Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

46 mal sprachlos. — Was! Nun verteidigte Grete den noch? Mit einer langsam, aber sicher in ihren Wangen hochsteigenden Röte er¬ widerte Grete den beredten Blick ihrer Schwester durch einen wahren Sprudel von Worten: „Ob es meine Leute sind, die unrecht tun, oder ich selbst, das ist doch Wendu¬ meit tout wurscht! Und wär' mir's auch in demselben Fall! Man ist eben ver¬ antwortlich für seine Leute. Der in¬ ame Jagdnarr, der Förster, treibt sich ewig an Wendumeits Waldrand umher — chont unser Wild und maust dem ein's. — Ich kann schelten, so viel ich will, er antwortet mir immer dasselbe: „Aber gnädiges Frauchen, wo werd' ich so was tun! Werd' ich doch nicht dem nädigen Herrn seine Rehe totschießen! Und Das ist ja alles Verleumdung!“ — den nächsten Tag geht er hin und tut's wieder! „Jag' ihn doch fort, den Förster.“ „Nein, das tu' ich nicht, den alten Mann fortjagen. Na, und der Inspektor Läßt die Hammel auf Wendumeits Wiese weiden. Und wie ich's ihm vor¬ halte, ruft er: „Aber gnädiges Frauchen erbarmen Sie sich; was kann ich dafür, wenn ein paar Hammel sich verlaufen Und haben? Bin ich ein Viehhirt?“ dann befiehlt er heimlich dem alten Hirten, die Hammel hübsch wieder dort —Solch „an der Grenze“ zu weiden! ein Volk! Wenn sie denn schon einmal nicht für sich selber stehlen und betrügen können, weil sie's bei mir nicht brauchen, so tun sie's für die Herrschaft. — Und den Inspektor, der schon zwanzig Jahre hier ist, kann ich ebenso wenig fortschicken wie den Förster. Eine Pause entstand. Dann fragte Minna: „Also, was willst Du tun? „Ich werde dem Herrn da drüben klar machen, daß ich nichts dafür kann, wenn meine Knechte sich mit seinen prügeln darüber beklagt er sich nämlich in — und daß er sich seinem heutigen Brief in Zukunft an das Gericht mit seinen Klagen wenden soll. „Himmel, Grete, wie- unvorsichtig! Nun willst Du gar mit Prozessen an¬ fangen?“ „Ich, was fällt Dir ein? Er soll's tun, den Rat will ich ihm bloß geben! Und Briefe aus Reitukallen werden nicht mehr angenommen — basta!“ Und raus war sie und die Treppe hinauf wie ein Wirbelwind. Zehn Minuten später sah die Schwester sie vom Hof reiten, den alten, getreuen 4Ignaz auf dem großen Gelben hinter sich. Hier in Pellinkönen war alles alt und getreu, wenn es auch mit Haut und — Haar allen russisch=preußischen Lastern verfallen war. Geradewegs ritt Grete Prokoff hin¬ über nach dem stattlichen Nachbargut. Sie ließ bewundernd ihre Blicke über die schöne, hügelige Landschaft gleiten, die hier in gleichsam launischer Weise einen fast thüringischen Charakter trug, wäh¬ rend wenige Meilen weiter schon die trostlose Ebene des Ostens begann. Als ihr Mann noch lebte, war Grete öfters diesen Weg geritten und gefahren, denn ihr guter Ferdinand war ja ein Jugendfreund des blonden, schönen und ernsten Stanislaus Wendumeit gewesen. Ja, er war schön und ernst und — na mposant eben! Ihr hatte er wenigstens ungemein imponiert; viel mehr, als gut war, damals. Deshalb gerade hatte sie ihn abgewiesen in vielleicht übertriebenem Zartgefühl. Warum mußte er auch kommen und um sie anhalten, noch be¬ vor das Trauerjahr abgelaufen war! So vas hatte man doch nicht gern! Und da und das hätte sie jeden abgewiesen — hatte sie ihm ja auch so quasi zur Ent¬ chuldigung gesagt. — Wenn er nur ein bißchen weniger schwerfällig und ein etwas besserer Frauenkenner gewesen wäre! Aber natürlich — gleich übel¬ nehmen muß so ein Mann das, wenn man ihn nicht heiraten will! Grete runzelte ihre freie Stirn und ritt schneller vorwärts. Augenscheinlich war sie der Meinung, daß so ein Korb doch weiter gar nichts Aergerliches wäre

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