Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

98 Der alte Vollbrecht, so hieß der Förster, war seit seiner Kindheit in der Gegend des heutigen Christkindl, kannte daher, wie er zu sagen pflegte, „jeden Winkel" daselbst und doch gestand er sich selber, daß sich nach den Erdbeben am 25. Jänner und 2. Februar 1349 die Gegend um sein Haus herum gar sehr und nicht zum Vortheile ihres Eigen- thümers Herzog Albrecht II.*) verändert hatte. Die Wege waren meist durch Felsstücke ungangbar geworden, oder es hatten dieselben vielhundertjährige, niln entwurzelte Bäume im Fallen verlegt, der schmale Holzsteg zur Uhuhütte war in den Abgrund gestürzt und der Arm der Steyr, welcher den Fuß der Christ- kindler Felsen bespülte, war durch Felstrümmer so verlegt worden, daß dessen Wasser weit im Bogen aushvlte, um erst weit abwärts das alte Bett wieder zu erreichen. Wollte der alte Vollbrecht seinem gnädigsten Herrn die Jagd und das Er- trägniß von Wald und Wiesen auch iu Hinkunft sichern, so hieß es wacker zugreifen und die verursachten Schäden im Vereine mit den Leuten der Eisenhämmer, so weit als thunlich, beheben, und das that denn der alte Vollbrecht uub schaffte im Schweiße seines Angesichts rüstig mit, so daß er im Mai schon dem Burggrafen nach Steyr melden konnte, daß „soweit alles nun wieder in Ordnung sei." Leider war jedoch um diese Zeit im Hause des Försters keine „Ordnung" mehr, wie der Förster mit einem gewissen Anflug von Galgenhumor zum Hammer- schmiedmeister Mathias drunteu bei der Steyr sagte, „in keiner Beziehung Ordnung", denn seine Tochter Marie, die den schmucken Hans, seinen Forstgehilfen und künftigen Nachfolger im Försterdienste geheiratet hatte, war seit einem halben Jahre schon krank und bettlägerig, und aus der hübschen und netten Frau war ein abgehärmtes, hohläugiges, schwaches Weib geworden das mit tiefem Kummer *) Albrecht II. Herzog von Oesterreich, der „Weise", auch der „Lahme" genannt, ein der Stadt Steyr besonders gnädiger Herr, geboren 1298, regierte vom 18. Jänner 1330 bis zu seinem Tode am 20. Juli 1358. das von ihr geleitete kleine Hauswesen ihres Vaters, das auch ihr eigenes war, täglich weiter zurückgehen sah, und deren Mutterherz schier brechen wollte darüber, daß ihr Söhnchen, der etwa sechsjährige Oswald, sich ganz selbst überlassen blieb, wenn sein Großvater und ihr Mann den Verufspflichten nachgingen, die schwer und zeitraubend genug waren. Im Hause schaffte nunmehr eine alte Magd, welche Frau Marie bereits, als diese noch ein Kind war, betreut hatte, schlecht und recht, wartete die Kranke, kochte für die Männer und nähte Oswalds Kleider, die der wilde Bube nur zum Zerreißen bekommen zu haben vermeinte. Der herzogliche Arzt aus dem Schlosse zu Steyr kam ab und zu, iu den. letzten Wochen sogar täglich, iu das Försterhaus heraus, aber so frohe Hoffnung er dem Vater und dem Gatten der Kranken bis nun gemacht hatte, jetzt war er gar verschlossen, wenn er kam, und mürrisch, wenn er ging. Heute war er besonders schweigsam gewesen, und dem Förster, der Hiebei anwesend war, ahnte nichts Gutes. Daher fragte er den Arzt, den er ein Stück Weges gen Steyr begleitete, was derselbe über die Krankheit Frau Mariens denke. „Schlimm, schlimm ist die Sache", hatte der Arzt zögernd und erst auf eindringliches Bitteil geantworlet. „meine Kunst ist, glaube ich, wohl zu Ende da und auch die anderer Aerzte, wenn nicht Gott ein Wunder thut, worum ich zu bitten Euch dringend angerathen haben möchte!" Der Förster, obwohl selber etwas Arzt, da er der Natur manch' Geheimniß abgelauscht hatte und es gar wohl verstand, die verschiedenen Pflänzlein als Arzneien zu verwerthen, wie es eben seine Vorliebe für die Natur und deren Schätze mit sich brächte, hatte wohl schon Solches vorgeahnt, war darob aber doch gar heftig erschrocken und hatte sich schweren Herzens vom Arzte getrennt, um den Heimweg anzutreten, während