Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

die Schaffensfreude, wenn auch nicht die Kraft, und sein Anwesen, früher nett und sauber gehalten, den langsam aber stetig gewonnenen Wohlstand im äußeren über¬ all zeigend, verfiel mehr und mehr in dem Maße, als sich die fleißigen Hände des Bauers weniger regten und desto mehr er dafür grübelnd dasaß und mißmutig den Himmel anstarrte oder den unten im Tale wogenden Nebeln zusah, wie sie sich hoben und senkten, die Winkel des die Tales durchhuschten oder pfeilschnell Enns hinabflohen, dem flachen Lande zu, um demselben die nährende Feuchtigkeit zu bringen. So saß der Bauer wieder eines Abends nach kaum halbgetaner Tages¬ arbeit vor dem Hause, vergrämt im Herzen, mißmutig alles betrachtend, was da lebte und sich des Daseins freute, zwitschernd, trillernd, brüllend, gackernd, keuchend und pfauchend, schäckernd und singend, wie es eben der verschiedenen Geschöpfe verschiedene Art ist, von seinem Dasein Kunde zu geben, ehe die Nacht allen Schweigen gebietet. Der Bauer aber hatte dafür gar keinen Sinn mehr ihn ließ das alles gleichgültig, eit die Jahre und sein mit der Zeit voll¬ kommener gewordener Verstand ihn in die Geheimnisse der Natur eingeweiht hatten, die zu wissen nicht für jedermann zuträglich sind In dieser Stimmung beachtete er auch nicht das Nahen eines Greises von ehr furchtgebietender Gestalt und unendlich gütigem Wesen, der mehr den steilen Weg den Berg herauf zu schweben als zu gehen und des Stockes in seiner Rechten nicht als Stütze zu bedürfen schien. Mit forschendem Blicke betrachtete der Greis den Bauer und dessen Gehöfte und heller Unwille ob des Gesehenen überzog in dunkler Blutwelle sein mildes, gütiges Antlitz, doch schien er sich rasch zu beherr¬ schen, grüßte den Bauer, der ihm mürrisch dankte, lehnte sich leicht an den wackeligen, arg vernachlässigten Gartenzann und fragte teilnahmsvoll: „Es geht dir wohl schlecht, mein Freund?“ 107 „Möcht nit wissen, warum“, erwiderte der Bauer, unwillig den Frager ansehend, und in seinen Augen blitzte etwas wie Trotz und Stolz, „wie kommst du zu dieser Frage, Mann Gottes? Ueber des Greises sanftes Antlitz glitt bei den Worten „Mann Gottes“, etwas wie ein Schmunzeln, er strich sachte den langen, ehrfurchtgebietenden, weißen Bart und meinte gutgelaunt „Hast recht, Bauer, ich bin ein Mann Gottes — eben darum will mir die Wirt¬ schaft hier gar nicht gefallen: der Zaun vermorscht, das Dach für Wind und Regen offen, der Garten verwahrlost, die Viehställe unrein und Schmutz im Hofe und an den fast mörtellosen Mauern — bist du so arm? deines Hauses „Ich hab sonst für die Neugierde keine Antwort sagte der Bauer trotzig, „übrigens, sieh her: Dort der Wald ist mein und hier die Wiesen und drunten am Bache die Felder — könnt mein An¬ wesen von Grund aus scheuern und wohl auch erneuern, ohne Schmerzen im Sacke zu spüren darob — will aber nicht!“ Und er drehte sich gegen das Haustor hin, wo die Magd der milchspendenden Scheckin eben schmeichelnd zusprach, um sie zu bewegen, in den Stall zu gehen. „Da hast du wohl einen besonderen Grund dazu, keine Hand für dein An¬ wesen zu rühren?“ fragte ruhigen Tones der Greis, „darf ich ihn erfahren? Der Bauer schien zu überlegen, sah forschend dem Frager in das Teilnahme verratende, gütige Antlitz und er mußte Vertrauen zu dem Greise gefaßt haben, denn er erhob sich jetzt, trat knapp an den Zaun zu dem Greise hin, seufzte tief aus und sagte: „Wenn du es grad wissen willst ich es freut mich halt nichts mehr weiß doch, wann ich sterben muß! Und er sah den Greis bedeutungsvoll an. Der aber lächelte nur mild und meinte „Es weiß ja jeder Mensch, sieh her! wann er sterben muß Ich bin doch guten Mutes!“

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2