Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

82 der Regierungspartei fanden, so entstanden da¬ durch dem Ministerium Banffy neue Schwierig¬ keiten. Am 5. December 1898 gab der Minister für Croatien Emerich Josipovich seine De¬ mission, weil Baron Banffy entschlossen war, für den Fall als er zu dem Ergreifen des außergesetzlichen Zustandes gedrängt würde, ihn zu acceptiren und Josipovich darin eine Erschütte¬ rung der Verfassungsmäßigkeit erblickte. Am 7. De cember 1898 gab der Präsident des Abgeord¬ netenhauses Desider von Szilagyi seine De¬ mission, weil er in den von Regierung und Majorität geplanten Maßnahmen eine Gefähr dung der Unabhängigkeit des Präsidiums erblickte. Eine Reihe von Abgeordneten der Majorität schied aus derselben und bildete nun eine Gruppe von Dissidenten, welche bald die Vermittlerrolle zwischen Regierung und Majo¬ rität einerseits und der Opposition anderseits übernehmen sollte. Am 10. December kam es zu neuen heftigen Parlamentsstürmen; die Oppo¬ ition überschüttete den Ministerpräsidenten Bauffy mit beleidigenden Zurufen, wie „Das ist der Vaterlandsverräther! — Hinaus mit ihm! — Vicepräsident Lang gab ebenfalls sein auf Demission und die Verwirrung stieg das Höchste, bis endlich die Verlesung eines kaiserlichen Handschreibens gelang, mit welchem der Reichstag vom 10. bis 17. December ver¬ tagt wurde. Nachdem die während der Vertagung gepflogenen Compromißverhandlungen zu keinem Resultat geführt hatten, da die Opposition die Erklärung abgab, daß sie unter keiner anderen Bedingung, als jener der Demission Banffy's abrüsten wolle, und nachdem sonach auch bis 34. December 4898 eine parlamentarische Behandlung der von der Regierung eingebrach ten Vorlagen nicht erfolgen konnte, so trat an N 1. Janner 1899 in Ungarn der ex lege-Zustand ein, in dessen Folge zunächst die Einhebung der durch die De Steuern eingestellt wurde. Die mission des Präsidenten und Vicepräsi ersten denten des Abgeordnetenhauses zweit der Präsident Koloman Kardos als Todt¬ lag im kranker auf seiner Besitzung Baranyer Comitate darnieder — geschaffene arlamentarische Lage brachte es auch mit sich daß die lez Minorität be¬ Tisza, welche die Knebelung der 25 Mitgliedern zweckte und den Austritt von der liberalen Partei verursachte im Abgeordneten¬ hause nicht eingebracht wurde Inzwischen setzten die Dissidenten ihre Vermittlungsbemühungen fort. Doch lehnten die oppositionellen Delegirter alle Compromißvorschläge der Regierung und der Majorität — welche im Wesentlichen auf die Be¬ willigung der Indemnität und auf eine Revision die Bereitwillig¬ der Hausordnung, sowie auf keit des Minister ums Banffy nach Bewilligung der Indemnität zu demissioniren hinausliefen — ab. Infolge dessen reichte Banffy, um seinem Lande den Frieden wieder zu geben, am 18. Februar 1899 mit seinem ganzen Ministerium die Demission ein. Nachdem so der bestgehaßte Feind der Opposi¬ tion gefallen war, trat in den parlamentarischen Kreisen Ungarns wieder Beruhigung ein. Am 20. Februar 1899 erfolgte die Berufung Kolo¬ man von Szell's zum Nachfolger Banffy's eine Berufung, welche im ganzen Lande eine umso größere Befriedigung erregte, als Szell einer¬ eits ein getreues Mitglied der liberalen Partei und anderseits während der Tage der Krise beim Allerhöchsten Hoflager und in der liberalen Partei für ein milderes Vorgehen gegenüber der Obstruction eintrat. Das Cabinet Banffy verlangte für den Präsidenten des Abgeord¬ netenhauses das Recht, turbulente Abgeordnete aus dem Sitzungssaale zu entfernen und hiezu eventuell Brachialgewalt in Anspruch zu nehmen. Szell aber (Vergleiche lex Falkenhayn.) wollte sich dagegen mit einer solchen Revision der Hausordnung begnügen, welche die technische Obstruction unmöglich oder wenigstens unwirk¬ sam macht. Dem Nachfolger Banffy's bewilligte die Opposition gerne, was sie dem Letztern ver¬ weigert hatte. Bereits am 22. Februar 1899 schloß Szell das Compromiß mit der Opposition ab und am selben Tage war er auch mit der Bil¬ dung seines Cabinets fertig. Die Opposition bewilligte die Indemnität und eine solche Revi¬ ion der Hausordnung, welche die technische Ob¬ truction auch ohne Anwendung der Brachial¬ gewalt in Zukunft unmöglich oder doch un¬ wirksam machen sollte. Szell stellte dagegen ein reiches Reformprogramm in Aussicht. In¬ folge des Friedensschlusses zwischen Regierung und Opposition traten die Dissidenten wieder in die liberale Regierungspartei ein, mit welcher ich auch, nach der am 2. März 1899 erfolgten Auflösung der Nationalpartei, die Mitglieder der Letzteren verbanden, um mit vereinten Kräften Koloman von Szell bei der Durchführung seines Programmes zu unterstützen, welches die Devise „Recht, Gesetz und Wahrheit“ zum Motto hatte. Mit der Bewilligung der Indem¬ nität seitens des Parlamentes und der Publi¬ cirung des sanctionirten Indemnitätsgesetzes im Amtsblatte in der zweiten Hälfte des Monates März hatte der ex lege-Zustand in Ungarn sein Ende erreicht. Noch standen aber dem Ministerium Szell die bedrohlichen Schwierig keiten im Wege, welche aus den Ausgleichsver¬ handlungen mit dem österreichischen Ministerium sich ergaben. Infolge der Vereinbarungen mit der ungarischen Opposition, welche eine neue Formel für den Ausgleich mit Oesterreich verlangte, hatte Koloman von Szell bei den wieder aufgenommenen Verhandlungen eine Formel durchzusetzen versucht, welche nicht nur nicht im Einklange mit den vorjährigen Ischler Vereinbarungen zwischen Thun und Bauffy, der sogenannten Ischler Formel stand, sondern eine völlig neue Situation schuf. Während nach den Stipulationen vom Jahre 1898 sich das Zoll¬ und Handelsbündniß automatisch verlängert

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