Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

einer alten, schäbigen Kürassieruniform darüber einen schadhaften Reitermantel, trat zu der Strohfigur und dem Wägel¬ chen. Als Kopfbedeckung trug er einen sogenannten „Droi (Drei=)spitz“ mit ellen¬ langem, blutrotem Federbusche; an der linken Seite baumelte ein mit Silber¬ papier überkleisterter Holzsäbel und als Schnurrbart seltenster Art hing ihm ein künstlich doppeltgeteilt, Fuchsschweif, über die Lippen herab. Zwei andere Burschen, der eine als Gendarm, der an¬ dere als buntscheckiger Hanswurst mas¬ kiert, traten ihm, jeder einer Laterne zum Leuchten haltend, rechts und links zur Seite. Jetzt herrschte eine so große Stille, daß man, wie man zu sagen pflegt, ein Mäuslein hätte laufen hören. Aller Augen richteten sich auf den großen, breitschulterigen Mann, der zwischen Hanswurst und Gendarm stand, und paßten mit gespannter Aufmerksamkeit auf die Dinge, die da kommen sollten. Dieser, der Wortführer der Haberer, rief nun mit seiner weithallenden, dröh¬ nenden Stimme: „Wir Haberer san da zum Haberfeldtreib'n! A Jedes im Hof soll ruhig bleib'n Acht's wohl auf Enker Feuer und Licht, — Damit Niemanden a Schaden g'schicht! Zuvörderst woll'n wir iazt verlesen, Ob alle Mann san da gewesen! Zufolge der alten Sitte wurden nun sämtliche Teilnehmer am Ruggericht Kaiser Karl des Großen im Untersberg namentlich, d. h. mit meist hochansehn¬ lichen Titeln und Namen aufgerufen, wohl hauptsächlich deshalb, um den Versammelten und ihrem Urteil größt¬ möglichstes Gewicht zu geben. Ja, selbst fremde Potentaten, wie Kaiser Josef II. von Oesterreich, der Volksfreund, und berühmte volkstümliche Feldherren, als Prinz Eugen, der „edle Ritter“ mußten herhalten. Schließlich ward noch Kaiser Karl, als angeblicher dereinstiger Begründer des Haberfeldtriebs, auf¬ gefordert, das Protokoll zu unter¬ zeichnen. Nun erfolgte wieder der vorige höllische Lärm, vermischt mit neuem starken Rufen nach den drei Ver¬ 59 fehmten, die vor das ländliche Gerich geladen waren. Jetzt rief der Wortführer nachdem er sich, scharf in der Runde um¬ herblickend, vergewissert hatte, daß alles in Ordnung sei: „Hochwürdiger Herr Pater Quardian von Tölz, tut's den Sündenzettel her!“ Ein Mann, der in einer verschlissenen Franziskanerkutte stak, auf dem Haupte zwei Gemskrückeln trat sofort aus dem Viereck, verneigte sich und gab dem Wortführer und Haberer¬ meister eine Papierrolle in die ausge¬ treckte Hand. Der las nun mit seinen dröhnenden Stimme folgende Knittel¬ verse vor „Ihr Mannen lust's und laßt's Enk sagen Was da zu Schliers die Spatzen rumtragen! Da g'scheh'n b'sund're rare Sachen Just mehr zum flennen als zum lachen!“ „Dem Bucher wird sein Geldsack z'klein Der Ruech möcht' allweil' a Herrischer sein! Dem Lisl a wöll'n mer Haberfeldtreib'n, In's verdrahte Hirn an Merks einischreib'n!“ „Dahoim is ihr's z'schlecht; nach Münka n'ein! Mit Hut und mit Schleier spaziert's dort fein Und weil's koin richtigen Stadtherrn erwischt, Hat sich's an hellichten Lumpen aufg'fischt! A Eisenbahnschwindler, a Loosplaner muß sein, Der alles anblemelt, was groß is und klein Nur G'schwolline wöll'n iazt die Bauern spiel'n Und Menscher tun nach den Guckeihut schiel'n Beim Bucher geht alles windschief, verdraht Drum san wir da und geb’n Enk den Rat A lausiger Tropf, dem sein Stand is z'gring Is aWeibsbild, heißt man's anixnutzig's Ding, Zum Fall kimmt d'Hoffart, paßt's nur brav auf Han i Recht oder net? Was sagt's Os iazt d'rauf! „Wohl, wohl, völlig recht hast!“ schrie jubelnd die wilde Versammlung zusam¬ men und der frühere fürchterliche Lärm brach abermals los. Nun ging's aber in wilder Eile über die Strohpuppe im Wäglein her. Sie wurde flugs von ihrem Thron gerissen und im feierlichen Um¬ gang unter rasselndem Trommelschlag und gellendem Pfeifenton herumge¬ schleppt. Nachdem jedoch der Umzug ein¬ mal die Seiten des Vierecks umkreist hatte, hörte alle Ordnung auf, und unter einem wahren Höllengelächter suchte jede der vielen hundert Hände ein Stücklein davon zu erhalten, indem man ihr alle Gewandung abriß, und die unzähligen

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