Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

30 sichtchen, als ob schon der Todesengel seine Fittige über sie breite. Lange, lange hatte sie mit geschlossenen Lidern regungslos dagelegen, hastig und keuchend Athem schöpfend. Als die Athemzüge allmälig leiser, schwächer und kürzer wurden, da erfaßte den Mann, der keinen Blick von den theuren Zügen verwandte, eine namenlose Angst. Soll das schon das Ende sein? Er strich ihr, wie eine zärtliche Mutter das mit ihrem Liebling thut, die dunklen Flechten aus der alabaster- hellen, feuchten Stirne und rief, indem er sich ganz nahe über sie beugte, im Tone der hoffnungslosen Wehmuth, der Verzweiflung ihren Namen. Der Klang der theuren Stimme schien die flüchtige Seele wieder nach der Erde zurückzuzwingen. Sie schlug die nächtlich-schwarzen Augen auf und der Strahl derselben traf voll und ganz auf ihn. Die Sterbende erkannte den Geliebten, ihr Blick, ans dem unsägliche Liebe leuchtete, bewies es. Sie bewegte die Lippen, aber sie vermochte nicht mehr zu sprechen.------------- Durch die offene Thür der Küche klangen monoton und schläfrig, wie wenn der Landregen auf das Schindeldach Plätschert, die Sterbegebete. Die Nachbarn und Nachbarinnen saßen beim trübseligen Lichte eines Kienspanes, der das niedere, dumpfige Gelaß mit Qualm erfüllte, auf der Ofenbank, auf umge- stürzten Kufen oder auch auf dem festgestampften Lehniboden und ließen die Schnapsflasche wacker im Kreise herumgehen. Man muß sich stärken bei so trau- riger Verrichtung mrd trösten. Es ist immer was Trauriges, wenn eine Braut stirbt. Und so trösteten sich beim die mitfühlenden Herzen, daß sich ihre Gesichter dunkel rötheten und ihre Stimmen rauher klangen. Eintönig und gedankenlos plapperten die Guten die Sterbegebete herunter, in, einem getragenen, feierlich gedehnten Singsang, daß es fast so klang wie ein Wiegenlied, und während die Bitten um linden Tod und fröhliche Urständ über ihre lallenden Lippen kamen, schielten sie begehrlich nach der dickbäuchigen Flasche, deren Mündung sich stets an einem durstigen Munde befand. Endlich erschien der hagere, lange Pope, um den man vor zwei Stunden geschickt halte, als man sah, daß es mit der Kranken zu Ende gehe, und daß sie in den letzten Zügen liege. Er war nicht früher gekommen, weil er nicht zu wecken gewesen. Wenn er tüchtig berauscht war, dann schlief er so fest, daß ihn ein Kanonenschuß nicht aufscheuchen konnte — und er schlief fast immer einen solchen schweren, bleiernen Schlaf. Die Bauern hielten ihrem Seelen- hirten, der sie mit glotzenden, vorqnellen- den Augen stumpfsinnig der Reihe nach ansah, die Flasche entgegen, mit der er sich sofort in eine längere Unterhaltung einließ. _ Er stellte die Opferfreudigkeit seiner Schäflein bei Gott auf eine harte Probe. Als er glaubte, die nöthige Fassung erlangt zu haben, ging er mit ziemlich unsicheren Schritten ins Krankenzimmer hinein. Die Wachskerze zu Häupten der Priska war vollständig abgebrannt. Der Simon hatte das Gesicht in die Bettkissen vergraben; er hielt eine Leiche mit seinen Armen umschlungen.---------— Der Simon ging wie ein Träumender herum. Aller Lebeusmuth, ja selbst die Frische der Jugend schien von ihm gewichen zu sein, und sein Sinnen und Sehnen weilte immerdar bei einem frisch aufgeworfenen Erdhügel. Ringsum, im Wald und auf der Wiese begann das Frühlingsweben— er merkte.nichts davon. Still vor sich hinbrütcnd, saß er stundenlang vor seinem Hause. „Brüderchen, wie geht's?" redete ihn ein alter Bauer au. „Sie vermissen dich schon in der Schänke. Vergiß, was gewesen und mach eine von den Dirnen glücklich, die nach dir die Blicke schicken!" Der Simon lächelte trüb den Alten an, der ihn mit forschenden Augen betrachtete. „Vergessen — ja, wer das könnte!" Er seufzte tief auf. „Du bist krank, Brüderchen," sagte der Bauer, indem er wie unwillkürlich einen Schritt zurücktrat, „der Gram saugt die Kraft aus den Knochen; rast' dich auf!" Simon legte die Hand aufs Herz „Es ist, als ob mir da drinnen was zerrissen oder zersprungen wär'; ich glaub', ich werde meines Lebens nimmer froh werden!"--------- Es schien, als ob der Simon nur zu richtig prophezeiht. Am nächstenTagever- mochte er sich vom Lager nimmer zu erheben, so schwach und matt fühlte er sich. Die alte, heilkundige Eudoxia besuchte ihn, um an ihm ihre Künste zu erproben. Die alte Hexe war auch nicht int Zweifel über das Mittel, durch das dem Kranken einzig und allein noch Rettung konnte. Die Aufregung im Dorfe war eine ungeheuere, als man aus ihrem Munde^länger hinausgeschoben werden, es galt die Ursache von Simon's schweren Leiden Ein Vampir lag auf ihrem Friedhofe begraben, eine Leiche, die sich um Mitternacht aus ihrem Grabe erhebt, um den Lebenden den rothen Lebenssaft auszusaugen — zuerst denen, die ihr im Leben die Theuersten gewesen und dann auch den Anderen, den Fremden! lind wer ist der Vampir, dessen 31 Gespenst wandelt im Dunkel der Nacht heimlich mordend umher, sich mit gräßlicher Gier an dem warmen Herzblute der Lebendigen sättigend? - Wahrhaftig, ein Kind vermag diese Frage zu beantworten. Jetzt erinnerte man sich mit einem- male daran, daß Priska's Augenbrauen zusammenstießen und daß ihre Lippen blaß und schmal gewesen-—untrügliche Kennzeichen der Vampire, der schrecklichen Blutsauger, die keine Grabesruh' finden können. Gottlob, daß man die Entdeckung gemacht, eh' der Simon zum Opfer gegebracht werden fallen, nun war er noch zu retten, wenn man unverzüglich handelte. Nein, die rettende That durste nicht nicht das Leben eines Einzelnen, es handelte sich um Aller Leben. Dieser Gedanke entfachte die angstvolle Wuth der Bauern bis zum sinnlosen Fanatismus. Die Männer wie die Weiber be- waffneten sich mit Hauen und Schaufeln und zogen vor das Haus des Popen, der. wie gewöhnlich, mit hochgeröthetem, aufgedunsenem Gesichte so fest schlief wie ei« Dachs im Winter. Er setzte ihren

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2