Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

70 des von Mecklenburg=Schwerin, Königs von Schweden und Nor¬ wegen, des Prinz=Regenten von Ba¬ yern, des Königs von Dänemark und des Khedive von Aegypten. Von diesen Besuchen hatte jener des russischen Kaisers mit Rücksicht auf die gleichzeitig zwi¬ schen den Leitern der auswärtigen Politik beider Staaten gepflogenen Beratungen über die Zu¬ tände am Balkan eine eminente politische Be¬ deutung. Politische Momente spielten übrigens auch bei den Besuchen des deutschen Kaisers sowie der Könige von England und Rumänien mit. Die auswärtige Politik Oesterreichs bewegte sich in der Berichtsperiode wieder in den ge¬ wohnten Bahnen. Der Dreibund bildete nach wie vor eine der festesten Grundsäulen des europäischen Friedens; seine Bande wurden durch die im April 1904 in Abbazia vor sich gegangene Entrevue des österreichischen Ministers des Aeußern mit seinem italienischen Kollegen, Herrn Tittoni, nur noch fester geknüpft. Die Entente mit Rußland konnte zwar Un¬ ruhen in der Türkei und den Balkanstaaten nicht verhindern, sie bildete jedoch ein Bollwerk gegen ernstere innere und internationale Kon¬ flagrationen. Das Verhältnis zu Ungarn war auch in der hier in Frage stehenden Zeit kein besonders er¬ quickliches; es kam wiederholt zu ziemlich schar¬ fen gegenseitigen Erklärungen der beiderseitigen Ministerpräsidenten, ja die verschiedene Behand¬ lung militärischer Fragen in beiden Reichs¬ hälften, die in der Folge zu dem Beschlusse der beiderseitigen Zurückhaltung der sonst mit 1. Ok¬ tober 1903 zu entlassenden Mannschaften des — der zum Behufe dritten Jahrganges und Schaffung eines giltigen Rekrutenkontingent¬ gesetzes sowie der Möglichkeit der rascheren Ent¬ lassung der Mannschaften des dritten Jahr¬ ganges wenigstens in Zisleithanien — zu einer Reassumierung respektive Ergänzung der Be¬ schlüsse des österreichischen Reichsrats über die Einreihung der Rekruten des Stellungsjahres 1903 führte, hatte — wie bereits im vorjähri¬ gen Berichte erwähnt — seinerzeit auch eine österreichische Ministerkrise zur Folge. Das Mi¬ nisterium Koerber hatte am 26. Juni 1903 sein Portefeuille zur Verfügung gestellt. Die Demission war wohl vom Kaiser nicht angenom¬ men worden, aber die Spannung zwischen den beiderseitigen Regierungen hat in merito eigentlich bis heute kaum viel von ihrer Schärfe verloren. Auch in den innerpolitischen Zuständen Zis¬ leithaniens ist noch keine ernste Wendung zum Besseren eingetreten. Die tschechischen Reichs¬ ratsabgeordneten blieben nach wie vor bei ihrer Obstruktionspraxis; die Deutschen in Böhmen hinwieder beantworteten dieses Manöver mit der Obstruktion im böhmischen Landtage. Beide parlamentarische Körperschaften waren damit lahmgelegt. Mit Mühe gelang es im April 1904 die Delegationswahlen im Reichsrat durchzu¬ setzen; sonst mußte gar oft der § 14 die parla¬ mentarische Beschlußfassung ersetzen. In Tiro gab die Frage der italienischen Universitätskurse in Innsbruck den Anlaß zu stürmischen Pro¬ testen und Demonstrationen der deutschen Stu¬ dentenschaft und der deutschen Bevölkerung der Landeshauptstadt. Schwere Konflikte mit der ihm untergeord¬ neten Geistlichkeit und mit den Gläubigen seiner Diözese, sowie andere mißliche Umstände ver¬ anlaßten im März 1904 den Erzbischo Dr. Theodor Kohn von Olmütz, über Ein¬ wirkung des Papstes und zufolge eines für ihn nicht günstigen Erkenntnisses der mit der Prüfung der gegen ihn vorgebrachten Klagen betrauten Kardinalkommission, seine erzbischöf¬ liche Würde niederzulegen. An seiner Stelle wurde der Brünner Bischof Dr. Franz Bauer ein Parteigänger der Tschechen — auf den Olmützer erzbischöflichen Stuhl berufen. Ende Mai und Anfang Juni 1904 wurde der 50jährige Bestand der Semmeringbahn in einer Serie von glänzenden Veranstaltungen festlich begangen. Mit Recht wurde das Semme¬ ring=Jubiläum als ein österreichisches Fest begangen, denn das große Werk des genia¬ len Ingenieuxs Kl. v. Ghega, diese erste d. i. älteste Bergbahn der Welt, dieser eiserne den Alpenpaß erklimmende Strang, der über den Semmering führt, dieses Bindeglied in der großen Brücke zwischen deutschem und italieni¬ schem Lande, ist eben ein österreichisches Werk. Am 21. April 1904 wurde in Wien die inter¬ nationale Ausstellung für Spiritus¬ verwertung und Gärungsgewerbe durch den Protektor Erzherzog Franz Fer¬ dinand feierlich eröffnet. Es war eine ebenso

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