Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

52 Sie sei schon ein älteres Mädchen, das ganz gut wisse, wie es in der Welt zugehe. So mancher brave Dienstbote habe sich durch eine Heirat das Leben zur Hölle ge¬ macht — und so ging es fort. Allein, je mehr sie sich sträubte, umso¬ mehr schien ihm jetzt an der Heirat zu liegen; er wurde immer ungestümer, im¬ mer dringlicher — und so gab sie endlich nach und wurde seine Braut. Dann erzählte sie ihm von ihrem statt¬ lichen Besitz an Wäsche und Kleidern, der für ihr Leben wohl hinreichen dürfte. Sie wollte sich ja auch nicht putzen; nur immer ordentlich und rein erscheinen. Darauf hielt sie. Das war ja auch ihm ganz recht und lebhaft stimmte er ihr bei. Aber die Un¬ geduld verzehrte ihn beinahe, noch etwas Anderes zu hören, etwas, das ihm lieber war, als alle Wäschetruhen und Kleider¬ schränke der Welt! Und seine Braut war gar so umständlich und hielt sich so lange bei Nebensächlichem auf. Dann erwähnte sie noch, daß sie gern ab und zu etwas verdienen wolle, wenn sie erst seine Frau wäre, etwa durch Waschen und Bügeln, durch Stricken und Ausbessern oder durch Kochen — es würde sich schon immer etwas für sie finden. Sie mußte die Möglichkeit ihrer Ver¬ heiratung also doch wohl schon längst so ins Auge gefaßt haben, wenn sie jetzt glattweg ihre Pläne entwickeln konnte. Er Doch Lorenz achtete nicht darauf. es verging beinahe vor Unruhe. Würde denn nicht bald kommen? Jetzt endlich! „Und für den Fall eines Unglücks, einer Nothlage, begann sie langsam und be¬ dächtig, sich gleichsam weidend an seiner schlecht verhehlten Gier, „da besitze ich doch 77 auch einen kleinen Sparpfennig Herr Gott! „Einen kleinen Spar¬ pfennig“ hatte sie gesagt. Es würde also wohl nicht viel dahinterstecken; vielleicht war er gar geprellt?! Doch nein. Ruhig und gleichmäßig fuhr sie fort: so etwas über neunhundert Gul¬ den, ich kann ruhig sagen, es fehlt nur wenig an tausend! Es ist ja nicht viel“ that sie heuchlerisch, „aber es ist doch im¬ merhin etwas. Da that Lorenz einen Freudensprung und dann bekam seine Braut einen herz¬ haften Kuß. Und sie —? Ach, sie hätte diesen ersten — ja sie hätte Kuß so gerne erwidert, wohl noch hundertmal ihre Lippen auf die seinen drücken mögen — aber sie hielt sich zurück. —Er konnte das ja nicht leiden. Sie durfte ihm nicht zeigen, daß ie ihn ganz närrisch liebte, denn sie wußte es, er wollte nur eine „vernünftige" Frau So wurden sie denn ein Paar. Wie sie miteinander lebten, das erfuhr so recht Niemand. Man hörte sie nicht streiten,sah ie aber auch nicht zärtlich thun. So waren mehr als drei Jahre herum¬ gegangen. Wenn Jemand den Lorenz ge¬ fragt hätte, wie er den Ehestand finde, er würde gewiß zugestehen müssen, daß er ganz zufrieden sei. Halt —! Ganz? nein —, das war doch wohl nicht. Sein Weib war gut und treu gegen ihn, zugegeben; sie war überaus fleißig und sparsam, reinlich und genügsam, — Alles was recht ist! Sie führte einen ganz guten Tisch, die Mahlzeiten waren reich¬ lich — Alles wahr! Und sie langte mit dem Gelde von einem „Ersten“ bis zum anderen, obwohl sie jetzt doch Beide davon zehrten. Er lebte im Grunde genommen jetzt bequemer und ging schöner gekleidet, als in seiner Junggesellenzeit, er hatte somit also eigentlich allen Grund, sich glücklich zu preisen. Und doch gab's einen Haken! Jenes Sparcassenbuch, das ihn einst verlockt hatte, um die eigentlich doch schon etwas ältliche Netti zu freien — er hatte es all' die Zeit her nicht zu Gesicht be¬ kommen! Immer, so oft er es zu sehen verlangte, ersann seine Frau irgend eine Ausflucht — Anfangs gab sie vor, es läge noch bei ihrer Herrschaft — sie könne ihre ehemalige Gnädige nicht zur Herausgabe drängen, denn das sähe wie Mißtrauen

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