Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

74 beschlossene Zuckerkontingentierungs=Gesetz von fast allen übrigen Staaten, die auf dem Weltmarkte mitkonkurrieren, für vertragswidrig und unzu¬ lässig erklärt worden ist, womit eine entschiedene Stellungnahme der Ausländer, resp. der Brüsseler Zucker=Kommission gegen die österreichische Zucker industrie deklariert wordenist. Mitte Oktober 1902 gab Justizminister Alois Freiherr v. Spens=Booden aus Gesund¬ heitsrücksichten seine Demission. Dieselbe wurde am 17. Oktober 1902 angenommen und Minister¬ präsident Dr. v. Koerber übernahm provi¬ sorisch auch das Justizportefeuille.— Die Kapi¬ tulation der Staatsautorität, resp. der Heeres¬ verwaltung, vor der Obstruktion der ungarischen Unabhängigkeitspartei, das in Ungarn erfolgte Fallenlassen jener Wehrvorlage, deren Genehmi¬ gung das österreichische Ministerium im öster¬ reichischen Abgeordnetenhause förmlich im Galopp erzwungen hatte, die falsche Position, in welche hiedurch das Ministerium Koerber geraten war, bewogen dasselbe, dem Kaiser Ende Juni seine Demission anzubieten, wozu wohl mitbestimmend das Scheitern der Verhandlungen mit den Jung¬ tschechen bezüglich der Freigebung der parlamen¬ tarischen Behandlung des Budgetprovisoriums für das zweite Semester 1903 und die seitens der Brüsseler Zuckerkommission erfolgteZurückweisung des österr. Zuckerkontingentgesetzes das ihrige bei¬ getragen haben mögen. Mit einem Handschreiben vom 7. Juli 1903, welches eine eklatante Ver¬ trauenskundgebung für Dr. Koerber bedeutet, lehnte der Kaiser die Demission Dr. Koerbers und des Gesamtministeriums ab,während mit Handschreiben vom 10. Juli 1903 die aufrecht¬ erhaltene Demission des tschechischen Landsmann¬ ministers Dr. Rezek angenommen wurde. Die Bedeutung dieses Handschreibens liegt darin, daß Dr. Rezek dem Monarchen gleichzeitig mit seinem Demissionsgesuche ein die tschechischen National¬ wünsche vertretendes Memorandum überreicht hatte, und daß somit mit der Annahme der Demission Dr. Rezeks auch die deutschfeindlichen Postulate der Tschechen abgelehnt erscheinen. Auf volkswirtschaftlichem Gebiete ist zu er¬ wähnen, daß am 31. März 1903 der Gesetzent¬ wurf über die Aufnahme der Barzahlungen gleichzeitig in den Parlamenten beider Reichs¬ hälften eingebracht worden ist. Eine ganze Reihe schwerer Malversationen bildete mit ein Kennzeichen unserer Berichts¬ periode. Am 18. September 1902 wurden in der Länderbank Abgänge von 1,259.000 Kronen entdeckt; später stellte es sich jedoch heraus, daß die Abgänge diesen Betrag weit überschritten; genaue Revisionen ergaben einen Gesamtabgang — von rund 4,600.000 Kronen. Die Unterschleife welche bis in das Jahr 1895 zurückreichten waren das Werk des der Hauptkasse zugeteilten Beamten Edmund Jellinek, der sich noch vor der Aufdeckung seiner Malversationen ge¬ flüchtet hatte und dann bei Krems freiwillig seinen Tod in den Wellen suchte. Seine Leiche wurde am 28. September 1902 bei Altenwörth nicht allzu fern von Krems, aus den Wässern der Donau gezogen. — Noch hatte sich die Aufregung welche die Defraudation bei der Länderbank ver¬ ursachte, nicht gelegt, als aus Prag die ersten Nachrichten über Defraudationen bei einer böh¬ mischen Einlageanstalt gemeldet wurden, die noch größere Dimensionen als jene bei der Länder¬ ist dies die bank annehmen sollten. Es tschechisch=klerikale St. Wenzels¬ Vorschußkasse in Prag. Am 11. Oktober 1902 brachten die Prager Blätter die ersten näheren Nachrichten von großen Defraudationen bei besagter Kasse, bei welcher zumeist kleine Leute des tschechischen Volksstammes ihr Geld anlegten. Zunächst sprach man von Unterschla¬ gungen in der Höhe von drei Millionen Kronen rasch wuchs aber diese Summe an und schließlich stellte sich heraus, daß die Abgänge 7,786.530 Rattenkönig von Kronen betrugen. Ein wahrer Handlungen und Defraudationen, betrügerischen onstigen skandalösen Vorgängen, wurde im Laufe der Erhebungen enthüllt. Der Präsident der An¬ stalt, Monsignore Drozd seine Wirtschafterin Anna Madel, der Direktor der Anstalt Kohout und mehrere andere Funktionäre der Anstalt wurden verhaftet, und befanden sich zum Teile noch bei Abschluß des Berichtes in Haft. Die Kasse aber die weder leben noch sterben kann, steht noch immer vor der Gefahr eines Kon¬ kurses insbesondere, da ihre geistlichen Protek¬ toren sich nicht zu einer durchgreifenden Sanierung entschließen können. Der Skandal bei der tschechisch=klerikalen St. Wenzels=Vorschußkasse, der immer größere Dimensionen annahm und gerade auch die länd¬ lichen tschechischen Kreise in permanente Auf¬ regung versetzte, ließ es tschechisch=nationalen Agitatoren rätlich erscheinen, für einen Blitz¬ ableiter zu sorgen. So inszenierten sie denn im Februar 1903 durch Lancierung falscher Gerüchte einen Run auf die unter deutscher Verwaltung stehende Böhmische Sparkasse in Prag. Tausende kleiner tschechischer Einleger fanden sich am 20. Februar 1903 und die späteren Tage bei der Sparkasse ein, um ihre Einlagen zurückzuerhalten. Millionen wurden in kurzer Frist zur Auszahlung gebracht. Aber die erzsolide Böhmische Sparkasse, das erste Spar= und Kreditinstitut Böhmens, zeigte sich in glänzender Weise gewappnet. Der frivole Angriff auf ihre wie Existenz übte auf sie keine Wirkung, nach vor stand sie ungebrochen und zahlte alle rück¬ geforderten Einlagen ohne irgend welchen An¬ tand aus. Und so endete allmählich der Ansturm der Einleger, die perfide Aktion gegen die Anstalt zerschellte an der Macht und Solidität der deutschen Institution und den Schaden hatten nur die armen tschechischen Einleger, die leicht¬ gläubig sich von gewissenlosen Hetzern mi߬ brauchen ließen, und ihre Haut zu Markte trugen, wie gewöhnlich während sich die Hetzer selbst — ferne vom gefährlichen Schusse hielten. Da es zweifellos ist, daß der größte Teil der von den tschechischen Bauern behobenen Spareinlagen

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