Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

38 39 auf, der mit finsterer Strenge auf sie niederblickte. „Warum?" vermochten ihre blassen Lippen hervorzustanuneln. „Warum?" wiederholte er bitter, mit schwerer Betonung. „Kannst Du mir Rede und Antwort stehen,' Helga?" fuhr er weicher fort,' als er einen Himmel voll Liebe und daneben soviel unendlichen Leides aus ihren gebrochenen Blicken strahlen sah. Sie nickte demüthig und sah brünstig zu ihm auf. Es war Alles vergessen, was er ihr angethan. „Helga, warum hast Du mir das gethan?" stieß er gebrochen hervor und ergriff ihre zitternden Hände. O, Helga, Du hast an mir gehandelt, wie Gudrun, die Kjartan mißtraute, und ihn verrieth. Nur daß ich elend bleiben muß, daß neue Liebe mich nicht trösten wird!" „Bjarni!" ächzte sie wehevoll, „treibe nicht Spott mit meinem Leid! Dn verstießest mich! Während ich Deiner Heimkehr sensuchtsvoll harrte, nahmst Du ein fremdes Weib an Dein Herz!" „Arme Betrogene', man täuschte Dich. Nie ward ich Dir treulos, nie verrieth ich Dich. Du warst der Stern, der mir in den Jahren des heißen Ringens voran- leuchtete. Du, in der ich zugleich meine Heimat liebte, meine arme, einsame Heimat, Du warst die einzige Sehnsucht meiner Träume. In Dir liebte ich Alles, was meine glühende Seele mit Liebesfackeln umschlang, meine Eva, mein Paradies, meine Welt!". Er sank vor ihr nieder und barg das zitternde Haupt in ihrem Schoß. Sie schwieg erschüttert. „Ich weiß," fuhr er leise, gebrochen, in ihrem Schoß sprechend, fort, daß ich Dir nicht zürnen darf, wenn ich Deme Liebe mit irdischem Maß messe. Ich hatte sie in den Himmel geschrieben und hielt sie für unwandelbar, wie die ewige Gotthett! Sie war es nicht, — sie war schwach und klein, — eine elende, irdische Menschenliebe nur. Sieh, ich biu nun das elendeste Wesen der Schöpfung und ich war so reich, — so reich, als ich kam! Ich hatte so viel erstrebt, so viel errungen für Dich — und eine einzige elende Krankheit, die mich niederwarf, sie machte mich zum Bettler!" Er bebte, von heißem Schluchzen erschüttert. „Du schriebst nicht, nie hörte ich von Dir," hauchte sie zitternd. „Das ist Deine Antwort!" gab er bitter zurück. „Hatten wir es nicht so verabredet, hattest Du es nicht so begehrt, weil Du Deine Liebe vor des Vaters Augen geborgen wissen wolltest?" „Ich zählte damals sechzehn Sommer und sürchtete seinen Zorn. . Als ich älter wurde und die Freier kamen, gestand ich's dem Vater und hoffte und ersehnte ein Zeichen Deiner Treue — Du gabst es mir nicht. Aber trotzdem harrte ich in Treue bis zu der gestellten Frist und wäre noch länger standhaft geblieben, wenn nicht die schreckliche Kunde" . . . „Leichtgläubige, was jetzt? Bist Du glücklich mit Petur?" „Was jetzt!" stöhute sie erschüttert. „Bist Du muthvoll, bist Du stark genug, liebst Du mich noch so viel, um mir einen Theil des gestohlenen Glückes zurückgeben zu können, Helga?" fragte er mit unterdrückter Gluth, in heißer Leidenschaft ihreHändepressend. „Würdest Du mir folgen, wenn ich sagte: Komm?" „In die Hölle," entgegnete sie leidenschaftlich. „Gut, Geliebte. Dann will ich uns die Pforten des Paradieses gewaltsam erschließen! Unser Glück soll eine Auferstehung feiern, daß die Engel unser Menschthum uns neiden! Wo kann ich Dich ungestört Wiedersehen?" „Ich werde Abends, wenn Petur schläft, auf -den Fjord kommen, dort in der Mitte' harre meiner." „Gut. Geh jetzt, Geliebte." Er drückte ihre Hände an seine heißen Augen, sah noch einmal zärtlich beschwörend zu der Geliebten auf, dann ging er. * Helga blieb mit gesenktem Haupt und im Schoß