Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

50 ihr auch nicht so. Gleich zu Anfang, als sie ihren Dienst bezog — als wir unsdie ersten Male im Hausthore begegneten, da zeigte sie nicht übel Lust, mit mir zu schwatzen — genau so wie die anderen auch. Damals machte sie auch gar keinen Eindruck auf mich. Aber dann — dann änderte sich das plötzlich. Sie that fremd, ging rasch an mir vorüber; das fiel mir auf. Ich begann über ihr verändertes Wesen zu grübeln, freilich wohl, ohne dahinterzukommen; ich verlegte mich förmlich darauf, sie zu beobachten. Ja, die —! das ist Eine. Ein ordentliches, reinliches Frauenzimmer. Von Liebschaf¬ ten keine Spur.“ Martin hatte mit verstecktem Hohn¬ lächeln zugehört. — Es ging ja Alles über Erwarten gut. Er bekam ordentlich Hoch¬ achtung vor sich selbst. War doch ein ganz verteufelter Kerl, wenn es sich um's Ränke¬ schmieden handelte. „Also Du bist nicht abgeneigt, wie ich sehe“, fragte er jetzt, des Bruders Rede abschneidend. „Oho, so weit sind wir noch lang nicht“ ließ sich da der Lorenz vernehmen.„Es ist ja Alles gut und schön, ich glaube wirk¬ lich, daß man ihr nichts nachsagen kann, aber die ist doch wieder zu alt für mich. Jetzt war es für Martin an der Zeit, den höchsten Trumpf zu wagen. „Was heißt alt?“ entgegnete er energisch. „Sie ist in den besten Jahren, und, was mehr werth ist, als die erste Jugend: sie hat sich schon ein hübsches Stück Geld er¬ spart. Verwundert horchte Lorenz auf. Nach Art kleiner Leute fühlte er etwas wie Ehr¬ furcht vor einem erworbenen Vermögen, und sollte es an sich auch nur geringfügig sein. „So —? Sie hat 'was? Das wußte ich gar nicht. — Ist's denn viel?“ forschte er neugierig. Und Martin gab bereitwilligst Aus¬ kunft: „Sie besitzt ein Sparcassenbuch auf neunhundert Gulden! „Herrje!“ entschlüpfte dem Anderen ein Ruf des Erstaunens. Für seine Begriffe war das nahezu Reichthum zu nennen. Hatte er für seine Person doch niemals mehr Geld in Händen gehabt, als seinen allerdings anständigen Monatslohn. Und jetzt hörte er von einem Mädchen, das sich durch seine Dienste als Köchin in einem Herrschaftshause neunhundert Gulden er¬ spart haben sollte! Das machte gewaltigen Eindruck auf ihn, und er hätte gern noch etwas Näheres erfahren; doch Martin brach ab, und es wurde nichts mehr über die Sache ge¬ sprochen. Allein sie wollte dem Lorenz nicht recht aus dem Kopfe. Selbst im Traume beschäftigte er sich noch damit. Und auch heute, als er schweigsam auf seinem Fuhrwerk stehend, den weiten Weg zurücklegte, dachte er an nichts Anderes. Etwas später, als der Wagen rasselnd und scheppernd in das große Thor des Zollamtes einfuhr, als die Hufe der schweren Pinzgauer über die lose anein¬ andergelegten Bohlen der Einfahrt tram¬ „ pelten, da fugte es sich gerade, daß Jung¬ fer Köchin Netti über die Stiegen herun¬ tergeeilt kam, um, sich mit dem weitbauchi¬ gen Einkaufskorbe an dem breiten Streif¬ wagen vorbeizwängend, zum Markte zu gehen. Als Lorenz sie erblickte, ließ er Peitsche und Zügel fallen, formte mit den Händen am Munde ein Schallrohr und schrie aus Leibeskräften, um den ohrenzerreißenden Lärm zu übertönen, den der polternde Wagen in der wiederhallenden Thorfahrt verursachte: „Fräulein Netti, geben Sie auf die Wagenschmier Acht. Ich hab' die Achsen g'rad' erst heute Früh frisch ge¬ schmiert.“ Das war so ziemlich die erste Aufmerksamkeit in seinem Leben, die er einem weiblichen Wesen erwies! Netti nickte freundlich. Die Pferde hatten inzwischen auch ohne Peitsche und Zügellenkung gewohnheits¬ mäßig noch ein paar Schritte gemacht. Jetzt standen sie im Hofraum vor der Schröterbrücke, die zu den Speichern führte, still. Lorenz sprang vom Wagen und kam herzu, um nachzusehen, ob das „reine Schürzerl“ nicht doch einen „Klex“ weg¬

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