Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

6 Zwei Tage darauf, in grauer Mor¬ genfrüh, wanderte er rüstigen Schrittes über die Heide, dem mühevollen Werk entgegen, das in dem fremden Lande seiner harrte. Von Dore hatte er noch in dieser Morgenstunde den letzten Abschied genommen; aber getrennt hatten sich beide voll des besten Mutes; als er jetzt auf dem schmalen Fußpfade, der sich nach Westen hin durch die blühende Heide zog, dahinschritt, kam ihm noch einmal die Erinnerung daran, daß Dore sich ängstige wegen Peter Nettelmeiers Feind¬ schaft gegen ihn, und leise vor sich hin¬ lachend, schüttelte er den Kopf. * * * Nun war fast ein halbes Jahr ver¬ gangen und die Oktobersonne beschien die Heide, welche ihren Blütenschmuck längst abgestreift hatte und wieder ein¬ örmig grau dalag. Der Sommer hatte den Bewohnern des Heidedorfes die gewohnte schwere Arbeit, mit welcher sie dem unergiebigen Boden seine Früchte abringen mußten, gebracht; aber er hatte auch all diesen Schweiß und Fleiß gelohnt, denn seit langen Jahren erinnerte man sich keiner o reichen Ernte. Die Kartoffeln und der Buchenweizen waren in großer Fülle ein¬ geheimst worden und befriedigter, als seit langer Zeit, blickte man dem Winter entgegen. Nur in dem Hause des alten Imkers Jentzen sah es trübe und traurig aus. Der alte Mann hatte Unglück gehabt mit einen Bienen. Zu Tausenden starben ihm die Tierchen weg; die Stöcke, anstatt wie sonst um die Herbstzeit, von Woche zu Woche schwerer zu werden und sich mit Honigwaben zu füllen, wurden immer leichter, weil der „Völker“ von Tag zu Tag weniger wurden. Vor den Flug¬ löchern lagen ganze Haufen toter Bienen, und was das Schlimmste war, das Un¬ glück traf nicht nur Vater Jentzens eigene Bienen, sondern auch die ihm zur Pflege und Obhut anvertrauten fremden Stöcke. Kamen die Leute, in der Erwartung einer reichen Honigernte, ihr Eigentum wieder zu holen, so sahen sie sich bitter ent¬ täuscht, wenn sie die Körbe in so trauri¬ gem und verödetem Zustand wieder fan¬ den. Da setzte es denn Verdrießlichkeiten und Vorwürfe, ja einige drohten sogar mit Klage wegen unverantwortlicher Ver¬ nachlässigung ihres Eigentums. „Ich weiß nicht, woran es liegt,“ ver¬ teidigte sich dann der alte Mann kummer¬ voll. „An Achtsamkeit hab' ich's weiß Gott, nicht fehlen lassen! Von früh bis spät habe ich nach den Stöcken gesehen; so oft ein neuer Schwarm auszog, war ich bei der Hand, ihn gehörig in einen Korb zu fassen; das Immenschauer hab' ich vor Wind und Regen geschützt, so gut ich's nur wußte und verstand — ich kann und kann mir's nicht erklären, wie es zugeht, daß alles vergeblich gewesen ist. Mühe genug habe ich mir gegeben den ganzen Sommer hindurch.“ „Jawohl!“ fiel dann wohl die Frau ein, „jawohl kann ich's ihm bezeugen, daß er sich keine Mühe hat verdrießen lassen! Zwei Stunden weit ist er einmal gegan¬ gen, bloß um ein eichenes Holz zu holen, das für die Kreuzstäbe in den Körlin sich am besten eignen soll.“ Der fremde Bauer, welche eben seine inhaltsleeren, mit sackleinenen Tüchern überspannten Körbe auf den Leiterwagen hob, meinte in höchst verdrießlichem Tone, das sei ihm ganz einerlei; an der gehöri¬ gen Sorgfalt müsse es doch gefehlt haben, denn von nichts käme nichts. Jean Jentzen, dessen weißer Kopf vor innerer Erregung beständig leise hin und her zitterte, schluckte ein paarmal und erwiderte dann in möglichst gelasse¬ nem Ton: „Man hat in den letzten Jahren so manches erlebt, die Krankheit unter den Kartoffeln und die Lugenseuche unter dem Rindvieh, und bei den Menschen die Cholera — und neulich war ein Fremder hier, der erzählte, am Rhein, oder wo es sonst noch war, würden alle Weintrau¬ ben welk und faul — nun denke ich mir immer, dies Jahr sind die Immen an die Reihe gekommen mit so einer Art von Pest. Die hat dann aber der liebe Gott geschickt und keines Menschen Sorgfalt hätte hingereicht, sie abzuwenden.“

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2