Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

6 auch war er klug genug, seine Oberherr¬ lichkeit nicht zu mißbrauchen, sondern sozusagen zu verhüllen, daß er jedoch sich ihrer bewußt war, verriet sein ganzes Gebaren. Sepp, sag',“ rief ihm gerade ein Bursche zu, „gerade machen wir aus, wer von uns mit dem schönen Reifenstuel¬ Annerl den ersten Tanz tanzen soll. Du sollst Schiedsrichter sein.“ „Euch bleibt gewiß der Schnabel sauber, soviel kann ich sagen,“ erwiderte schnell Sepp. „Wer mit dem Annerl vor¬ tanzt, muß anders aussehen, als ihr Kraxenträger! Schaut Ihr doch aus, wie die teure Zeit selber, wo's kein richtiges Mannsbild mehr gibt!“ Den ländlichen Witz belohnte lautes Gelächter. Selbst die davon Betroffenen konnten sich der Lustigkeit auf ihre Kosten nicht erwehren, und, als eine Zither zum Vorschein kam, auf der Sepp seine be¬ kannte Kunstfertigkeit wieder zeigen sollte, schlug die Unterhaltung andere Wege ein. Der also Aufgeforderte ließ sich auch nicht lange bitten, und bald säuselten die im bayerischen Hochlande heimischen Gesänge und Tanzweisen in zarter, zierlicher Anmut daher. Nun ver¬ band sich auch der Gesang damit einzeln und im Chor. Kaum schwieg der eine, begann schon wieder der andere etwa mit einem Schnadahüpfel oder was ihn die launige Eingebung des Moments dichten ließ. Auch in diesem Wettstreite erwies sich der Sepp als erster. Schon begann das Necken zwischen den Kocheler Burschen und denen vom Wal¬ chensee, und improvisierte Trutzgesangeln flogen Hornissen gleich summend und all¬ seitig stechend umher. Sonst waren in diesem dörfischen Sang meistens die Kocheler unterlegen, aber diesesmal be¬ aßen sie einen Helfer, der es gerade darauf abgesehen zu haben schien, den Walchenseern und ihrem stattlichen An¬ führer die Siegespalme zu entreißen. Der von der Gegenpartei sah aber wesentlich anders aus, wie der Sepp, der Holzknecht, und schien beim ersten dazu angetan, mit Anblick so gar nicht Er war fast unter dem sich zu messen. Mannesgröße zu¬ dem Maß mittlerer rückgeblieben und wohlvon ebenmaßigem, aber nur feinem, fast schwächlichem Gliederbau! Soweit hätte er trotz seiner Kleinheit für einen sauberen Burschen gelten können, hätte ihn nicht ein ver¬ wachsener Rücken entstellt, wodurch auch die Brust zu unregelmäßiger Wölbung verschoben erschien. Verglich man aber seinen Kopf und Gesicht mit denen der anderen, so machten seine angenehmen, wenn auch etwas bleichen Züge und seine sinnigen, braunen Augen die Rückgrats¬ verkrümmung leicht vergessen. Leonhard, oder wie man dort sagt, „Lienhard“ trug auch die ortsübliche Ge¬ birgstracht, aber mit städtisch veränder¬ tem Zuschnitt. Auch die zarten Hände deuteten an, daß die Arbeitswerkzeuge ihres Besitzers weder Pflug noch Holzbeil waren. In seinem ganzen Wesen zeigte ich die längere Entfernung vom Land; deshalb war er aber dem dörfischen Leben nicht entfremdet, da er, mit allen Bezie¬ hungen desselben ganz vertraut, jede An¬ spielung mit noch treffenderer Wendung abzuwenden verstand. Er hatte ebenfalls seine Zither vor sich. Befleißigte sich Sepp, neu ersonnene Weisen zierlich vorzutragen, sogleich setzte ihm sein Nebenbuhler noch bessere entgegen, dabei spielte er diese so, daß sich bald um ihn ein dichter Zuhörer¬ kreis sammelte, der seine volle Aufmerk¬ samkeit nur dem neuen Künstler zuwen¬ dete. Auch im Singen übertraf er Sepp. Wenn sein Gesang auch kunstlos war, o trug er doch seine Weisen mit ebenso geübter, als angenehmer Stimme vor, so daß Seppens bäuerischer Ton des „Liedelns“ weit dagegen zurückblieb. Der nun wurde allmählich recht übel aufgelegt. Je hitziger aber, als er sein Spiel und Gesang zur Geltung zu bringen suchte, desto stachlicher wurden seine Reimereien! Doch heute hatte er entschiedenes Unglück. Nimmer vermochte er gegen den Höckerigen aufzukommen, der ihm jedesmal doppelt zurückgab.

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