Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

Ei ja doch, täglich, wie denn nicht?“ sagte Paul sie überraschend ansehend. Gut — willst du mir ehrlich und offen eine Frage beantworten, Paul? „Warum nicht, Gundel? Hab ich dich je angelogen? Sie machte eine abwehrende Handbe¬ wegung, die wohl als verneinende Ant¬ wort auf seine Frage gelten sollte — „Also sag mir, Paul, trägt die Stelle eines Leibdieners des Abtes von Garsten viel ein?“ 7 „Doch, bedenk die vielen Besucher Paul zwinkerte so gewiß mit den Augen. „Das tragt doch —“ Er machte mit Daumen und Zeige¬ finger der rechten Hand das Zeichen des Geldes. Das Mädchen nickte und die Haue im Boden tief einbohrend, fragte Gundel langsam, zögernd und ihn fest ansehend: „Du, Paul, tragt das so viel, daß daß man in einer Nacht zehn Gold¬ gulden verspielen kann? In jeder Nacht fast? Der Knappe sah das Mädchen fast er¬ schrocken an, denn diese Frage war so heftig im Ton und so beredt in Miene und Blick von Gundel gestellt worden daß sie dieselbe nicht zu erläutern brauchte. „Nein, meinte Paul endlich zögernd, „so viel tragt die Stelle eines Leibdieners des Abtes von Garsten nicht — aber dein Bruder wird wohl eine Zulage vom Abt haben als dessen Neffe?“ „Nichts, seit langer Zeit, solche Zu¬ lagen könnt der Abt auch nicht bestreiten“ — Leib¬ sagte Gundel ruhig, „kann der diener in der Wohnung des Abtes über¬ all nachschauen? „Gewiß, das muß er ja auch als Leibdiener — selbst beim Geldschrank oft —“ Das Mädchen erblaßte, sah den Knappen entsetzt an und tippte mit dem Zeigefinger leicht an ihre Stirne, als ob sie sagen wolle: „Ich verstehe. In diesem Augenblicke begann das Abendgebetläuten, erst in Garsten drunten, ernst und feierlich, im vollen Ton, dann fiel das Glöckchen in der Pfarrkirche drinnen zu Steyr hastig und etwas schrill 101 ein. Paul entblößte das Haupt und be¬ kreuzigte sich und das tat auch das Mäd¬ chen und beide senkten andachtsvoll im stillen Gebet die Häupter. Nach dem Gebetläuten ertönte die „Angstglocke“, denn es war heute Don¬ nerstag. Gundel horchte auf diese Töne, die sich gar rührend und mahnend hinein verloren in die Berge der Enns, förm¬ lich mit Entsetzen, was sich in ihrem jetzt unsteten Blick deutlich ausprägte. „Was hast du?“ fragte Paul besorgt und bedeckte wieder das Haupt. „Die Angstglocke, hörst du sie, Paul? —“ Mir ist auch so angst und bang Gundel preßte einen Augenblick die Hand aufs Herz, wie um sich zu beru¬ higen, dann reichte sie dem Knappen die Hand, der sofort wacker in dieselbe ein¬ schlug „Paul, wenn du was merken solltest vom — Leibdiener, was nicht recht ist —“ sagte sie etwas scheu ihn ansehend. Er nickte nur, sein Blick sagte, daß er verstand, was sie sagen wollte damit # Gute Nacht, Paul — sie werden Gute Nacht, Gundel hoffentlich noch vernünftig, deine Leute! „Gott gebe es, Paul! Sie nickte ihm zu, schwang die zwei Hauen über ihre Schulter und eilte flüchtig wie ein Reh gen Steyr. Sie hatte auch zu eilen, denn der Türmer blies das erste Zeichen zur Torsperre Paul blickte dem Mädchen nach, so lange er es sah, dann sputete er im raschen Schritt gen Garsten. II. Am Ufer der Enns, wo in Steyr im Jahre 1524 die Neubrücke erbaut wurde, hatte sich der Schneidermeister Werner, der Vater der Gundel, im Jahre 1490, drei Jahre vor jenen Ereignissen, die hier er¬ zählt werden, ein Häuschen gebaut. Nicht groß, aber der Wassersgefahr wegen stark und gut angelegt, mit genug Räumen, um die Familie, ein paar Gesellen und Lehr¬ jungen unterzubringen. Mit einem kleinen Viehstall an der Ennslehne versehen, sah

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