Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

110 in deren Tiefen nun mehrere Krähen und Dohlen dem Gespanne nachhüpften, um die durch die Pflugschar frisch aufgewühlten Schollen genauer noch zu untersuchen, ob nicht ein Wurm oder gar ein Mäuschen zu erhäschen wäre, welche durch das Umlegen des Erdreiches aus ihrem bisherigen Verstecke herausgelockt wurden und nun einen leckeren Braten für den heutigen Tag der Vogelwelt abgeben sollten. — Gegen Nachmittags führte mich der Weg entlang eines hellgrünen Gebirgs- baches, welcher zwischen hohen Felswänden murmelnd über größere, bald kleinere Steine und selbst auch manchmal über große Felsstücke herabstürzte. Hin und wider scheint derselbe jetzt schon eingeengt, denn theilweise dienen kleine Abtheilungen von Fluderwerk dazu, das fleißige Gebirgswasser für eine Sensen- schmiede dienstbar zu machen, welche dieser nieversiegenden Naturkraft für den Betrieb des Gewerkes bedarf. Tag und Nacht ertönen dort drinnen die wuchtigen Schläge des sogenannten Breit- und Sensen-Hammers, die Einem — ist man einmal nur etwas daran gewöhnt — wie harmonische Accorde im gleichmäßigen Tacte tagelang noch nachklingen, wenn man auch längst das reizende Thal wieder verlassen hat. Aus meiner Sensenschmiede: Das Büchlein, sonst so frei im Lauf, Zieht nun in einer Straße fort Und schwellt sich hoch und breit dann auf Oben bei der Schmiede dort Und wartet, bis der Schmied An der Stange ziehtI — Dann stürzt ein Strom auf's Wasserrad, DaS Tag und Nacht nicht Ruhe hat. — Und drinnen in der Schmiede der Gesell' am Feuer schürt. Das Eisen an der Zange, daß es heiß und glühend wird. Und ist das Eisen recht erhitzt, Der Schmied damit zum Ambos sitzt Und hält es unter',» Hammer hin. — Ja, so geht's in der Schmiede drin! An maucheni Tümpel des geschäftigen Gebirgsbaches vorbeikoinmend, sah ich dann tief unten, nur >nit Mühe, die sonst so lustigen Forellen im Schatten eines Erlengebüsches fast regungslos stehen, um von inir nicht so leicht bemerkt zu werden, während ein hoch oben in der Luft über einer mächtigen Felswand, die über den hohen Berg heraus- ragte, jetzt ein Falke, die Flügel weit ausgebreitet, sich kaum bewegend, stand und nur dadurch leichter sichtbar wurde, daß er von einer im blauen Azur befindlichen weißen Wolke grell hervorstach. — Jedenfalls suchte derselbe nach Beute. — Da erklang ein Schuß — und der Falke, hierdurch aufgeschreckt, verschwand mit Pfeilesschnelle im Gehölze hoch oben.— Aus meinem Lautenspieler: Doch weh! Du Vöglein hier! — Was that man Dir? — „Ein Jäger mich geschossen, Weil ich froh des Morgens war, Und er, darob verdrossen, Wollt's nicht leiden, der Barbar, Und schoß mich armes, armes Thierchen, Das den Adler nur gescheut, Und sorgenlos dem Jäger Noch sang ein Liebchen heut'!" — Da lehnt' ich meine Laute hin Und wollte nimmer weiter ziehn! — Doch sieh! — Was kann die Welt dafür, Wenn Jäger lauern für und für! — Drum nehm ich wieder 's Ränzchen Und die Laute in die Hand, Doch zog ich nicht sehr heiter Wieder fort in's weite Land! Die schmale aber gute Gebirgsstraße, an mancher Stelle nur mit Mühe dem Terrain abgerungen, da auf der einen Seite der gar oft reißende Gebirgsbach, auf der anderen die hohen Felswände sich befanden, schien beinahe ganz verlassen zu sein. Nur hie und da kam ich nach stundenlangem Gehen an einem oder dem anderen roth angestrichenen Kreuze vorüber, bei denen ich aber jedesmal stehen blieb, den Hut abnahm und in religiöser Stimmung versunken das meist schon sehr verblaßte Bild samint den Worten zu entrüthseln suchte. Gewöhnlich bezeichneten solche Kreuze Unglücksstellen, denn entweder war dort ein Mann durch ein Fuhrwerk verunglückt, — oder es hatte sich hoch oben ein Felsstück