Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

58 Jetzt san d'Haberer doch da! Aber glei hab’ i mir denkt, daß no so kummen wird! I bitt' Euch nur, halt's Enk stad und tu kein's an Schnaufer! Und Du, Bauer, mach 's Fenster auf, jetzt hilft alles nix mehr!“ „Bauer, war Dein Haberfeld leer?!“ rief jetzt draußen eine mächtige, tiefe Baßstimme, und es war, als ob ein nächtlicher Donner daherrolle. — Toten¬ stille herrschte in der Stube; man hörte jeden Atemzug aus beklommener Brust. Der Bucher hatte sich ermannt, und sein ganzer kräftiger Körper bebte vor Zorn und Beschämung, als er das Fenster öffnete und mit gepreßter Stimme □ „Ja antwortete. Er wußte ganz genau, was nun alles sich ereignen würde. Im Obstgarten und vor dem Hause beschie¬ nen zahllose Pechfackeln und Kienspähne mit ihrer düsteren Glut eine ganz ab¬ sonderliche Versammlung. Wohl über dreihundert Männer standen in einem dichtgeschloss'nen Viereck. Ihre Gesichter waren durch Ruß und Mehl unkenntlich gemacht worden und sie hatten sich ganz abenteuerlich und bunt vermummt. Da konnte man Ritterpanzer aus Gold= und Silberpapier sehen, die auf starkem Pap¬ pendeckel geklebt waren, ganz alte Raupenhelme noch aus der Napoleoni¬ chen Zeit, abgetragene Militärunifor¬ men, einst weiß gewesene Kürassier= und andere Soldatenmäntel, auch Kapuziner¬ und Franziskanerkutten; Mützen aus altem Bleche, ja selbst eiserne und irdene Kochtöpfe mußten als Kopfbedeckung dienen. Selbst Mehlsäcke und Kuhhäute alte, zerrissene Weiberröcke, wenn auch Vogelscheuchen gleich, die Lumpen und Fetzen davon weghingen, waren zu dieser ernsten Maskerade verwendet. Ein jeder trug seine Waffe. Wer nicht seinen Stutzen oder irgend eine Flinte bei sich schwang wenigstens Sense oder hatte, Drischel; dazu mochte man die fürchter¬ lichsten Bärte sehen, welche den gefärbten Gesichtern einen fast teuflischen Ausdruck gaben: aus Roßhaar, Wolle, Werg und trockenem Moose. Ein kleiner Wagen mit dürren Tannenreisern und Haferstroh heraus¬ geputzt, fuhr, von einer Schindmähre ge¬ zogen, jetzt in das Viereck hinein. Auf dem Sitze thronte eine lebensgroße Strohpuppe; die trug ein langes Frauen¬ kleid, das bis auf die Füße herabwallte; um den Hals lag als Shawl ein blauer Küchenschurz. Auf dem Haupte, einem Holzhaubenstocke, saß verwegen ein so¬ genannter Amazonenhut mit geknickten Straußfedern, spöttisch „Guckeihut“ ge¬ nannt, wie die Damenwelt vor vierzig Jahren zu tragen pflegte; vom Halse hingen links und rechts zwei Melkkübeln herab, und ein dichter, sehr schadhafter grüner Schleier bedeckte das Gesicht, den abgeplatteten Vorderteil besagten Hau¬ benstockes; die Hand aber hielt eine drei¬ zackige Mistgabel... Als nun dieses Fuhrwerk mit seiner absonderlichen In¬ assin beim Schein der Kienschleußen und Harzfackeln daherrumpelte, fingen sämt¬ liche Versammelten ein entsetzliches Hussahl und Hallo! an, geradeso, als wenn das „wilde Nachtgjoid“ über die Gegend hinzöge. Der Tumult mochte wohl das verstockteste Gewissen aus dem künstlichen Schlummer reißen und auch ein verhärtetes Gemüt erzittern machen. In das wüste Gejohl und Geschrei von mehr als dreihundert Mannesstimmen mischte sich das Geklapper von Blech¬ deckeln und Eisenbecken; dazu läuteten kleine Handglocken, klingelten Schellen und brüllten Kuh= und Stierhörner; auch krachten jetzt Schüsse, als tobe ein wildes Nachtgefecht. All das Klirren, Rasseln und Klappern überschrillte jetzt ein so Mark und Bein durchdringendes Pfeifen, so daß man wohl den Glauben des Landvolkes begreiflich fand, die Hölle selber sei losgelassen und es werde ein Satansfest gefeiert, wie selbes seinerzeit von dem be¬ rühmten Wiener Hofprediger Pater Kochem im „Goldenen Himmelsschlüssel“ beschrieben ist. Nun gebot die gleiche don¬ nernde Stimme, welche zuerst gerufen: „Bauer, war Dein Haberfeld leer?“ Ruhe, und ein riesiger Vermummter in

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