Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

98 Der jüngste der Conventualen trat gegen das große, aus Holz in künstlerischer Weise einst von einem Garstner Mönche ge¬ schnitzte Christusbild vor, das an der Wand, an dem mächtigen Eckpfeiler des Saales hing, welcher jene beiden hohen, mit prächtigen Glasmalereien versehenen Rund¬ fenster trennte, deren eines die Enns ab¬ wärts und hinüber nach St. Ulrich Aus¬ blick gewährte, das andere die grünen Wasser stromaufwärts in die grüne Steier¬ mark zeigte und den ausschauenden Blick mit Entzücken über Gottes herrliche Natur erfüllte. Der junge Priester sprach mit wahr¬ hafter Andacht das Dankgebet und mit tiefem inneren Empfinden sprachen es der Abt und die Klosterbrüder in jenem kräf¬ tigen, wohlklingendem Tone mit, welcher die Andachtsübungen in Klöstern so feier¬ lich und gemüthserhebend für den Zu¬ hörer gestaltet. Noch war aber das Gebet nicht zu Ende, als vom Wartthurme über dem großen Eingangsthor, das von der Straße gen Steyr in das Kloster führte, die langgezogenen Töne, welche der Thurm¬ wächter seinem Signalhorn entlockte, den Mönchen das Nahen eines vornehmen Gastes verkündeten, und ehe dieses Signal noch verklungen war, störte das Knarren der herabfallenden Zugbrücke und das Rasseln der sich streckenden Ketten derselben in noch unerfreulicherer Weise das Gebet. Unwillig erhob der Abt den in an¬ dachtsvoller Weise gegen die Brust ge¬ senkten, mächtigen, weißhaarigen Kopf,so rasch, daß sein langer Patriarchenbart eine stark erzitternde Bewegung nach auf¬ wärts machte, und mit einem befehlenden Blick gab der greise Klostervorsteher einem der ihm zunächst stehenden Mönche ein Zeichen, daß er nachsehen solle, was diese Störung bedeute. Der so Aufgeforderte entfernte sich dann auch so geräuschlos als eilig, um die Andacht nicht zu stören und kam eben im Augenblicke wieder in den Saal zurück, als der junge Conven¬ tuale sein Gebet mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes beendete. Mit fragendem Blick und ebensolchen Geberden wandte sich der Abt an den Eintretenden. „Der Ritter Hartneid von Losenstein ist sammt Gemalin und einem großen Gefolge soeben in den Klosterhof geritten“ berichtete der Mönch mit einer Miene, die deutlich bewies, wie unruhig er über die Ankunft dieses Gastes sein mochte, „er begehrt bewirthet zu werden. „Er begehrt nur vom Kloster Garsten, was sein Recht ist“!) erwi¬ derte der Abt ruhig und nestelte leicht an der goldenen Kette auf seiner Brust, „Garsten hat überdies noch keinem Gaste, ei er wer immer, seine Thür verschlossen, Pater Prior, führt den edlen Herrn und dessen hohe Frau Gemalin hieher, und Ihr Pater Clemens, begebt Euch in die Küche hinab und trachtet, Speis und Trank heraufzuschaffen. Die so Beauftragten beeilten sich den Befehlen des Abtes gerecht zu werden, allein an der Saalthür, deren holzge¬ chnitzte Umrahmung würdig für jenen hohen Kunstsinn zeugte, der im Kloster zu Garsten allzeit heimisch war, stießen sie buchstäblich bereits auf den Ritter von Losenstein, der, ungestüm die Thür auf¬ reißend, hereinpolterte. Sein hochge¬ röthetes Gesicht und der etwas schwan¬ kende Schritt bewiesen, daß er scharf gefrühstückt hatte und in sehr angriffs¬ lustiger Stimmung war. Er trat in protziger Haltung auf den Abt zu, blieb knapp vor ihm stehen, stützte sich auf den Knauf seines grimmig langen Schwertes und sprudelte, ohne weiteren ritterlichen Gruß, heiser aus seiner weinverpichten Kehle heraus: „Ho, ho, der Herr Abt! Bin wohl nicht recht willkommen? He? Glaub's gern, der Hartneid von Losenstein ist ein rauher Kriegsmann und macht nit viel Umständ! Na, keine Angst, bin nit in fehdelustiger Stimmung, wollte nach Steyr hinein, zum Burggrafen, ist aber heut so verdammt heiß, daß ich von dem scharfen Ritt durstig geworden bin! Werdet wohl noch einen Humpen übrig haben? 1) Das Kloster Garsten hatte die kostspielige Pflicht, Ritter, Edle Knechte und sogar Unedle, wenn letztere zu den landesfürstlichen Jägern oder dem Gefolge der Edlen gehörten, sowie den Hunden der genannten, freies Gastrecht zu bieten, wann immer sie kamen.

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