Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

30 Tochter des Hauses, der unglückseligen Königin des heutigen Abends zu eröffnen und blickte sich deshalb vorsichtig um, um diesen gefürchteten Moment durch eine Verzögerung möglicherweise zu um¬ gehen und seinem Schicksal nicht etwa geradezu in die Arme zu laufen. Da er seinen Vater und Herrn Forster augen¬ scheinlich auf ihn harren sah, richtete er seine Schritte rasch nach der anderen Seite des Saales, wo er in der Ent¬ fernung einen Schimmer seiner süßen Rose vom Pfarrhause zu erspähen glaubte. Sie war es — sie mußte es sein, war das nicht diese sinnverwirrende Lockenpracht seiner Waldeselfe, seiner Stromnixe vom Boot, ihre feine, zarte Gestalt, ihre bezaubernden Wendungen — sie war es, sie mußte es sein. Als er näher kam und sie in der Tat erkannte, blieb er glückselig lächelnd einen Augen¬ blick vor ihr stehen und vergaß Vater, Schwiegervater, Fräulein Alice, den glänzenden Ballsaal, die ganze Welt, so bezaubernd sah sie aus. Sie trug ein ein¬ faches weißes Kleid, dessen zahllose Tuffs mit wilden Rosensträußchen be¬ festigt waren, dieselben Heckenblüten in den Locken — die leibhaftige Verkörpe¬ rung ihres sonnigen, duftigen Namens und des goldigen Maitages von heut'. Jetzt blickte sie um sich — sah ihn, lächelte und grüßte, obgleich sie von einem dichtgedrängten Kreise von Herren und Damen umgeben war, den der Ritt¬ meister mit raschem Mute und kriegeri¬ scher Taktik sofort durchbrach, um sich mit einer tiefen Verbeugung ihr gegen¬ überzustellen — und den Gedanken an Pflicht und Alice weit, weit hinter sich lassend, wagte er es, sie an das Ver¬ sprechen eines Tanzes zu erinnern. Er wurde von der Umgebung fast sprachlos ob dieses Ansinnens angestarrt, aber er sah nichts, nichts außer dem raschen Erröten der still Geliebten. „Ich glaube, zu diesem Tanze bin ich versagt,“ erwiderte sie, „wenigstens bat mich mein Vater, denselben einem Freunde zu reservieren, auf dessen Ankunft die Ge¬ sellschaft augenblicklich noch wartet.“ Alles weitere wurde durch das rasche Hinzutreten Graf Arnsteins und Herrn Forsters abgeschnitten. „Gut gemacht,“ rief der erstere seinem Sohne zu, „du hast dich selbst vorgestellt.“ „Es wartet alles, wollen Sie Ihre Stellung einnehmen?“ fügte Herr Forster hinzu, indem er seine Hand leicht auf den Arm des Rittmeisters legte und auf die schon halb formierten Quadrillen hindeutete. „Gib ihr den Arm“, flüsterte Arnstein „ dem verblufften Sohne nur noch zu. Einen Augenblick sah er sich um, eine andere Dame wie Rosa Mengen war nicht da, er brauchte den Ball also doch nicht mit der Tochter des Hauses zu er¬ öffnen, mit strahlendem Lächeln hielt er der Geliebten seine Hand hin. Sie blickte sich erstaunt nach ihrem Vater um, hielt aber von demselben ein so entschieden zustimmendes Kopfnicken, daß sie ihre Hand in die seine legte, ihn selbst zu einem freien Platz in der großen Quadrille führend. Die Musik begann und sie tanzten schon, ehe sie sich hin¬ reichend gesammelt hatten, ein Wort mit¬ einander zu sprechen. Für den Rittmeister war alles um ihn her ein Wirrsal; er der gewandteste Kavalier, der flotteste Tänzer im ganzen Regiment, vergaß die Pas, verwechselte die Touren und verlor vollständig den Kopf. Die Dame war natürlich viel gefaßter und half ihm aus; in der ersten Pause aber sagte er, seine □ Tanzerin ganz verwirrt anblickend: „ „Für mich ist noch alles ein Ratsel ich verstehe von dem allen nichts.“ ∆ „Ich ebensowenig,“ entgegnete sie kühl „vielleicht liegt es aber auch daran, daß wir einander nicht vorgestellt sind. Darf ich um Ihren Namen bitten?“ „Eduard Arnstein“, stotterte er hastig und erglühend hervor. „Aber nicht wahr, Sie werden sich vom Schein nicht trügen lassen, Fräulein Mengen, Sie kennen nur die Oberfläche der Dinge“, fügte er fast flehend hinzu. „Ich habe, seit ich das Vergnügen habe, Sie zu kennen, nicht mehr einen einzigen Gedanken an ihre Freundin Alice gehabt. Die Pflicht allein

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