Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

Er war arm, doch man liebte und achtete ihn in Los=Angeles, so arm er auch war, denn er war gut. Sie waren auch gut diese braven Goldgräber, bei denen sie gelebt hatte. Wenn sie jetzt gut gekleidet, gut genährt und gut gepflegt in diesem chönen Hause wohnte, so verdankte sie das ihnen. Sie verwandten ihre Zeit und ihre Kräfte, um der Waise zu helfen, deren Augen sich mit Tränen füllten, wenn sie dieser biederen Männer ge¬ dachte. Und sie dachte oft an sie, ohne davon zu sprechen. Man hatte eines Tages, da sie eine diesbezügliche Anspielung gemacht hatte, über die Goldgräber gelacht, als wären das plumpe Menschen, die tränken und luchten. Entrüstet hatte sie wider¬ sprochen .... Leute von Herz wären es die Mitleid mit ihr gehabt, Freunde, be¬ sonders Morgan! Doch nach diesem Zwischenfall hatte Maud den Entschluß gefaßt, zu schwei¬ gen. Wozu gegen Vorurteile ankämpfen? Ihre Freundinnen verstanden sie ja doch nicht. Und dann war sie auch zu klein, es fehlten ihr die Worte, um ihre Ge¬ danken auszudrücken. Um sich besser aussprechen zu können, übte sie sich im Schreiben, auch der erste Brief, den sie korrekt schreiben konnte, wurde an Morgan gesandt. Wie stolz er war, und wie entzückt das Lager war, „ laßt sich denken! Ein Brief von Maud und ohne orthographische Fehler sie glaubten es wenigstens! Es ist un¬ glaublich, wie tüchtig nach diesem Brief in Mauds „Claim“ gearbeitet wurde! Es machte sich übrigens bezahlt, das kleine Feld! Die starken Regengüsse des Winters trieben in die wildbewegten Ge¬ wässer des Amerikan=River die gold¬ haltige Erde der Hochplateaus und in jeder Woche wurde das Ergebnis größer Es wurde so groß, daß Morgan seine Gefährten nach bangen und besorgten einen Beratschlagungen veranlaßte, großen Schlag zu versuchen und für Rechnung des Kindes einen Anteil in den Quarzminen von Virginia=City zu 45 kaufen. Dasselbe tat er auch für seine eigene Rechnung. Kürzlich von Comstock, einem glück¬ lichen Goldgräber entdeckt, versprachen diese Minen einen bedeutenderen Ertrag, als die der „Placers“, denn sie waren nicht wie diese von dem Winterregen ab¬ hängig. Morgan verließ Los=Angeles, um sich in Virginia=City niederzulassen. Nach und nach zerstreute sich das ganze Lager; der abenteuerliche Geist der Goldgräber zog sie weiter nach der Sierra, doch Los¬ Angeles stand in so trefflichem Rufe daß man Mauds „Claim“ zu einem hohen Preise verkaufte. Mit der Vollmacht seiner Freunde ausgestattet, blieb Morgan von nun an allein mit der Wahrnehmung der In¬ teressen der Waise betraut. Sie waren in guten Händen. Kühn für sich, doch klug für sie, operierte er auf diesem neuen Terrain mit vollen¬ deter Geschicklichkeit, indem er seinen praktischen Verstand und seine lang¬ jährige Erfahrung zu Hilfe rief. In wenig Jahren wurde er einer der bedeu¬ tendsten Kapitalisten von Virginia=City und einer der geschicktesten Ausbeuter der Goldminen. Er lieferte den Beweis durch eine kühne Spekulation, die ihn zu einem der mäch¬ tigsten Millionäre von Kalifornien machte. Ueber alle Erwartung durch diese Spe¬ kulation reich geworden, bei der er auch sein Mündel beteiligt hatte, entschloß sich Morgan, Virginia=City zu verlassen und ich nach den Oststaaten zu begeben, wo¬ hin ihn der Wunsch zog, Maud wieder¬ zusehen und sich endlich einer wohlver¬ dienten Ruhe zu erfreuen. Die Lebenserfahrung, die Handhabung der großen Geschäfte, der Verkehr mit höher gestellten Leuten, die durch ihre Erziehung und ihre Manieren seinen Ge¬ fährten in Los=Angeles überlegen waren hatten den sorglosen Goldgräber von einst unwillkürlich, aber wesentlich ver¬ ändert. Sein Horizont hatte sich er¬ weitert, sein Geist sich neuen Ideen ge¬ öffnet. Nichts verriet in seinem Auftreten

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