Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1896

Inzwischen war der Nachmittag weit vorgeschritten und Station Zwei erreicht, wo die Pferde wieder gewechselt wurden und Butler sein Bierfleisch, schwarzen Kaffee und weißes Brot als Mittagsmahl einnahm. Eine gute große Portion, aber doch nicht zu groß für ihn, der noch eine weite Strecke Wegs bis zur Endstation vor sich hatte. Wie er wieder zu Bock stieg und eben die Pferde anziehen ließ, um abzufahren, erhob sich der Stationsvorsteher von seiner Bank und trat zum Wagen. „Du, Butler, es erwartet Dich da unten am Wegweiser ein alter Kerl, der gern mitfahren möchte. Vor kaum zwei Vergiß nicht, Stunden war er hier! — ihn niemals aus den Augen zu lassen, Und der einfache Land¬ hörst Du?!“ mann wies auf seine Pistolen, die er unter dem Oberhemde versteckt hielt, gleichsam seiner Warnung Nachdruck zu geben. um Butler nickte mit dem Kopfe. „Dank, Johny, werde meine Augen offen halten, kannst Dich darauf verlassen! Die frischen Thiere im Geschirr sausten davon und die leere Postkutsche rollte ihnen nach. „Das ist gewiß „Old Jim“, murmelte Butler vor sich hin, als seine geübten Augen den krummen Weg entlang suchten. „Der alte Schuft will sich noch von mir zu fahren lassen, um gleich bei der Hand ein, wenn Copper Tom mich angreift! Oho, mein Freund, ich rieche Lunte!“ Die Zähne knirschten zusammen vor Zorn „Gut!“ sagte und innerer Bewegung. — er nach einigen Minuten. „Ja, er soll mit¬ fahren!“ Wieder hatte er einige Meilen gemacht, da sah er im Schatten einer großen Fichte, welche dicht an der Landstraße stand, den angemeldeten Passagier stehen. Wie die casselnde Kutsche näher kam. schaute ihn der Wanderer an und kam ihm entgegen. Halloh Kutscher! Wollt Ihr einem armen Bettelmann einen Gefallen thun und ihn eine Strecke mitnehmen? Ich kann nicht weiter, bin zu alt geworden für Fu߬ reisen, zu arm, um das Fahrgeld zahlen zu können. Wollt Ihr mich mitnehmen?“ 59 Mit diesen Worten trippelte der Alte neben der Kutsche her. Seinem Aeußeren nach mußte er arm sein, das konnte man ihm ansehen, denn sein Anzug bestand von Kopf bis zu Fuß nur aus Lumpen. Er mußte auch schon sehr alt sein, denn die tiefen Furchen seiner Haut, die weißen Locken seines Haares schlossen jede Ver¬ kleidung aus, sie waren zu natürlich. Halb spöttisch, halb mitleidsvoll, aber dennoch der Gefahr mißtrauend, zog Butler die Zügel an und sagte zum Alten: „Ja, aber macht schnell und steigt bei mir herauf. — Ich muß suchen meine Stunde Rast wieder einzuholen! — Wohin wollt Ihr? Der Alte hatte an seiner linken Seite Platz genommen und antwortete: „Nach Dickson's.“ Ein Peitschenhieb und die Pferde liefen wieder im raschen Trabe weiter. Butler ah sich während der Fahrt seinen Reise¬ gefährten näher an und faßte dabei fast inwissentlich nach seinen Pistolen. „Kaltes Wetter für einen Maitag! emerkte der Angekommene fröstelnd. „Der Wind macht sich wieder tüchtig auf! „Ja, ziemlich kühl heute Nachmittag, erwiderte Butler und suchte dabei zu er¬ forschen, wo denn eigentlich wohl der neben ihm sitzende Schurke unter seinen Lumpen irgend eine Waffe verborgen hielt. „Kalt ist es, aber dort, in der Teufels¬ chlucht wird's wärmer werden!“ „Das glaube ich auch!“ fiel der Ge¬ ährte dem kaltblütigen Butler ins Wort, als dieser seine Pferde zu rascherem Tempo antrieb. Die Steigung der Landstraße war er¬ reicht, und der Weg führte nun in senkender Richtung zu steil sich erhebenden Felsen, welche erst vereinzelt, dann gleich einer Kette zu beiden Seiten ihn einschlossen. Noch eine Meile und die Schlucht war er¬ reicht. Die Kutsche wiegte sich auf ihren tarken Federn durch die rasche Fahrbe¬ wegung. „Old Jim“ mußte sich mit beiden Händen an seinem Sitze festhalten, wollte er nicht vom Bocke zur Erde fallen. Das war es, was Butler beabsichtigt hatte und

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