Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

74 im Auditorium brach jäh und häßlich die Sitzung ab. Kaum faßt das Publicum, was sich er¬ eignet; der Abgeordnete Kramarz ist verstummt inmitten einer weitausholenden Rede; der dichte Kreis seiner Gegner lichtet sich; auf der Logen¬ gallerie über ihm, welche zumeist die journali tischen Vertreter der Majoritätsparteien besetzen ieht man Abgeordnete der Linken die Hand ausstrecken nach einem tschechischen Publicisten Abgeordnete seiner Nationalität schützen diesen gegen den Angriff; ein Faustkampf von namen¬ loser Erbitterung, der immer weitere Kreise und neue Kämpfer aus Parlament und Publicum herbeizieht, bietet den Galleriebesuchern, die sick taunend, ängstlich und spannungsvoll erhoben aben, ein unheimliches Schauspiel. Unhörbar chließt der Präsident die Sitzung und enteilt seinem Platze. Diesem Parlamentsgewitter folgte am 1. Febrnar 1899 die neuerliche Vertagung Reichsrathes, welche die deutschen Parteien des einer Kundgebung beantworteten, welche in mit dem Satze gipfelte: „Die Deutschen in Oester reich sehen den künftigen Ereignissen mit festen Entschlossenheit entgegen. Ihr letztes Ziel ist nicht der Kampf, ihr Ziel ist nicht die Ent zweiung der Völker Oesterreichs, ihr Kampf gilt dem Systeme: Einen gegen den Andern auszu¬ spielen, dem Systeme, das deutsche Element durch große und kleine Maßregeln zurückzudrängen und zu reizen, dem Systeme, welches dadurch die unerschütterlichen Grundlagen des Reiches preisgibt. Je größer die Gefahren sind, die uns umgeben, desto mächtiger wird auch unser deutsches Pflichtgefühl angespornt werden zur Wahrung der Rechte unserer Muttersprache und unserer nationalen Erziehung, unseres Besitzstandes und unserer Stellung im Staate. Wir sind erfüllt von dem Gedanken, der uns zusammenführen muß, dem Gedanken der Besonnenheit, Unbeug¬ samkeit, Einigkeit.“ Nun war für die Regierung die Bahn frei zu neuen Verhandlungen mit den deutschen Oppositionsparteien oder zu einer neuen Schwenkung in das slavische Lager. Eine end¬ giltige Entscheidung in dieser Richtung ist bis¬ her nicht getroffen worden, wenn auch zu wieder holten Malen und auch in fast officiöser Weise die Meldung auftauchte, daß die Regierung die Sprachenfrage, u. zw. in einem den Deutschen entgegenkommenden Sinne, im Wege eines Noth¬ gesetzes auf Grund des§ 14 und unter gleich¬ zeitiger Aufhebung allerSprachenverordnungen regeln wolle. Die zunächst Betheiligten, die Ver¬ treter des deutschen Volkes im böhmischen Land¬ tage, schienen allerdings in eine für die Deutschen jedeihliche Entwicklung der Dinge in Oesterreich keine besondere Hoffnung zu setzen, denn die Landtagsabgeordneten der deutschen Fortschritts¬ partei faßten in einer am 13. März 1899ab¬ gehaltenen Versammlung Be neuerdings den des chluß, der „angesichts Fortbestandes Sprachenverordnungen und daß des Umstandes die Regierung in allen eine ihren Maßnahmen den Deutschen durchaus gegnerische Haltung beobachtet und unverhüllt der Slavisirung der Vorschub leistet, an den Verhand¬ Monarchie lungen des böhmischen Landtages nicht theilzu¬ nehmen, wobei die deutschen Vertreter im Landes¬ ausschusse, Landesschulrathe, Landeseisenbahn¬ rathe und in allen anderen Landesinstituten einmüthig ersucht wurden, ihre Functionen fort¬ zuführen. Nach der Vertagung des Reichsrathes trat das Cabinet Thun neuerdings mit der ungari¬ schen Regierung in Unterhandlung, um die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche durch die Unmöglichkeit einer parlamentarischen Ausgleichs¬ berathung sich ergaben, Schwierigkeiten zu welchen ich im Laufe dieser Verhandlungen auch jene gesellten, welche aus der ungarischen Minister¬ krise hervorgingen, von welcher später die Rede oll. sein Die immer steigende Bedrängniß der Deut¬ chen in Oesterreich legte die Nothwendigkeit einer strammen Einigung aller wirklichen Deut¬ chen immer kräftiger dar und eine am 9. April 1899 in Wien abgehaltene Conferenz der deutschen Vertrauensmänner diente dem Zwecke, durch eine einheitliche Feststellung der national=poli¬ tischen Forderungen der Deutschen in Oesterreich dieser Einigung die Bahn zu ebnen. Nach lang¬ wierigen und eingehenden Verhandlungen erschien endlich am 21. Mai 1899 ein Manifest der deutschen oppositionellen Parteien im Abgeord¬ netenhause „An das deutsche Volk in Oesterreich! welches die „allgemeinen national=politischen Forderungen“ der Deutschen, die „allgemeinen Grundsätze für die Regelung der Sprachenfrage und die „besonderen Grundsätze für die einzelnen Länder“ anführte. Wie sehr die deutschen Forde¬ rungen gemäßigt und begründet waren, beweis der Umstand, daß sogar der Ministerpräsident Graf Thun in einer Sitzung des Executivcomité der EI“ Rechten eine Ernlärung abgab, wonach die Regie¬ rung in dem national=politischen Programm der Deutschen ein geeignetes Substrat zu Verhand¬ lungen der Parteien untereinander erblickt und daß die großen Majoritätsparteien dieser Erklärung zustimmten, natürlich mit Ausnahme der Jung¬ tschechen, welche in gewohntem chauvinistischen Uebermuthe das Manifest als einen beispiellosen Angriff auf die sogenannten guten Rechte der Tschechen bezeichneten. Dem vielen Unfreundlichen, welches die Deutschen Oesterreichs in ihrem Kampf um ihre Muttersprache, um ihr Heimatrecht im weiten Habsburger=Reiche zu erfahren haben, kann als erfreuliches Gegengewicht das Verhalten des Cardinals Kopp entgegengehalten werden, welcher nicht nur im schlesischen Landtage, dem er als österreichisch=schlesischer Kirchenfürst angehört, für die Rechte der deutschen Sprache eintrat, sondern auch durch den Beschluß der Errichtung eines deutschen Priesterseminars und die Erwerbung eines Gebäudes für dasselbe in Weidenau, seine

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