Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

12 aber nun diese sagen wird in ihrem alten Häuslein zu Neuhausen am End' des Sees, wo's nimmer gar zu weit zu „Un¬ serer lieben Frau am Birkenstein“ hin ist, wenn er ihr die Neuigkeit meldet, daß das prächtigste Madl draußen im Hügellande seine Hochzeiterin wird, die noch dazu den schönsten Hof erhält?! Wenn er drau hoch aufathmend eine neue Höhe hinan¬ steigt, dann wird ihm wieder bänger und er glaubt, es sei Alles nur ein lieber Traum... Aber nein, nein, es ist schon wahr! Vevi hat ihm ja die Treue gelobt und die ist kein Dirndl wie die aller¬ meisten sind, die steht nie von ihrem ge¬ gebenen Wort ab und nimmt nimmer einen Anderen als ihn zum Mann. Und die alte Bäuerin, die Mutter, ist ja ein gutes Leut' und gibt gewiß nach, wenn sie von allen Seiten nur sein Lob hört! So schritt denn der brave Bursche tapfer in die wunderschöne Schlierseer Bergwelt hinein, und als ihm nun der frische Ost¬ wind entgegenwehte, da mußte er laut auf¬ jubeln, und seine Jodler tönten so hell, so schneidig, daß die Sommerfrischler, die ihm begegneten, stehen blieben und ihm verwundert nachschauten. Endlich erblickte er das unscheinbare Häuslein, in dem er geboren wurde, seine Wiege stand und wo das Mütterlein ein¬ sam ihre alten Tage verbrachte, seit der Vater, ein Holzhauer, von einem stürzen¬ den Baume erschlagen worden war. Wie gepreßt er sich auf einmal im Herzen fühlte! Fast wollten ihn die Füße nicht mehr tragen. Der Athem stockte ihm, und weg war jede Spur von Fröhlichkeit! Der kräftige Bursche war von banger Ahnung erfaßt. Nur zögernd stieg er den kleinen Abhang hinauf, und der Juhschrei, mit dem er sein Mütterlein begrüßen wollte, blieb ihm in der sonst so sangesfrohen Kehle stecken. Nur zögernd öffnete er die kleine Thüre, sein Blick, gleichsam von einem Nebel umflort, glitt über den en¬ gen Raum — ach! leichter Weihrauch¬ duft und der Flimmer einer geweihten Kerze erfüllte diese Luft, sein liebes Mut¬ terl lag im Sterben, und der Geistliche hatte ihr soeben die heilige Wegzehrung gespendet! Als nun der letzte Blick der langsam Verlöschenden auf den braven Sohn fiel, da erhellten sich noch einmal freudig die Augen des alten Weibleins und mit letzter Kraft segnete sie ihren ein¬ zigen Buben, der an ihrem Bette nieder¬ gekniet war und im tiefsten Seelenschmerz ihr die welken Hände küßte. Drunten, wo die Kreuze des kleinen Dorfkirchhofes aus einer blühenden Jas¬ min= und Heckenrosenwildniß ragen, be¬ grub man Toni's Mutter. . .. Nun stand er allein — so ganz allein in der weiten Welt da! ... Das große Leid hatte ihm alle seine Zukunftshoffnungen geknickt, und er getraute sich nichts mehr zu er¬ wünschen. Das Häuschen, an dem seine sämmtlichen glücklichen Kindheitserinne¬ rungen hingen, ward von einem „Söld¬ ner" (kleiner Bauer) gekauft — billig genug — der auch gleich die einzige Kuh und die paar Gaißen dazunahm. So konnte das einfache Begräbniß bestritten werden, und als endlich Alles vorbei war, wanderte trüben Sinnes der arme Bur¬ sche, von allen seinen Nachbarn bemit¬ leidet, die ihn herzlich lieb hatten, wieder hinaus aus den wolkenhohen Alpen ins Hügelland, das er kürzlichso frohge¬ muthet und voll der seligsten Hoffnungen verlassen hatte. D'runt' im Schlierachthal hatte sich mittlerweile allgemein die Kunde von dem bei der Roßberger=Bäuerin ausgebroche¬ nen Irrsinn verbreitet. Die im Anwesen bediensteten Ehehalten verweigerten ihre veiteren Arbeitsleistungen, verlangten von der so schwer heimgesuchten Haus¬ tochter, meist noch recht ungestüm dazu, ihre Ablohnung, und schickten sich an, ge¬ rade jetzt in der Erntezeit, wo es am meisten zu thun gab, den Hof zu verlas¬ sen! Da hatte denn Vevi ein kaum zu er¬ tragendes Kreuz auf sich zu nehmen, denn zu diesen Plackereien mit dem unbot¬ — mäßigen, aufgehetzten Gesinde und den schwierigen Aufgaben der großen Wirth¬ chaft, die nun ganz allein auf ihren noch so jungen Schultern lasteten, mußte sie

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