Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

10 ben, vollends nach der Stelle hin, an welcher der Knabe stand. „Nicht hier!“ flüsterte dieser eifrig und ängstlich; „es darf uns niemand hören!“ und damit zog er nun den jungen Mann nach der Ecke der Scheuer und duckte hinter einem großen Regenfaß nieder, so daß er den auf der Straße Vorüber¬ gehenden nicht sichtbar war. Jetzt holte er tief Atem und sagte: „Du, Fritz, ich will dir etwas sagen, du bist immer gut gegen mich gewesen und darum sollst du wissen, was sonst kein Mensch weiß. Peter hat's gethan!“ „Was getan, Tönjes? Wovon sprichst du denn eigentlich?“ fragte Fritz, aufs äußerste erstaunt. „Das mit den Immen. Aber du darfst es keinem Menschen wieder sagen, daß ich es dir verraten habe. „Mit den Immen?“ zuckte der junge Mann, dem das Blut siedend heiß in den T Kopf stieg, auf. „Tonjes, sag' mir ordent¬ lich und ausführlich, was du davon weißt!“ „Aber sagst du es auch niemand wie¬ der?“ forschte der Knabe, ihn mit seinen blöden Augen ängstlich ansehend. „Nein! nein! gewiß, ich will dich nicht in Unangelegenheiten bringen. Aber nun ag mir auch alles, wie es damit zusam¬ menhängt!“ „Peter hat Honig und Mehl auf unsere Bodenkammer gestellt, daß eure Immen den Brei fressen und davon sterben soll¬ ten. Das haben sie auch getan, um die Näpfe herum lag's ganz voll von toten Immen und die anderen sind dann bei euch gestorben.“ „Wie weißt du das?“ stieß Fritz keu¬ chenden Atems hervor. □ „Ich wußte immer nicht, warum er so oft auf den Boden ging“, berichtete —. Tonjes. „Da wollte ich einmal sehen, was er eigentlich auf der Kammer machte und schlich ihm leise auf den Zehen nach. Ganz deutlich hab ich's gesehen, wie er die toten Immen zusammenkehrte — es war eine ganze Schaufel voll. Und dann chüttete er wieder Mehl in die Näpfe; ich weiß, daß es Mehl war, denn er hatte tags vorher welches aus der Küche ge¬ holt auf unserem bunten irdenen Teller und den hatte er nun oben bei sich. Und zuletzt goß er Honig darauf und rührte alles gut durcheinander. Die Immen kamen schon dicht in das offene Fenster hereingeflogen, während er noch beim Rühren war. Sie rochen den Honig wohl chon von fern.“ „Und dann?“ fragte Fritz mit beben¬ der Stimme. „Ja, dann bin ich wieder hinunter¬ gegangen, damit er mich nicht sähe. Aber die Treppe knarrte und knackte auf ein¬ mal so laut, da kam er mir wütend nach und fand mich, als ich beinahe unten war. Er packte mich hier hinten am Kra¬ so! — und fragte mich, wo ich gen gewesen wär, und als ich ihm sagte, ich hätte nach oben gewollt, wäre aber wie¬ der umgekehrt, da schüttelte er mich und agte, ich könnte Gott danken, daß ich nicht bis nach oben gekommen wäre, denn er würde mir den Hals umdrehen, wenn er mich fände, wo ich nichts zu suchen hätte. Ich hatte denn auch Angst vor ihm und bin nicht wieder nach oben gegan¬ gen, aber ich sah oft genug, wie er mor¬ gens auf die Bodenkammer ging und die Fenster aufsperrte, damit die Immen, die sonst immer in unserenLinden sind, hereinfliegen konnten. Die Tür hat er dann aber jedesmal sorgfältig verschlos¬ en und den Schlüssel abgezogen. „Und warum sagst du mir das just heute, Tönjes?“ fragte Fritz, auf dessen Gesicht Röte und Blässe miteinander wechselten. „Ha, ich dachte, du solltest ihm auch einmal etwas wieder dafür antun“, sagte Tönjes, und ein Ausdruck von Rachsucht □ blitzte in seinen Augen auf. „Ich wollte heut zur Kirmes, aber Peter war voll Wut und Bosheit, weil er sich den Fuß vertreten hatte und nun selber nicht hin konnte, und darum wollte er mir das Vergnügen denn auch nicht gönnen. Da hab' ich mir gleich gedacht, siehst du, heute nachmittag, Fritz Jensen, so sollst du's ihm sagen, was es mit dem Ster¬ ben von all den Immen auf sich hat. Ich

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