Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

88 Politik des Rechts= und Eidbruches gegen Finn¬ land, er verhinderte jede Milderung des russi¬ chen Systems in Polen, er führte mit schonungs¬ loser Strenge die Gesetze gegen die „Stundisten“ (Protestanten) und Juden durch, er erfand förm¬ lich die Idee, das armenische Volk, das bis dahin zu den Getreuesten der Getreuen des Zaren ge¬ rechnet wurde, durch Zertrümmerung seiner natio¬ nalen, selbständig sich regierenden Kirche und seines Schulwesens und durch Inkamerierung des Vermögens der armenischen Kirche zur Ver¬ zweiflung zu treiben. So wurde am 16. Juni 1904 der General¬ gouverneur von Finnland Bobrikow, ein ge¬ treuer Gehilfe Plehwes in der Vergewaltigung Finnlands, durch Revolverschüsse so schwer ver¬ letzt, daß er in der Nacht nach dem Attentat tarb. Der Attentäter, Eugen Schaumann, der Sohn des ehemaligen finnländischen Se¬ nators Schaumann, hat sich nach vollbrachter Tat selbst erschossen. So wurde am 17. Juli 1904 der Vizegouverneur des Gouvernements Jelisa¬ wetpol in Südrußland, Andrejew, auf offe¬ ner Straße erschossen. Der Attentäter entkam. Am 29. August 1903 wurde Finanzminister Witte an Stelle des verstorbenen Geheimen Rats Durnowo zum Präsidenten des Minister¬ komitees und der Verweser der Staatsbank, Ge¬ heimrat Pleske, zum Verweser des Finanz¬ ministeriums ernannt. — Anfangs Februar 1904 wurde der Unterrichtsminister Sänger auf sein Gesuch wegen Krankheit seines Postens ent¬ hoben und zum Senator ernannt. — Am 18. Februar 1904 wurde der schwer erkrankte Finanzminister Pleske seines Amtes enthoben und in den Reichsrat berufen. Er starb am 9. Mai 1904. Zu seinem Nachfolger wurde der frühere Adlatus im Ministerium Witte, Ko¬ kowzew, ernannt. —Am 24. April 1904 wurde der Chef der Nikolai=Akademie, General¬ leutnant Glasow, zum Verweser des Mini¬ steriums für Volksaufklärung ernannt. Am 20. Jänner 1904 starb in St. Petersburg der Leiter des Laboratoriums des kaiserlichen „In¬ stituts für Experimentalmedizin zur Herstellung von antiseptischen Apparaten“ an einer Infektion, die er sich bei Züchtung von Pestkulturen am 16. Jänner zugezogen hatte, trotz wiederholter Einspritzung von Antipest=Serum. Es war dies in sechs Jahren der dritte Pestfall durch In¬ fektion, die sich Gelehrte beim Studium dieser Krankheit zugezogen. Der erste Fall war jener des Dr. Hermann Müller in Wien im Oktober 1898, der zweite jener des Dr. Milan Sachs in Berlin im Juni 1903. Die Krankheit blieb auf das Laboratorium beschränkt. Am 1. März 1904 starb in St. Petersburg der ehemalige Kriegsminister Peter Semenowitsch Wannowsky, welcher dieses Amt vom 1. Jänner 1882 an durch volle 16 Jahre versah, im Alter von 82 Jahren. Sein Nachfolger war General Kuropatkin. Zu Beginn des Jahres 1901 wurde Wannowsky zum Minister für Volksaufklärung ernannt, welches Amt er jedoch schon im April 1902 wieder zurücklegte. Am 13. April 1904 verlor — ein Opfer des russisch=japanischen Krieges — der berühmte russische Maler Wassilij Wereschtschagin bei der Explosion des „Petropawlowsk“ vor Port Arthur sein Leben. Wereschtschagin war am 26. Oktober 1842 in der kleinen Stadt Tscherepowez im Gouvernement Nowgorod als der Sohn eines bei Nowgorod und Wolodga reichbegüterten Edelmannes aus alter russischer Familie und einer Mutter tatarischer Herkunft geboren. Auch in Wien hat Wereschtschagin wiederholt größere Zyklen seiner Werke zur Aus¬ stellung gebracht, und damit stets große, freilich nicht immer unbestrittene Erfolge erzielt. Zu¬ nächst trat er Ende der Siebzigerjahre im Künstlerhaus mit einem Zyklus packender Kriegs= und Hinrichtungsbilder als ein Apostel des „Krieges gegen den Krieg“, als ein Gegner der Todesstrafe auf. Dann kam er in den Acht¬ zigerjahren mit einem Zyklus von Bildern aus dem Evangelium, speziell dem Leben Jesu, die in ihrer höchst realistischen Auffassung —wer, der diese Ausstellung gesehen, gedenkt nicht noch — wohl des Bildes „Auferstehung Christi“? geeignet waren, Befremden zu erregen. Das drittemal erschien er mit einem Bilderzyklus der den Winterfeldzug Napoleons gegen Ru߬ land schilderte und in dem Wereschtschagin wieder als Apostel des Friedens sich geltend machte. Skandinavien. Der 14. Juli 1903 hat der die Welt erobern¬ den Eisenbahn ein neues Gebiet, und zwar in Schweden=Norwegen, erschlossen. An diesem Tage ist der nördlichste Eisen¬ bahnweg unserer Erde, die Linie Gelli¬ vare— Ofoten in Betrieb gesetzt worden,

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2