Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1902

die große, sittlich wie politisch gerechtfertigte Obstruction der Deutschen, und an dem zähen und einmüthigen Widerstande der Vertretung des deutschen Volkes brachen sich die vereinigten Kräfte terroristischer Hegemonie und octroyirenden Pfuscherei ... Drei Ministerien hat dieses Parla ment verschlungen, ehe die Sprachenverordnungen zu Falle kamen, doch die Obstruction verließ dieses Haus des Verhängnisses nicht mehr. Die¬ jenigen, die nun ihrerseits wieder Obstruction machten, die Tschechen, befolgten damit nur ihr altes politisches, auf Zerstörung gerichtetes Pro¬ gramm. Die Deutschen strebten nur die Beseiti¬ gung der Sprachenverordnungen an, die Tschechen nicht mehr und nicht weniger, als die Beseiti¬ gung des Reichsparlamentes.“ Und die Regie¬ rung antwortete mit der Auflösung des von den Tschechen terrorisirten Hauses. Die Neu wahlen für das neue Haus nahmen nach er¬ olgter Ausschreibung dieser Wahlen am 12. De¬ ember 1901 ihren Anfang. Da in den meisten Ländern die Handelskammern erst im Jänner 1901 zur Wahl berufen wurden, mußte, um das diesen Kammern gebührende Wahlrecht zu wahren, eine Lösung der Frage des Wahlrechtes der Mitglieder der Handelskammern, deren Mandat Ende 1900 ablief, gefunden werden. Dies geschah im Wege einer auf Grund des § 14 des Staatsgrundgesetzes vom 21. December 1867 erlassenen kaiserlichen Verordnung, durch welche verfügt wurde, daß die mit dem Gesetze vom 27. December 1899 bis Ende des Jahres 1900 verlängerte Functionsdauer jener wirk lichen Mitglieder der Handels= und Gewerbe¬ kammern, deren Mandat nach § 6 des Gesetzes vom 29. Juni 1868 bis 31. December 1899 reichte, bis zu jenem Zeitpunkte erstreckt werde, in welchem nach erfolgter Genehmigung der neuen Wahlordnungen die Auflösung der Kam¬ mern behufs Vornahme der Neuwahlen verfügt Das Ergebniß der Wahlen führte werden wird. — zu einer wesentlichen Verstärkung der radicaler Elemente im Abgeordnetenhause, und insbeson — die so dere waren es die Deutschradicalen —, welche genannte „Alldeutsche Vereinigung“ von 8 Vertretern im aufgelösten Hause auf 2 Das war eine im neuen Hause anwuchsen. directe und unzweideutige Antwort des deutscher Volkes in Oesterreich und insbesondere in Böhmen auf die Erlassung der Sprachenverordnungen auf den Versuch, über die Köpfe der Deutschen hinweg zu regieren und diese den Tschechen zu liebe an die Wand zu drücken. Während der Wahlperiode sah sich die Regierung genöthigt, nochmals auf Grund des § 14 für die finanziellen Bedürfnisse des Reiches zu sorgen, indem sie im Wege einer kaiserlichen Verordnung ein Budgetprovisorium für das erste Halbjahr 1901 schuf. Während derselben Zeit hat ein Versuch der Regierung, den autono¬ mistisch=föderalistischen Velleitäten einzelner Kron länder auf halbem Wege entgegenzukommen 67 das ganze autonomistisch=föderalistische Programm hatte ad absurdum geführt. Die Regierung nämlich in den 17 Landtagen Cisleithaniens einen Gesetzentwurf über die Einführung eines einge¬ Landeszuschlages zur Branntweinsteuer bracht, zugleich aber die Erklärung abgegeben daß die Vorlage, welche eine Stärkung der Landesfinanzen bezweckte, nur dann zum Gefetze erhoben werden würde, wenn sämmtliche Land¬ tage dieselbe annehmen. In seiner Sitzung vom 18. December hatte nun der dalmatinische Landtag mit Stimmengleichheit den Regierungsentwurf abgelehnt und so die Regierung gezwungen, ihre von Vorlage auch in den anderen Landtagen, und denen drei, jene Salzburgs, Schlesiens Kärntens, dieselbe bereits angenommen hatten zurückzuziehen und damit war diese autonomistisch¬ öderalistische Episode abgethan. Mit kaiserlichem Patente vom 20. Jänner 1901 war der Reichsrath auf den 31. Jänner 1901 einberufen worden und so trat denr an diesem Tage das neugewählte Abgeordneten haus zu seiner ersten Sitzung zusammen, bei velcher als Alterspräsident der Abgeordnete ür die Stadt Krakau, Dr. Ferdinand Weigel, ungirte. Diese erste Sitzung des neuen Hauses knüpfte würdig an die letzte des aufgelösten Hauses an; diese endete mit tschechischem Spectakel, jene begann mit tschechischem Spectakel, welches Gruppe diesmal die neu im Hause erschienene er tschechischen Agrarier und Socialisten besorgte, welche à tout prix den Alterspräsidenten zwingen wollte, seine Eröffnungsansprache auch tschechisch zu halten. Zu einer zweiten Sturmscene kam es, als der Alterspräsident in seiner Ansprache des Regierungswechsels in England erwähnte und mit warmen Worten der verstorbenen Königin Victoria gedachte, was seitens der eutschradicalen Abgeordneten — der „Alldeutschen der und einzelner Mitglieder Vereinigung“ — deutschen Volkspartei mit lebhaften Protesten mit und den Rufen „Heil den Buren! Nieder Heil England! Heil und Sieg den Buren unseren Brüdern! Nieder mit der Ausbeuter¬ bande!“ beantwortet wurde. So hatte die Thätigkeit des neugewählten Abgeordnetenhauses unter Sturm und Unwetter begonnen und auch der weitere Verlauf der Session bot zunächst keine Aussicht auf Besserung Der Wahl des Präsidenten gingen lebhafte Discussionen und Verhandlungen der Parteien voraus. Die alte Majorität wollte den Deutschen die Stelle des Präsidenten nicht einräumen und diese wieder konnten sich nicht entschließen, den Candidaten der alten Majorität, Dr. v. Fuchs, zu wählen. Doch das Haus wollte schließlich einen Präsidenten haben, und so einigte man ich dahin, diese Würde einem Mitgliede der kleinsten Gruppe des Haüses, der aus drei Personen bestehenden mährischen Mittelpartei dem Grafen Moriz Vetter von der Lilie, dem einzigen Sohne des Landeshauptmannes

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