Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

Auf dem Wendelhofe. Eine Dorfgeschichte von Emy Gordon. (Nachdruck verboten.) chon fing der Abend an, leichte streben, ein nach Freiheit lüsternes Mit¬ SSchatten über das Dorf Klein¬ glied der Hühnercolonie in seine Behau¬ Hesselbach und seine anmuthige ung zurückzuführen, unterbrochen wurde. Umgebung zu werfen. Die „Guten Abend, Anne=Marei,“ sagte meisten Dorfbewohner hatten Feierabend Tomi in etwas zaghaftem Tone, indem gemacht und einzelne Stammgäste des er sich dicht vor der verschlossenen Latten¬ Wirthshauses „zur Sonne“, das für das thüre des Hühnerhofes aufpflanzte. „Ich beste im Orte galt, schickten sich schon möcht' Dir was sagen, laß mich hinein¬ an, den Weg dorthin einzuschlagen. kommen, fuhr er weiter. Am letzten Abend der Woche waren „Bist wohl nicht gescheit! Wenn wer es gewöhnlich nur ältere Männer, wie Fremder da ist, geht der schwarze Peter der Schultheiß, der Lehrer und einige chon gar nicht bei,“ kam die Antwort Andere, welche die „Sonne“ aufsuchten; von des Sonnenwirths einziger Tochter, die jüngeren warteten bis zum nächsten einem schlanken, blonden Mädchen, dessen Tag, um sauber und im Sonntagsstaat eines Gesicht viel zu blaß war, um als sich im Sommer im Garten, in der Empfehlung für die gute Wirkung der schönen, langen Laube den frischen Trunk Landluft zu gelten. bringen zu lassen, oder im Winter in „Laß mich ein, ich bitte Dich schön, der geräumigen Stube, in welcher ein Bäsle! gewaltiger Kachelofen dafür sorgte, das Ach, was Bäsle!“ erwiderte unge¬ man die draußen herrschende Kälte vergaß. duldig das Mädchen. „Unsere Verwandt¬ Heute aber ging doch Einer der schaft kann ja nicht einmal die Gro߬ „Sonne“ zu, welcher zu den Jungen mutter herausklügeln!“ rechnete und dessen Gewohnheit es nicht „So sag' mir, wann ich morgen eben war, immer auf der Wirthshausbank kommen kann,“ besteht Toni, ohne den zu sitzen. Toni Lomand, seines Hand¬ Einwurf bezüglich seiner Verwandtschafts¬ werkes ein Schreiner, war besser gekleidet, ansprüche zu beachten. als Einer, der gerade die Werkstatt ver¬ Anne=Marei hatte schon eine Antwort lassen hat. Er kam von der Stadt, wo¬ auf den Lippen; aber sie besinnt sich hin er Möbel für ein großes Herrschafts eines Andern und statt weiterer Worte haus geliefert. Er arbeitete nämlich so chiebt sie den Riegel zurück und gewährt chön, daß ihn die angesehensten Meister ihrem Besucher den freien Eintritt. gerne beschäftigten. Verblüfft ob ihrer plötzlichen Sinnes¬ Schön konnte der Bursche nicht ge¬ änderung steht er vor ihr und wischt nannt werden; nur ein Paar ehrliche ich etwas verlegen den Schweiß von blaue Augen nahmen für ihn ein der Stirne. „Soll ich Dir nicht zuerst Toni, als er die Wirthschaft erreichte Deinen Gockel suchen helfen?“ fragte er schien es mit der Erfrischung nicht eilig diensteifrig. zu haben, denn trotzdem ihm Rosel, die „Laß den Gockel in Ruh,“ meint Kellnerin, schon von Weitem zurief das Mädchen abweisend, „und laß hören, man habe eben frisch angestochen, ließwas Du zu sagen hast.“ er den Garten bei Seite liegen und ging „Ich hab' halt hören wollen, ob Du bedächtig dem Hühnerhofe zu. Dir's überdacht hast. Es ist jetzt gerad „Komm, komm, Gockele komm,“ lockte ein Jahr, daß ich mit Dir gesprochen dort in allen Tonarten eine weibliche hab' und Du gesagt hast: ich kann Stimme, die von Toni in ihrem Be¬ mich nicht entschließen, frag' wieder an 2

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