Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

54 änderung vor. War er ehedem an Sonn¬ und Festtagen der flotteste und lustigste aller jungen Burschen aus Steinhude und der Umgegend gewesen, dem es an — Spassen und harmlosen Streichen keiner zuvortun konnte, so sah man ihn jetzt selbst bei den festlichsten Gelegenheiten nicht mehr, dagegen aber stand er wäh¬ rend seiner ganzen freien Zeit bis tief in die Nacht hinein eifrig beim Web¬ stuhl, und niemand durfte ihm zusehen noch wissen, was er trieb. Sein Meister ließ ihn ruhig gewähren, er wußte ja, zu welchem Zweck Hans arbeitete. So vergingen zwei Monate, und schon grünten Wald und Feld unter dem lockenden Strahl der Maisonne, als Hans eines Sonntags wieder im Kreise seiner ehemaligen Freunde und Kamera¬ den erschien. Zwar waren die Wangen des jungen Burschen nicht mehr so frisch und rot wie ehedem, aber dafür leuchteten seine Augen in desto freudi¬ gerem Glanze, so daß wohl keiner in denselben mehr die Trauer einer un¬ glücklichen Liebe gelesen hätte; auch hatte Hans während der acht Wochen in“ seiner menschenscheuen Zuruckgezogenheil seinen fröhlichen Humor durchaus nicht verloren. Die jungen Burschen sprachen viel von dem kommenden Pfingstfeste, vom Pfingsttanze unter der Dorfmase und von dem harten Gesetz, das das Holen der Maibäume aus dem Walde bei strenger Strafe verbot. „Da werden unsere Mädchen bitter¬ böse Gesichter machen, wenn die gewohnte Maie am Pfingstmorgen vor dem Fenster fehlt!“ hieß es, nur Hans lachte in sich hinein und rief, er wüßte doch ein Mädel, das eine Maie erhalten würde. „So?“ meinte der Förster höhnisch, der auch dabei stand, „na, den Burschen wollte ich doch sehen, der aus meinem Reviere nur einen Zweig holte, beim Sankt Hubert, es sollte ihm gar übel bekommen!“ „Glaub's Euch wohl,“ erwiderte Hans finster, „daß Ihr's dem armen Burschen wenn er Euch in die Hände fiele, gar gern entgelten lassen würdet, denn im Angeben seid Ihr wohl geübt. Aber hütet Euch nur, daß Ihr vom Spionie¬ ren am Pfingstabend die dürren Knochen gesund nach Hause bringt!“ „Wollt Ihr mir drohen?“ fuhr der Rothaarige auf. „Zähmet Eure lose Zunge, Obergesell', das will ich Euch nur raten!“ Und mit bitterem Hohne fügte er hinzu: „Na, man kann Euch Eure Wut gar nicht übel nehmen; wenn ich vom hübschesten Mädel in Steinhude einen Korb bekommen hätte, so würde ich mich auch, wie Ihr, acht Wochen nicht sehen lassen! „Daß dich die Pest hole, vermaledeiter Schurke!“ schrie Hans vor Zorn knir¬ schend auf. „Was hast du hier in unserer Gesellschaft überhaupt zu suchen, du elender Angeber, du! Seht, Bursche, wandte er sich an die umstehenden jungen Leute, „der Rote da ist's gewesen, der mich bei Meister Hangörg anzuschwär¬ zen versucht hat! Ein unwilliges Murren lief durch den Kreis der Burschen, und als der rote Förster überall finstere Blicke und drohende Geberden sah, schien es ihm rätlich, den Schauplatz so bald als mög¬ lich zu verlassen. „Na, wer von euch überflüssigen Mut hat, der versuche es nur einmal mit dem Maienholen, an mir soll's schon nicht fehlen!“ sagte er mit höhnischem Lächeln hing die Büchse über die Schulter und schritt dem Walde zu. „Und Dortchen Wambach erhält doch eine Maie!“ rief ihm Hans erregt nach, „da soll mich doch so ein jämmerlicher Kerl nicht davon abhalten!“ O „Ich bitte dich um alles in der Welt, Hans!“ sagte einer der Freunde ab¬ mahnend, „lass’ dich mit dem Roten nicht ein, geh' nicht in den Wald!“ „Gewiß tu' ich's, Bruderherz!“ ver¬ setzte dieser bestimmt, „ich weiß übrigens schon einen Ort am See, wo junge Bir¬ ken stehen und an den der Schuft gewiß nicht denken wird. Es ist der erste Maienbaum, den ich meinem Mädchen mit Recht setzen darf, denn mein Meister¬

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