Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

108 ihr mit offenem Munde just nicht sehr gescheidt nach. IV. Im Kloster Garsten herrschten um diese Zeit nicht die erbaulichsten Zustände. Die Disziplin hatte sich stark gelockert und ein Teil der Mönche war nimmer in Entsagung und Arbeit eingelebt, wie das vor Ausbruch der sogenannten Re¬ formation zumeist in den Klöstern leider der Fall war. Die Ursache dieses be¬ täubenden Umstandes mochte wohl darin zu suchen sein, daß die Güter der Klöster durch jahrhundertelange gute Bewirt¬ schaftung sehr ertragreich geworden waren und große Einkünfte erzielt wurden, welche die fleißige, segensreiche Arbeit früherer Zeiten überflüssig erscheinen ließen. Abt Leonhard II. war bestrebt, allen Uebelständen abzuhelfen, und führte eine gar stramme Herrschaft, nicht zum Schaden des Klosters, wohl aber zum Mißvergnügen einzelner Mönche, die ihm nur ungern folgten und besonders seine große Spar¬ samkeit scharf tadelten. Die Strenge, mit der Abt Leonhard seine Anordnungen durchführte, war auch nicht nach dem Geschmacke der Konventualen und es kam gar oft zu unangenehmen Reibereien und harten Worten und so war es natürlich, daß der Abt bei den Klosterinsassen sehr unbeliebt war, wozu wohl auch sein ein¬ silbiges, schroffes Wesen sehr viel beitrug Anfangs Oktober des Jahres 1493 hatte jedoch der Prior eine Verständigung zwischen dem Abte und den Brüdern an¬ gebahnt und da gegenseitig der gute Wille zu einer solchen vorhanden war, schien dieselbe auch zustande zu kommen, und für den Ursulatag!) war eine feierliche Sitzung des Konventes angesagt worden, in welcher alle strittigen Punkte erledigt werden sollten. Am Morgen dieses Tages las der Abt in der Stiftskirche eine feierliche Messe unter großer Assistenz und bediente sich während derselben, zum Zeichen seiner versöhnlichen Stimmung, jenes pracht¬ 1) 21. Oktober. vollen Kelches, welcher der Gundel bei ihrem Besuche bei dem Oheim in dessen Wohnung besonders aufgefallen war und welcher Kelch dem Abte nach seiner Wahl von den Konventualen zum Zeichen der besonderen Liebe und Achtung in feier¬ licher Weise übergeben worden war. Nach der Festmesse wurde der Konvent eröffnet, zu welchem auch einige Bürger der Stadt Steyr geladen worden waren welche zum Kloster Garsten in Beziehungen standen und deren Angelegenheiten, die gar manch strittigen Punkt zwischen dem Abte und seinen Untergebenen bildeten, gleichfalls jetzt geordnet werden sollten Im Konvente kam es, trotz der vor¬ bereitenden, friedlichen Bemühungen des Pater Priors, doch zu manch scharfer Rede und Gegenrede zwischen dem Abt und den Klosterbrüdern, bis der Abt er¬ klärte, er werde die Dinge der kirchlichen Behörde zur Untersuchung und Entschei¬ dung unterbreiten, womit die Konvents¬ sitzung in ziemlich erregter Stimmung ihr Ende erreichte. Der Abt hatte sich hierauf in seine Gemächer zurückgezogen und war tagsüber nicht mehr gesehen worden. In der Morgenfrühe des folgenden Tages machte der Leibknappe Paul, der um Mitternacht den Nachtdienst ange¬ treten hatte, die Runde durch und um das Kloster und schritt zuletzt den Gang hinab zum Turme, der an der Ennsseite das Kloster schützend abschloß und aus dem eine sehr steile Treppe zur Enns hinabführte, wo immer ein Kahn zur Ueber¬ fuhr nach St. Ulrich hinüber bereit lag. Als Paul die Tür des Turmes, die zur Ennstreppe führte, öffnen wollte, um sich der Vorschrift gemäß drunten vom Vorhandensein des Kahnes zu überzeugen, fand er das Pförtchen nur angelehnt, es mußte also jemand geöffnet und das Zu¬ Er sperren hernach unterlassen haben. trat heraus und hob die Lampe hoch, um zum Wasser hinabzusehen. Der Kahn chaukelte sich gleichmäßig plätschernd au den dunklen Wassern der Enns; im matten Scheine jedoch, den die Lampe verbreitete, bemerkte er auf den steinernen Stufen etwas liegen und er war sich nicht so¬

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