Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

57 In Todesangst. (Nachdruck verboten.) C. Zoeller-Tionheart. Ein Großstadtbild von bar, aber unter den langen Wimpern stahl oktor Helm kam noch einmal sich ein warmer Blick hervor. auf Fußspitzen in das ver¬ 9 Er seufzte leise. dunkelte Schlafzimmer zurück. 5e „Sei nicht bös’, Herzchen, ich hätt' dich Er war schon im Ueber¬ gern ausschlafen lassen und wäre gegan¬ zieher. Den glänzenden Zylinder hatte er gen, ohne dich zu stören. Aber der Ger¬ etwas von der Stirn zurückgeschoben, auf " — hard gefällt mir nicht. Ist dir sein kasi¬ der der Scheitel sich schon zu lichten be¬ ges Gesicht und sein scheues Wesen seit ein gann. paar Tagen nicht aufgefallen?“ Das feine Gesicht sah übernächtig blaß Sie schüttelte den Kopf. Aufrecht aus und trug den Stempel nervöser Ab¬ sitzend, schlaftrunken blickte sie zu ihm in spannung. die Höhe. Wie anders sie dagegen! Dieses Bild „Ich muß dir ehrlich gestehen, ich hab von Kraft, von Leben, von vollsaftiger die Kinder eigentlich seit acht Tagen kaum Daseinsfreude! Tief in die spitzenbesetzten fünf Minuten gesehen. Wenn ich aufstehe, Kissen gedrückt, schlummerte sie in kräf¬ sind sie schon zur Schule fort. Nachher tigen Atemzügen. Er blickte lange mit Be¬ die Komiteesitzungen bei der Ministerin wunderung, ja mit Leidenschaft auf sein der Fürstin und der Goldenfels für all schönes Weib nieder, und fast neidvoll die vielen Wohltätigkeitsfeste! Dazwischen regte es sich in seiner Brust. Anproben beim Schneider. Ich sag' dir, So viel unerschöpfliche Kraft trotz aller „ man ist wie gehetzt. Bin ich 'mal zu Hause, so Kraftevergeudung, und er so matt, steht die Klingel von Besuchern nicht still, müde all dieser Anstrengungen, die für sie die mich für diese oder jene Veranstaltung Lebenselemente waren. werben wollen. Kaum daß man noch die Und er mußte arbeiten, arbeiten mit Zeit zu einem ruhigen Mittagsbrot fin¬ diesem wirbelnden Hirn, diesen klopfen¬ det. Dann bin ich so nervös und abgejagt den Pulsen, diesenüberspannten Nerven. daß ich froh bin, wenn die Kinder mich Sich konzentrieren, all seine Verstandes¬ nicht mit Sprechen und Fragen quälen. kräfte zusammenraffen um das Steuer fest in der Hand zu halten und sein „Und alles das um der lieben Wohl¬ großes, selbstgeschaffenes Werk vorsich¬ tätigkeit halber,“ sagte er achselzuckend, tig durch alle die Klippen hindurch zu halb Ironie, halb Bedauern im Ton. lotsen, die widrige Zeitströmungen über¬ „Was soll man machen! Sie lassen all entgegenstellten. einen ja nicht los,“ gab sie tragikomisch „Klaren Kopf behalten,“ dachte er gepei¬ zurück und drückte ihre weiche Wange nigt und preßte die brennende Hand an schmeichelnd in seine Hand. „ die pochende Schlafe. „Und mein Frauchen opfert sich so un¬ Erika regte sich leise unter seinem an¬ gern. Läßt sich so ungern in lebenden dauernden Anschauen. Mit einem anmu¬ Bildern, als Sängerin, oder in ihren tigen Gähnen, das die Doppelreihe blen¬ Kostümwundern anstaunen und feiern! dend weißer Zähne aus den blühenden Die arme Märtyrerin der Gesellschafts¬ freuden!“ Lippen hervorblitzen ließ, streckte sie die runden schneeweißen Arme über dem „Nun aber, Männchen, hör' auf zu Haupte zusammen und blinzelte ihn aus spotten! Ich werde mir gleich Fräulein halbgeschlossenen Augen schelmisch an. ins Gebet nehmen und ihr meine Mei¬ nung sagen, wenn sie, die dazu da ist, auf „Störenfried, kannst du mich nicht aus¬ die Kinder aufzupassen, nicht gehörig schlafen lassen, wenn du selbst keine Ruh achtgeben sollte.“ mehr im Bette hast?“ schmollte sie schein¬

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