Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

auf die Bevölkerung der beiden Staaten. In Rußland nahm man diese Nachricht mit förm licher Apathie auf; dort war das Interesse der Bevölkerung von ganz anderen, naheliegenderen Dingen in Anspruch genommen, zudem durch die fortwährenden Hiobsposten vom Kriegsschau¬ platze für Nachrichten aus Ostasien abgestumpft in Japan dagegen lehnte sich die Bevölkerung gegen die zu milden Friedensbedingungen auf sie konnte sich insbesondere mit dem Verzichte auf jedwede Kriegsentschädigung, mit der Abtretung nur einer Hälfte der Insel Sachalin nicht ab¬ finden; es kam in allen größeren Städtenzu lebhaften Demonstrationen, welche in Tokio selbst zur Verhängung des Belagerungszustandes für kurze Zeit führten. Erst allmählich legte sich die Empörung, denn es kamen nachträglich so manch Vorteile zutage, die aus dem siegreichen Krieg und dem sonstigen Verhalten Japans sich für diesen Staat ergaben. Zu diesen gehörten der am 12. August 1905 erfolgte, aber bis nach Ab¬ schluß der Portsmouther Friedensverhandlungen geheim gehaltene Abschluß eines englisch=japani¬ schen Allianzvertrages, eines echten und rechten Schutz= und Trutzbündnisses im weitesten Sinne des Wortes, durch welches die unverzügliche Ver¬ einigung aller japanischen und englischen Streit¬ kräfte für den Fall stipuliert wird, als der Status quo in ganz Asien künftighin gefährdet werden sollte. Der Vertrag lautet auf die Dauer von 10 Jahren und bereitet allen eventuellen Revancheplänen Rußlands ein vorzeitiges Ende. Dahin gehört die faktische Geltendmachung der Oberhoheit Japans über Korea, welche in dem am 18. November 1905 zu Söul unterzeichneten Vertrage zwischen Japan und Korea zum Aus¬ druck kommt. Danach übernimmt Japan die Be¬ sorgung der auswärtigen Angelegenheiten Koreas, bis das Reich stark genug, seine Unabhängig¬ keit zu wahren; außerdem wird die Verwaltung der inneren Angelegenheiten Koreas unter die Ueberwachung eines japanischen Generalgouver¬ neurs gestellt, welcher gemäß den Anordnungen des Kaisers von Korea handelt. Dahin gehör endlich der im Dezember 1905 erfolgte Abschluß einer Konvention mit China, durch welche die Stellung Japans zu China geklärt und gefestigt wurde. Danach erhält Japan die Halbinsel Kwantung bis 1923 in Pacht; ferner übernimmt Japan die mandschurische Eisenbahn bis Chan¬ tung unter Anerkennung des Vorkaufsrechtes 71 Chinas für den Fall und von dem Augenblicke an, als auch Rußland den nördlichen, über Chantung hinausgehenden Teil der Eisenbahn an China zurückerstattet. Japan darf nach dieser Konvention Eisenbahnwachen in den Garnisons¬ orten entlang der Bahnstrecke unterhalten, ferner die Eisenbahntelegraphen genau so lange in Be¬ sitz halten als die Eisenbahnlinien selbst, endlich Konsulate und bewaffnete Konsulatswachen in Newchang, Mukden, Antung, Kirin, Chantung und mehreren anderen Orten unterhalten. * * * Haben wir uns bis nun mit den einzelnen Phasen der Friedensverhandlungen befaßt, welche dem am Heldentaten und Gräueln so reichen mandschurischen Kriege ein Ende bereiten sollter und mit dem Portsmouther Friedensvertrage das erfreulichste Lichtbild der diesmaligen Berichts¬ epoche erwähnt, so soll nun der schlimmen Ge¬ genstücke gedacht werden, als welche die eingangs erwähnten, durch Naturgewalten herbeigeführ¬ ten Katastrophen bezeichnet werden müssen. Den entsetzlichsten Eindruck von allen diesen Katastrophen rief wohl die Katastrophe von Courriéres hervor, u. zw. nicht nur wegen der Zahl der Menschen, welche derselben zum Opfer gefallen sind, nicht nur weil ihr bisher in der Geschichte des Bergbaues kaum ein Analogon zur Seite zu stellen ist, sondern und fast in erster Reihe, wegen der grauenvoller Episoden, die sich dabei abspielten, und wegen der ungelösten Rätselfrage, wie viele der in den Gruben von Courrières zugrunde Gegangener noch hätten gerettet werden können, wenn ener¬ gische und ausgiebige Hilfe zur rechten Zeit zur Hand gewesen wäre. Am 10. März 1906 kam zuerst aus Lens die telegraphische, ob ihrer knappen Kürze fast unbeachtet gebliebene Mel¬ dung, daß in den Gruben von Courrières (Nordfrankreich) sich eine Explosion schlagender Wetter ereignet habe, wobei zahlreiche Menschen ums Leben gekommen seien. Dann aber folgten Tag für Tag neue Details, welche die Welt mit Schauder erfüllten. Es hieß, daß das Un¬ glück die Folge eines durch schlagende Wetten hervorgerufenen Brandes sei, daß 1795 Berg¬ leute am Tage der Katastrophe morgens zum der Arbeit eingefahren, daß drei Gruben —

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2