Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

Zuletzt, da die Zuhörer immer mehr klatschten und jubelten, überflog dunkle Röte Sepps umwölkte Stirn; seine Ge¬ nossen machten finstere Gesichter und teckten unter sich flüsternd die Köpfe zu¬ sammen. Alle drohenden Anzeichen waren da, daß bald ernstliche Händel statt mit der Schlagzither“ mit dem „Schlag¬ ring ausbrechen würden, als ein glück¬ licher Zufall ableitend dazwischen trat. Ein Reisewagen mit Sommerfrischlern rollte die Struße von Benediktbeuern daher; als aber die Pferde mitten in der dem Wirtshaus angesammelten vor Menschenmenge, sich plötzlich scheuend, einen Seitensprung machten, stob alles schreiend auseinander. Unglück war zu befürchten. Wohl hielt der erfahrene Kutscher seine unruhigen Gäule mit fester Hand wieder zusammen, doch der Wagen war mit dem rechten Hinterrad in den Straßengraben geraten, und hing be¬ denklich über. Das Rad war bis an die Achse in den von vorausgegangenen starken Regengüssen erweichten Boden eingesunken, und nun galt guter Rat teuer, wie man dieses herausheben und den schweren Wagen wieder in die rechte Lage zurückbringen könne. Alles, was von Männern und Burschen da war, ammelte sich um den Kutscher und die geängstigten Reisenden; fast jeder brachte einen anderen Hilfsrat vor. Besonders Sepp legte selber Hand an, doch seine Anstrengungen blieben erfolglos. Herbei¬ gebrachte Stangen, zu Hebebäumen be¬ nützt, waren nicht zu gebrauchen, da der ganze gelockerte Boden nirgends einen festen Punkt zum Ansatz bieten konnte. Der Höckerige war bis jetzt ganz un¬ beachtet geblieben. Jetzt trat er in den Kreis der Beratenden und ging, ohne ein Wort zu reden, rings um den Wagen. Als die Walchenseer Buben sein Tun bemerkten, stießen sie sich gegenseitig an, indem sie sich so laute spöttische Bemer¬ kungen zuzischelten, daß er sie hören mußte. Der Sepp voran höhnte: „Schaut's, Buben, der singt jetzt dem malefizischen Rad ein Schnadahüpfl vor, damit sich's daran heraufwinde!“ 7 Lienhard tat, als hörte er nichts; nach¬ dem er jedoch seinen Rundgang ums Rad beendet, schlüpfte er unter demselben hinein, stemmte sich mit der unverkrüp¬ pelten Schulter gegen die Achse und hob mit einem Ruck den Wagen in die Höhe, daß das Rad frei in der Luft schwebte. „Jetzt legt schnell unter!“ rief er, „da¬ mit es nimmer zurück kann!“ Sofort geschah's und gleich darauf rollte das Fuhrwerk mit den erfreut dan¬ kenden Reisenden dem Kesselberg und der zauberhaften Romantik des in Lied und Sage gefeierten Walchensees zu. Als man sich nach Lienhard umsah, war er verschwunden. Die Burschen ver¬ mochten ihre Beschämung und Verlegen¬ heit nicht zu verbergen, die Bauern aber sprachen laut ihr Staunen über die un¬ verhoffte Kraft des Höckrigen aus und erzählten sich, was sie über dessen Her¬ kunft und Namen wußten. Trompetentöne aus den offenen Fen¬ stern des ersten Stockes im Wirtshaus verkündeten weithin den Beginn des Kirchweihtanzes und lenkten die allge¬ meine Aufmerksamkeit von Lienhard ab. Eben hielt der Jochmüller mit Tochter und Schwägerin vor dem Hause und es schien, als ob man mit dem Anfang der Festlichkeit nur seine Ankunft abgewartet habe. Alle Burschen drängten sich grüßend zu des Jochmüllers Wagen, seitwärts jedoch blieb Sepp stehen, sein Buschen an Annas Mieder verriet ihm ja deutlich, daß ihm die Königin des Festes zum Tanz gewiß sei! Anna aber hatte sicher über erwartet, daß Sepp im Dankgefuhl das Tragen seines Straußes der erste sie zu begrüßen, sei, und wie fragend treifte ihr Blick nach dem spröden Burschen hinüber. Dieser lüftete kaum einen Hut und sah gleichsam mit seinem Alltagsgesicht zu ihr hinüber. Mit Zorn im Herzen wendete sich Anna sofort ab und eilte die schmale, zum Tanzboden führende Stieg hinauf. Dort stand sie, die Schönste, Reichste 7 unter allen anwesenden Mädchen; aber

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