Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

72 Untersuchungskommission, die sogenannte Huller Kommission, sprach, wenn auch in verblümter, diplomatisch zugestutzter Form, am 25. Februar 1905 ein Schuldverdikt gegen die baltische Flotte und deren Führer aus, indem sie unter anderem ausdrücklich erklärte, daß bestimmte Anhalts¬ punkte fehlen, aus denen zu erkennen wäre zu welchem Zwecke die Kriegsschiffe feuerten, daß die Boote der Fischerflotille keinerlei feindselige Handlung begangen haben, daß sich weder zwischen den Fischerbooten, noch sonst auf dem Schauplatze des Zwischenfalles irgendein Tor¬ pedoboot befunden hat, und daß daher die Eröffnung des Feuers durch Roschdestwensky nicht gerechtfer¬ tigt war. Als dann die baltische Flotte in die indochine¬ sischen Gewässer gelangte und mit Verletzung der französischen Neutralität, jedoch unter stiller Dul¬ dung der französischen Regierung, längere Zeit in der Bucht von Kamrauh weilte, um Repara¬ turen vorzunehmen, Kohlen und Proviant ein¬ zunehmen, drohte ein schwerer Konflikt zwischen Japan und Frankreich, der nur dadurch ver¬ mieden wurde, daß Frankreich angesichts eines energischen japanischen Protestes und in Befürch¬ tung drohender Repressalien sich plötzlich seiner Pflichten als neutrale Macht bewußt wurde und der baltischen Eskadre den weiteren Aufenthalt in ihren ostasiatischen Gewässern mit Erfolg untersagte. So dampfte denn endlich die baltische Flotte — endgiltig ihrem Schicksale entgegen, das sie nach der am 8. Mai 1905 außerhalb der indo¬ chinesischen Gewässer erfolgten Vereinigung der beiden Geschwader, die Schiffe der Eskadren Rosch¬ destwensky, Enquist, Fölkersam und Nebogatow umfassend — in der Straße von Korea in der Höhe der Insel Tsushima, wo auch die Wladi¬ wostok=Flotte Japan unterlegen war, ereilen sollte. Am 27. Mai 1905 erschien früh am Morgen die vereinigte baltische Flotte in der Koreastraße und wenige Stunden später war sie von der ge¬ samten japanischen Flotte, die, von einem vor züglichen Kundschafterdienste unterstützt, mit ihren größeren Schiffen seit Monaten in dem Kriegs¬ hafen von Masampho an der Südostspitze Koreas der Ankunft der russischen Armada geharrt hatte, angegriffen, umzingelt und zum größten Teile vernichtet, ohne daß die japanische Flotte drei ihrer Torpedoboote sanken — wesentliche Verluste erlitten hätte. Durch die wiederbolten, glänzend geführten vereinigten Angriffe der japa¬ nischen Schlachtschiff= und Torpedoflotille unter dem Oberkommando Togos überrascht und ver¬ wirrt, gab es für die russische Flotte keine Ret¬ tung mehr. Sechs Schlachtschiffe, darunter das Admiralschiff Roschdestwenskys „Kniaz Suwa¬ row“, fünf Kreuzer, ein Küstenverteidigungsschiff, zwei für den Spezialdienst bestimmte Schiffe und drei Torpedobootzerstörer sanken; genommen wurden zwei Schlachtschiffe, zwei Küstenverteidi gungsschiffe und ein Torpedobootzerstörer. Die Verluste der Russen betrugen somit 22 Schiffe Die Admirale Roschdestwensky und Nebogatow sowie 6211 Offiziere und Mannschaften gerieten in japanische Gefangen¬ schaft; Admiral Fölkersam fiel. Nur ein Schiff der vernichteten baltischen Flotte, der kleine Kreuzer zweiter Klasse „Almas“ konnte das Fahrziel der baltischen Flotte, Wladi¬ erreichen und einigen wenigen wostok, darunter ein paar von Ad¬ Schiffen — miral Enquist geführte Fahrzeuge — gelang es, dem allgemeinen Untergang durch Einlaufen in neutrale Häfen zu entgehen, um dafür der Internierung und Desarmierung zu verfallen. Inklusive der durch die Verfolgung der fliehenden Schiffe herbeigeführten Kämpfe dauerte die für die Japaner so erfolgreiche Schlacht zwei Tage und zwei Nächte. Es war der vollständigste See¬ sieg, der je, seitdem Kriegsschiffe die Meere kreuzen, errungen worden ist, die schmählichste Niederlage zur See, welche die Weltgeschichte kennt! Die kontinuierlichen Niederlagen, welche die Russen zu Wasser und zu Lande erlitten und welche über 66.000 Mann in die Hände der Japaner lieferten, hatten auch eine Reihe von Verschiebungen in den Kommanden zur Folge. Der Maßregelung General Kuropatkins nach der Katastrophe bei Mukden haben wir bereits ge¬ dacht. Weiters wurden ihres Kommandos ent¬ hoben, respektive traten zurück: Admiral Skryd¬ low als Kommandant des Wladiwostok=Geschwa¬ ders und Oberkommandant der Flotte in Ostasien Fürst Uchtomsky als Kommandant des Port Arthur=Geschwaders, General Grippenberg als Kommandant der zweiten mandschurischen Armee, Großfürst Alexis als Großadmiral der russischen Flotte und Admiral Alexejew als Statthalter (Vize=Kaiser) von Russisch=Ostasien.

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