dessen ihm fortwährend der Gedanke durch den Kopf ging, seine Tochter könnte vielleicht doch noch gerettet werden, wenn er nur die Mittel für die gehörigen Arzneien und für eine Luftveränderung auszutreiben int Stande wäre, wie der Arzt dringend angerathen hatte. Aber leider war der alte Vollbrecht am Ende mit seinem Gelde, denn seine ohnehin kargen Ersparnisse waren bereits aufgebraucht, weit iu den Landen unter den jetzigen Zeitverhältnissen das Geld so rar, wie bei ihm selber; in Steyr, bei seiner gnädigen Herrschaft, hatte er bereits seinen Sold für zwei Jahre nach und nach im voraus genommen, zu dem der Burggraf aus den verfügbaren Mitteln, sowie aus Eigenem barmherzig manch' Goldstück hinzugesügt hatte. Von dort war auf eine ausgiebige Unterstützung also nicht mehr zu hoffen — warteten ja doch gar so Viele auf namhaftere Hilfe des allzeit freigebigen Herzogs, der nicht einem seiner Unterthanen allein zu helfen hatte und helfen konnte. So in tiefes Sinnen versunken, sah sich der alte Vollbrecht plötzlich am Fuße jenes Felsens, auf welchem heute das Gasthaus in Christkindl sich befindet. Wirr und fast unübersteiglich thürmten sich hier die vom Erdbeben abgestürzten Felsblöcke in der Schlucht durcheinander und kaum hätte es Jemand unternommen, sich unter und über das Gestein hindurch zu arbeiten. Dem Förster aber, dessen Seelenstimmung so recht zu diesem trostlosen Landschastsbilde paßte, schien eine solche Anstrengung sehr lockend zu seiu, vielleicht deshalb, weil er dabei feine Gedanken von seiner Häuslichkeit ab und auf andere Dinge brächte, und so drang er mühsam in die Schlucht ein, durch die er beim Aufstieg zum Försterhaus seinen Weg zu nehmen gedachte. Wie er so dahinstieg, bald sprang, bald kletterte, gewahrte er zu seinem Erstaunen in dem sonst fast glattabfallenden Felsen, worauf di-- Uhuhütte stand, einen klaffenden Spalt, der sich von weit über Mannshöhe bis zur Sohle des Grabens 99 erstreckte und so breit war, daß ein starker Alaun leicht durchschlüpfen konnte. Dieser Spalt erwies sich bei näherer Betrachtung als ein Eingang in das Innere des Felsens, vielleicht zu einer Höhle, die das jüngste Erdbeben geschaffen, denn der Förster konnte sich flicht erinnern, früher hier einen Höhleneingang bemerkt zu haben. Er war aber sogleich entschlossen, die Sache näher zu untersuchen und so lveit als möglich in die finster gähnende Felsenöffnung hinein vorzubringen. Der alte Vollbrecht suchte daher aus dem Holze, das in den Gesteinsmassen so reichlich eingebettet herumlag, trockene, harzige Aeste aus, die sich als Leucht- spähne wohl verwerthen ließen, befestigte einen guten Vorrath davon in dem Ledergurt, der sein Wamins zusammenhielt, schlug Feuer und brächte bald eines der harzigsten Aestchen zum Hellen Brennen. Der Schein dieser Flamme ermöglichte es dem Förster recht wohl, einige Schritte weit im Finstern deutlich zu sehen und, das lange Jagdmesser an einem Riemen griffbereit über den linken Arm gehängt, da er auf eine etwaige Begegnung mit einem Raubwild gefaßt sein wollte, sprang er über den halbmannshohen, dem Eingänge vorgelagerten Felsblock hinab und befand sich so im Felsspalt, der sich bald als ein wenn auch schmaler, so doch gut gangbarer Weg in das Innere des Felsens erwies und den er ohne Zögern weiter verfolgte. Nach kaum vierzig bis fünfzig Schritten kam der Förster schon an das Ende dieses Ganges und befand sich nun in einer hohen, wie es schien, sehr großen Höhle, deren Boden aus feuchtem Lehm bestaud, uud an deren schwarzen, glitzernden Wänden hie und da Sickerwasser herab- tropste. Der Förster war über seine Entdeckung nicht wenig erstaunt uud begann nach einigem Herumblicken vorsichtig das Innere der Höhle zu untersuchen. Sie erwies sich als ziemlich runder hohler Raum im Felsen, dessen Wände glatt und senkrecht waren, nur gerade vor sich 7*

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