Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

34 würde. „Wollt Ihr Euch im Feuertrank berauschen? Nimmer darf ich das ge¬ statten. Verzeiht, Euer Gnaden!“ entgegnete der junge Szekler, „nicht deßhalb! Feier¬ lich gelobe ich in meinem und aller Ka¬ meraden Namen hier, daß kein Tropfen Wein unsere Lippen benetzen soll.“ „Nun, was wollt Ihr dann im Dorfe? Nach dem kurzen Ritt könnt weder Ihr noch Euere Rosse ermüdet ein?“ Wohl, gnädiger Herr Rittmeister sind weder wir noch unsere herrlichen Pferde schon ermüdet. Dort wohnt näm¬ lich die alte Zigeunerin Alzide und Keiner der zur Standarte geschworen, kommt da¬ elbst vorüber, da diese im Deuten der Zukunft unübertroffen ist. Sie irrt sich nie und trifft das Geschick eines Jeden, der sich von ihr wahrsagen läßt, haar¬ charf. Da möchten denn auch wir, Euer Gnaden, gehorsamst bitten, daß sie auch uns unser kriegerisches Schicksal prophe¬ zeie. Sehr unmuthig wehrte Fortenbach diese Zumuthung an ihn ab. Zu gut kannte er den entmuthigenden Einfluß eines solchen wahrsagerischen Gaukelspiels Diese alte Betrügerin würde wohl, wie alle ihrer gaunerischen Zunft ihre „Orakel“ in zweideutiges Dunkel hüllen, welches Gutes und Uebles andeuten kann, und letzteres würde, da nun das Menschen¬ herz am liebsten Schlimmes glaubt, am liebsten für möglich gehalten werden! Schäme Dich, Laro, daß Du so aber¬ gläubisch bist! Wirklich hätte ich Dich und Alle für vernünftiger gehalten! Daraus wird nichts!“ Ueber solchen nach seiner Ansicht frevelhaften Unglauben entfärbte sich der Recrut. Da nun der Rittmeister Wider¬ willigkeiten der neuen Husaren befürchten mußte, welche er zu gern vermieden hätte, gab er endlich die Erlaubniß dazu, denn er bemerkte wohl, wie die ganze Schwadron seinem abweisenden Gespräch mit Laro die größte Aufmerksamkeit zu¬ wendete. „Gut also!“ versetzte der Commandant, ich will es Euch erlauben, aber nun ag' mir, Laro, was für ein Weib ist diese Alzide?!“ „Eine kluge, eine gescheidte Frau! Gnaden Herr Rittmeister!“ antwortete der junge Szekler, „die mehr als alle Anderen ihres verrufenen Stammes weiß Die Leute halten sie schon für hundert Jahre alt, während sie ihrem Aussehen nach erst vierzig zu zählen scheint! Bald ist sie hier, bald dort. Nun weilt sie in jenem Dorf, gleich darauf befindet sic ich wieder als die geschäftigste Marke¬ tenderin im kaiserlichen Lager. Schaut man sie nur an, erkennt man sofort das wunderbare Weib und, wen sie einmal lieb gewann, kann in Noth und Tod auf sie bauen; wen sie jedoch haßt, der nag sich vorsehen.“ Laro dankte nochmals herzlich und als er wieder bei seinen erwartungsvollen Kameraden angekommen war, gaben Alle ihrer freudigen Bewegung über die Er¬ laubniß ihres gnädigen Führers durch ein neues jubelndes „Eljen!“ den lau¬ testen Ausdruck. Als die ganze Schaar einige Minuten später auf dem freien Dorfplatz hielt, erschallte der einstimmige Ruf: „Alzide! Sogleich trat aus einer strohgedeckten Hütte mit fast männlichen Schritten eine Zigeunerin hervor, die etwas besser, aber gerade so abenteuerlich und grellfarbig als wie alle andern Weiber ihres Volkes gekleidet war. Sie schien in ihrer Länge und Hagerkeit fast ein Gerippe zu sein und absonderlich die dürren Knochenfinger ihrer übergroßen Hände machten einen geradezu schauerlichen Eindruck. Wenn die Schönheit vieler jungen Zigeuner¬ mädchen bekannt ist, so grauenvoll häßlich werden die Weiber in vorgerückteren Jahren. Alzide machte hievon eine Aus¬ nahme. Sie besaß trotz ihrer scheinbaren vierzig Jahre zu einer nicht ungefälligen Beweglichkeit wundervolle Zähne, reiches nachtdunkles Haar und rabenschwarze Gluthaugen, aus denen List, Schlauheit und unheimliche Tücke hervorsahen. Der

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