Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

26 Männern des Tages gehörte. Ich wollte mich wieder zurückziehen, als ich sie bei Wein und Zigarren fand, sie nötigten mich aber, ein Glas Portwein mit ihnen zu trinken, begrüßten mich sehr verbindlick und behandelten mich ganz als Ihres¬ gleichen. „Auf Ihr Wohl und guten Erfolg, mein kühner Freund!“ sagte Oberst Steward, „und uns allen eine glückliche Fahrt!“ und dadurch erfuhr ich, daß sie Mr. Stei¬ nes in der Gondel begleiten wollten. Ich wurde durch ihr leichtes, heiteres Wesen und munteres Gespräch, durch das Glas Wein, das ich trank, die Erregung und das Gemurmel der Menge draußen, in die beste Stimmung versetzt und harrte ungeduldig, wie ein Renner des Augen¬ blicks der Auffahrt. Endlich sah einer der Herren nach der Uhr. „Worauf warten wir eigentlich?“ fragte er, „es ist bereits zehn Minuten über sechs Uhr. Und das war es wirklich. Es war zehn Minuten über die festgesetzte Zeit und von Griffiths nichts zu hören und zu sehen. Mr. Rice wurde sehr unruhig, das Publi¬ kum sehr laut und so vergingen noch zwanzig Minuten. Da beschlossen wir ohne ihn aufzusteigen, und Mr. Rice übernahm es, dem Publikum die Sache in einigen Worten zu erklären. Darauf erscholl ein allgemeines Hurrah und eine große Bewegung, die Herren nahmen in der Gondel Platz, man nahm einen Korb mit Champagner und kalten Braten mit, ich wurde mit einem Fuße an das Trapez gebunden, und Mr. Steines war eben im Begriff, einzusteigen und das Zeichen zur Abfahrt zu geben, als wir Griffiths sich durch die Menge drängen sahen. Natürlich entstand bei seinem Anblick erneuter Jubel und ein Verzug von 8 bis 10 Minuten, damit er sich ankleiden konnte. Endlich war er bereit, es war ge¬ rade dreiviertel auf sieben Uhr; als er sah, daß er der Unterste sein sollte, machte er ein sehr verdrießliches Gesicht, jetzt war aber, selbst wenn ich mich dazu bereit erklärt hätte, keine Zeit mehr, unsere Stellungen zu ändern. Sein linkes Handgelenk wurde also mit meinem rechten durch einen Leder¬ riemen verbunden, das Zeichen zur Ab¬ fahrt gegeben, die Musik begann, das Publikum applaudierte wie wahnsinnig der Ballon erhob sich majestätisch steigend über die Menge. Die Bäume und Fon¬ tänen und das Pflaster von emporgerich¬ teten Gesichtern versanken allmählich. Das Dach des Theaters verschwand, und die Klänge der Musik und das Hurrah¬ rufen wurden schwächer. Der Eindruck war so eigentümlich, daß ich zuerst die Augen schließen mußte; ich hatte das Ge¬ fühl, als müßte ich herabstürzen und am Boden zerschmettern. Dieser Zustand ging aber bald vorüber, und als wir uns in einer Höhe von 300 Fuß befanden, fühlte ich mich so wohl, als wäre ich in der Luft mit herabhängendem Kopfe geboren und erzogen worden. Nun begannen wir unsere Produk¬ tionen. Griffiths war so kaltblütig wie möglich — ich sah ihn niemalsso und wir machten alle ersinnlichen Stel¬ lungen durch, hingen bald einer an des andern Händen, bald an den Füßen oder überschlugen uns übereinander. Und währenddessen versanken die Straßen und Plätze immer tiefer zu unserer Rechten, das Geräusch aus der lebendigen Welt verhallte in der Luft — und während ich mich um und um drehte und hin und her schwang, und jeden Augenblick die Stel¬ lung veränderte, empfing ich wunderbare, wechselnde Eindrücke vom Sonnenunter¬ gang und der Stadt, vom Himmel un dem Strome, den Herren, die sich über die Gondel lehnten, und den winzigen Menschen, die dort unten wie Ameisen auf einem Ameisenhaufen umherwandelten. Endlich wurden die Herren des Hin¬ absehens müde, und begannen zu sprechen und zu lachen und den mitgenommenen Proviant auszupacken. Dann näherten wir uns den Bergen von Surrey und die Stadt verschwand weiter und weiter zu unserer Rechten Hierauf sah man nur grüne Felder, die hie und da von Schienenwegen durch¬ kreuzt waren; plötzlich wurde es ganz

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