seines Dieners nicht verschmähen alten 7 wollen „Sieh, sieh, du hast deinen eigenen Weinkeller? Der alte Mann schüttelte, schmerzlich lächelnd, wiederum das Haupt. „Die Flasche hat Ihre gnädige Frau Mutter mir geschenkt, damals, als mein Weib krank lag“, fuhr er fort. „Fünf hat meine 5 arme Frau getrunken, die sechste ist stehen geblieben, weil —“ „Ich weiß, deine Frau starb“, unter¬ brach der Freiherr ihn in mildem Tone. „Na, Alter, wir haben alle unsere Last zu tragen. Geh, hole die Flasche, wir wollen ie gemeinschaftlich leeren. „Ja, ja, ein jeder hat seine Last zu tragen,“ sagte der Alte, „aber die Last, die Gottes Vorsehung auf unsere Schul¬ tern legt, drückt doch nicht so schwer, wie die, welche wir uns selbst auflegen.“ (9 Ein Lächeln bitteren Hohnes glitt über die Lippen des Freiherrn. „Je älter die Leute werden, desto größere Freiheiten erlauben sie sich“ murmelte er. „Wenn der Wein ihn gesprächig macht, wird er —Aber mir eine Moralpredigt halten. was ist denn das? Feuerschein rötet den 77 Himmel „Unten im Dorfe brennt's!“ rief der Diener, der atemlos in das Gemach stürzte. „Soeben hat der Nachtwächter die Meldung gemacht, er will die Schlo߬ spritze holen.“

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