Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

40 arme Krüppel daheim, der es nicht mehn lange treiben würde, selbst wenn er sich von dem Croupanfall erholte, was der Doctor für zweifelhaft erklärte, mußte ein anständiges Begräbniß bekommen wie es Die vom Wendelhof immer ge habt. Auf Unterstützung vom Sonnen wirth war dabei nicht zu zählen, denn Anne=Marei hatte mehrere Mal schon erklärt, lieber verhungern zu wollen, als bei ihrem Vater etwas zu erbetteln, und dabei blieb es wohl, wenn sie „einmal ihren Kopf aufgesetzt,“ wie Nazi es nannte. Bei den Geldverleihern, denen Bäumer's Verhältnisse bekannt, konnte er nimmer anklopfen, weil er mit den Zinsen im Rückstand geblieben. Wo nun hin?... Plötzlich taucht ein Hoffnungs¬ strahl vor ihm auf, der rasch bestimmtere Form annimmt und nachdem er die Arzneiflasche in der Apotheke gelassen, wo das Heiltränkchen erst gekocht werden muß, geht er etwas beschleunigteren Schrittes durch allerlei enge Gäßchen in denen er sich prüfend umsieht. Offenbar ist er nicht im Begriff, Jemand aufzusuchen, bei dem er oft die Gewohn¬ heit hat, einzukehren. Endlich bleibt er vor einem beschei¬ denen Häuschen mit einer Werkstätte daneben stehen. Er tritt bedächtig ein wie Einer, der sich noch etwas überlegt „Der Herr ist in der Werkstätte; soll ich ihn rufen?“ beantwortet eine gräm¬ liche Alte, die hier haushält, seine Frag nach dem Hausherrn „Ja, antwortet Nazi kurz und läßt sich etwas schwerfällig auf einem Stuhle nieder, als ob er hier zu Hause wäre „Nur nicht schüchtern auftreten“ ist ein Grundsatz, den er als praktisch erfunden Aber es kostet ihn doch einige An¬ strengung seine Sicherheit nicht zu ver lieren, wie gleich darauf Toni Lomand eintritt, der sich nicht Zeit genommen, die Arbeitsschürze abzulegen. „Grüß Gott, Vetter,“ empfängt ihn Nazi mit einer Art von Herablassung, jedoch den Vetter betonend „Guten Tag, Bäumer,“ sagt der Schreinermeister in gedehntem Tone, aus welchem unangenehme Ueberraschung deutlich herausklingt Toni Lomand dachte nicht besser von dem Manne, den sich Anne=Marei ge¬ wählt und ihm vorgezogen, als dieser verdiente. Dennoch hätte er die Unver¬ rorenheit Nazi's, Geld von ihm borgen zu wollen, nicht für möglich gehalten, wäre eine Sinnestäuschung nicht ausge¬ chlossen gewesen. Hielt ihn der Mann, dessen Gestalt ihn so bedeutend über¬ ragte, der wenig nur von seiner männ¬ lichen Schönheit eingebüßt hatte, wenn man die Spuren übersah, welche ein wüstes Leben seinen etwas verschwom¬ menen Zügen aufgedrückt, hielt ihn dieser Kerl für so dumm oder so groß müthig, daß er es wagen konnte, bei ihm eine Anleihe zweifelhafter Art zu machen? Toni schämte sich der Schwäche, die er gezeigt, indem er den Korb, welchen ihm Anne=Marei gegeben, so zu Herzen genommen, daß er sich noch immer keine eigene Häuslichkeit gegründet. Sollte er ich nun auf's Neue schwach zeigen und von seinem sauer erworbenen Gelde an den trägen Gesellen abtreten, der ihm als Ursache seines verpfuschten Lebens galt? Nein, ganz so dumm war er denn doch nicht! Toni, ein nach außen sonst ruhiger Mensch, hatte sich in eine innerliche Wuth hineingearbeitet, welche um so heftiger war, als sie bei ihm zu den Seltenheiten gehörte. „Nein, Nazi Bäumer,“ sagt er end¬ lich mit spöttisch verzogenem Munde, nachdem er wieder fähig ist, mit Ruhe zu sprechen: „Du mußt schon einem Andern mit Deinem Besuch eine Ehre anthun. Was ich an Geld da liegen hab' darauf wartet bereits der Holzhändler. Ich bezahle baar,“ fügt er mit einem gewissen Selbstbewußtsein hinzu Nazi ist ganz roth geworden und will sich zum Gehen wenden. Da fällt ihm aber noch zu rechter Zeit ein, daß nun nichts mehr übrig bleibt —als der Sonnenwirth, und ein Besuch bei dem

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2