gefalteten Händen in dem Mauerwinkel sitzen, von einer Last unsagbaren Entzückens niedergebeugt, das erstandene göttliche Wunder anstaunend, daß an ihrer beiderseitigen Liebe nichts geändert war. Was konnte sie nun noch anfechten? Was weiter geschah, empfand sie ohne Bewußtsein. Petur nahm sie an der Hand, beim Pfarrer trank sie Kaffee; es ist isländische Sitte, daß die ländlichenKirchen- besucher im Pfarrhaus bewirthet werden, und die Pfarrerin wollte ihr irgend ein vertrauliches Bekenntniß entlocken. Dann saß sie wieder aus dem Pferde, um auf gewohnter Straße, über den heimischen Fjord, . der sie von der Stadt und den diesseitigen Nachbarn trennte, zu Hause anzulangen. Endtich wurde es Nacht, schlaftrunken drängte Petur zu Bett. Als er sich auf's Lager gestreckt hatte, verließ Helga, häusliche Geschäfte vor- schützend, die Stube, eilte über den schneebedeckten Hof, den breiten, zum Fjorde führenden Abhang hinunter, auf die schimmernde, schneeglitzernde Fläche, die im Sommer in gewaltigen Wogen gegen die Ufer drängt, dem dunklen Schatten entgegen, der von der anderen Seite des Ufers auf sie zustrebte. Mit einem jauchzenden Aufschrei, der die ganze Qual vergangenen Leides ab- schüttelte und einen Strom ungeahnten Glückes über ihn ergoß, sank sie in Bjarni's Arme. Minutenlang hielten sie sich schweigend umschlungen, Seele in Seele verschmolzen, wie zwei von einander ge- trennte Weltkörper, die sich nach langer Trennung auf gemeinsamer Bahn begegnen und mit elementarer Gewalt wieder vereinigen. „Nun laß ich Dich aber nimmer," siegte er mit heiliger Ergriffenheit. „Nun laß ich Dich aber nimmer," wiederholte sie erschöpft. „Helga, sieh, jetzt kommt unsereBraut- sahlt, ich nehme Dich nun mit mir in die Fremde. Mit dem Morgengrauen verläßt ein Schiff das Gestade. Bist Du stark genug, Alles hinter Dir abzubrechen und mir zu folgen auf die unbekannte Bahn? Willst Du die Brautfahrt mit mir wagen?" „Ich wäre stark genug mit Dir zu versinken, furchtlos in Deinen Armen niederzusteigen in die dunkle Fluth, wenn uns das Schicksal unter dieser Fläche begraben wollte," entgegnete sie heiß. Und als wollte das Verchängniß die arge Beschwörerin strafen, erstand plötzlich eine schwankende Bewegung unter ihnen. Taumelnd klammerten sie sich aneinander, doch ehe sie Zeit fanden, ihren lähmenden Schreck zu äußern, knirschte es berstend, mit lautem, donner- ähnlichen Getöse unter ihnen und ringsum, und ein Hagel von heulenden, prasselndeir Lauten stöhnte aus allen Fugen der platzenden Eisfläche. „Das Eis treibt!" ächzte Helga, in den Knien zusammenbrechend, „wir sind verloren!" Instinktiv bei ihm Schutz suchend, klammerte sie sich an ihn, der sie willfährig heißer umschlang. „Nun zeige, Helga, daß Du stark bist, daß Deine Liebe über der Todesangst steht," mahnte er mit versagender Stimme, sich mühsam zur Fassung aufrichtend. „Wir müssen das Ufer zu erreichen suchen." „Dort hinüber zu uns," stöhnte sie .und hing sich zitternd an ihn, die in wahnsinnigem Grauen erweiterten Augen auf die schwankende Fläche heftend, die sich in furchtbaren Stößen hob und senkte und mit gräßlichem, gurgelnden Rollen und zischendem Gestöhn ihr zorniges Erwachen ankündigte. Er zog sie, die schwer in seinen Armen hing, in der angedeuteten Richtung fort, während es ringsumher immer wüthender zu toben, immer tiefer zu gurgeln und zu brausen begann und die gesprungenen Eisflächen sich befreit schaukelten, sich knackend und berstend aneinander rieben, in plumper Raserei gegen einander drängten, in kolossaler Massig-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2