losgelöst, oder es kam ein Holzklotz herunter, welche dann im Niederstürzen einen harmlosen Wanderer begruben, oder daß gar durch die ruchlose Hand eines Wilderers ein gewissenhafter Jäger den gräßlichsten Tod in der stillen Einsamkeit fand. » * Jetzt breitet sich das enge Thal et- tvas aus; die Felswände treten zurück und erscheinen dadurch auch niedriger, und endlich stand ich vor einem Thalkessel, an dessen rechter Seite ein kleiner, spiegelklarer See sichtbar wurde, an dessen dunklem Ufer ein Hirsch mit seinem Anhang — es waren vier Stück Wild — stand, um sich an dem frischen Wasser zu laben. Etwas weiter zurück, dort, wo sich die schmale Straße über einen Hügel links hinaufzog und im Walde zu verlieren schien, kamen jetzt drei Kohlenwagen herausgefahren. Sie haben von weit zurück von den zahllosen Kohlen- stätten die Holzkohle herauszubringen, die von einem Sensengewerke, an dem ich vor ungefähr vier Stunden hoch oben vorüber kam, und das sich an dem Ausflüsse des Gebirgsbaches in den Fluß befindet, benöthigt wird. _ Wie festgebannt blieb ich an dieser Stelle noch geraume Zeit stehen, um mich an dem Anblick des früher beschriebenen herrlichen Bildes, mit dem Wilde ain See, noch länger zu erfreuen. Inzwischen waren die Kohlenfuhren näher herzu gekommen, und hin und wider schnalzte einer der Knechte, da er das Wild jenseits der Straße bemerkt hatte und dasselbe durch sein Schnalzen- aufscheuchen wollte, was aber ganz vergebens war. — Das sonst so leicht aufgeschreckte Wild erhob kaum die Köpfe vom Boden, denn es fühlte sich in dieser Gegend mehr als sicher und betrachtete diese täglichen Fuhrwerke als etwas Natürliches und Selbstverständliches, das sowohl zur Landschaft als auch zu ihnen gehörte. — Nun waren auch die Fuhrwerke in die enge Schlucht, von der ich früher - 111 heraufgekommen war, eiilgefahren. Das Knarren der Räder von den drei Kohlenwagen war längst verstummt, als das Wild bedächtig und langsam nach der Höhe des Waldes sich zurückgezogen hatte. Von einem ziemlich steilen Gebirgs- steig herunter kam mir jetzt eine ältere Magd mit dem Gruße: „Gelobt sei Jesus Christus" entgegen. — Der lichtblaue Kattunrock mit weißer Schürze und das rothe Halstuch'stachen von der grünen Landschaft malerisch ab. — Ihr Kopf war beschwert, wie dies in unserer Heimat üblich ist, mit einem Korbe, in welchein sich Milchtöpfe und Käse befanden, welche Sachen sie noch zu dem Bauern auf- der entgegengesetzten Seite des Thales, nahe am See, bringen mußte. Da sie ein Stück Weges mit mir zu gehen hatte, so erzählte sie mir in in ihrer Leutseligkeit, daß sie von der ungefähr zwei Studen entferntenAlpe käme, und dann, wenn sie zu Hause den Korb abgegeben hat, erst noch zwei Stünden weit zu gehen habe, um — da. heute Morgens oben in den Alpen der Halter beim Austrieb des Jungviehs von einem Jährling niedergestoßen worden sei und nun krank in der Alpe darniederliege — den nächsten Arzt zu holen, um welchen Dienst sie von der Sennerin ersucht worden. — Inzwischen werde dem Manne von der Sennerin ein Thee gekocht und kalte Um- schläge gegeben. Nach einer halben Stunde bog die Magd wieder von der Straße ab und empfahl sich mit den in der Gegend üblichen Worten: „P f ü r t ihn« Gott und bleibens g'sund!" — Bald war die gute Person im Gestrüppe, durch welches ihr Weg führte, verschwunden. Mein Ziel war, heute nur noch bis zum sogenannten Jägerhause, das zugleich als ein bescheidenes Gasthaus in der dortigen Einsamkeit galt, zu gelangen, das ungefähr Dreiviertelstunden von der Stelle, an der ich mich befand, noch entfernt war. Da nun dunkle Wolken ini Westen sich zeigten und die Sonne schon öfter durch dieselben verdeckt wurde, so ver-

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