Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

90 der öffentlichen Arbeiten Baihaut, am 10. December demissionirte das Cabinet Ribot, um Freycinet, der ebenfalls compromittirt schien, hinauszudrängen, am 20. Jänner wurde der geflüchtete Cornelius Hertz in London verhaftet. Die erste gerichtliche Entscheidung in dieser Affaire fiel am 9 Februar. Vor der ersten Kamnier des Pariser Appellgerichtes wurde vcr- urtheilt: Ferdinand v. Lesseps, der unsterbliche Schöpfer des Suezcanales zu fünf Jahren Gefängniß und 3000 Francs Geldbuße; seine schwere Krankheit hat ihm bis jetzt die Demüthigung der Vollstreckung dieses Urtheiles erspart. Sein Sohn Charles Lesseps ebenfalls zn fünf Jahren Gefängniß und 3000 Francs Geldstrafe; Fortune und Baron Cottn zu je zwei Jahren und 3000 Francs; Eiffel zu zwei Jahren und und 20.000 Frniics Geldbuße. 9(nt 24. Februar wurde Jules Ferry zum Kcrdinand v. Lesseps. Scnatspräsidcnten gewählt. Er hatte sich dieser Ehre nichl lauge zu erfreuen. Schon am 17. März itarb er plötzlich au einen, Hcrzschlag und wurde mtt allen Ehren, die ihm die Nation schuldete, zu Grabe getragen . . ^m März wurde der Pauamaproceß vor den Panser Geschwornen fortgesetzt. Im ^erlaufe desjelben wurden compromittirende Anträge gegen Floquet, Freycinet und Clö- menceau gethan, Bathaut legte ein volles rcu- muihiges Schuldbekenntniß ab, der Justiz- minister Bourgeois wurde beschuldigt, auf Ma- dame Cottn sträflichen Einfluß in Beziehung auf ihre Aussagen vor Gericht genommen zu ''°ben - kurz alle Geltung der Autorität und bürgerlichen Wohlanstandigkeit war aiifgehoben. war ein unsäglich trauriges Bild allaemein^ Berderbtheiü Am 21. März erfloßdas' Urtheil dieses Gerichtshofes: Charles Lesseps wurde uneder zu einjähriger GefäugniMrafe, Blonbin zu zweijähriger, Bath au t zu fünfjähriger Freiheitsstrafe verurtheilt. Schon der 36. März brächte wieder eine Cabinetskrise. Trotz der Abmahnungen des Conseilspräsidcntcn lehnte die Deputirtenkammer die Abänderungen des Senats an dem Budget ab, weshalb dasMiuisteriumRibotdemissionirte, um einem Cabinet Dupuy Platz zu machen. Ob damit ein Ende der französischen Wirren herbei- gcführt ist, muß erst die Zukunft lehren. Ohne kleine Scandal ging es natürlich auch unter diesem Ministerium nicht ab. So kam es am 19. Juni zu einer argen Scene im Parlament. Clämenceau wurde nämlich von den Depulirten Millevoye und Döroulöde beschuldigt, ein mit ausländischem — englischem Gelde bezahlter Agent zu sein. Millevoye erbot t>ch sogar, Documcntc hicfür beizubringen, welche aus eiucnl Bureau der englischen Botschaft geIngenieur Kiffer. stohlen seien. Am 22. Juni brächte Millevoye seine „Documente" wirklich, es erwies sich aber daß dieselben gefälscht seien. Nun wurde ein gewisser Norton, ein Neger, als derjenige genannt, dem Millevoye die Documente verdanke der also offenbar auch die Fälschung begangen habe — damit eben ein Sündenbock da sei. Millevoye und Deroulsdc aber legten ihre Mandate nieder. England. Es ist nicht verwunderlich, daß in diesem politischesten aller Länder der Rückblick auf das verflossene Jahr mit einem politischen Ereignisse von großer Tragweite eröffnet werden muß Eiide Juni fand näinlich die längst erwartete Auflösung des eiiglischen Parlamentes statt. Die Neuwahlen für d,e Volksvertretung begannen schon am 4. Juli und waren bereits um die Mitte des Monats beendet. Es war voraus- zusehen, daß sich dieselben zu einem großartigen Kampf zwischen dem bisherigen Premier Salis- bury und dem Haupte der liberalen Partei Gladstone gestalten würden. Anfänglich schien es, als ob die Aussichten Salisburys nicht schlecht stünden. Während der verflossenen sechs Jahre seiner Amtswirksamkeit hatte er Großes für die Ausbreitung der englischen Weltherrschaft gethan, ohne deshalb, wie es Beaconsfield gethan, die Nation in kostspielige und blutige Unternehmungen zu verwickeln. Gladstones Popularität hingegen schien mit dem furchtbaren Gewichte der irischen Homerule belastet, denn selbst die Anhänger dieses um die Ausbreitung der freiheitlichen Institutionen hochverdienten Mannes mußten sich gestehen, daß ein eigenes Parlament in Dublin einen Pfahl im englischen Staatskörper, eine Quelle von unaufhörlichen Zwistigkeiten zwischen dem irischen Landespar- lamente und dem Centralparlamente in West- minster bedeuten würde. Während der ganzen Wahl herrschte demgemäß auch große Unsicherheit, da die Gegner fast gleich stark waren. Das Resultat war, daß Gladstones Partei eine Majorität von wenigeit Stimmen erhielt, welcher nunmehr im Abgeordnetenhause eine geschlossene starke Minderheit von conservativ unionistifchen Elementen gegenüberstehen sollte. In die ersten Tage des August fällt die zweite Reise Kaiser Wilhelms II. nach England, wo der Enkel des Begründers des Deutschen Reiches vom Volke mit der gebührenden Ehre und vom Hofe mit der in den verwandtschaftlichen Beziehungen begründeten Herzlichst it empfangen wurde. Seine Reise hatte keinen politischen Zweck, denn zwischen England und Deutschland schweben keine offene Fragen, die der Lösung bedürften; aber als ein weiteres Symptom der vortrefflichen Beziehungen zwischen . beiden Reichen, ist sie werth als erfreuliche Thatsache festgehalten zu werden. Am 4. August wurde das englische Parlament nach den Wahlen wieder eröffnet. Die Thronrede der Königin zur Verlesung zu bringen war eine der letzten Abhandlungen Salisburys. In der Abstimmung vom 11. August, mit welcher ihm mit 360 gegen 310 Stimmen das Mißtrauensvotum ertheilt wurde, zeigte stets zum erstenmale ziffernmäßig die Constellation des neuen Hauses. Salisbury zog dieConsequeuzen aus dieser Thatsache. Das Parlament wurde bis zum 18. August vertagt. Salisbury reichte am 12. seine Demission ein, welche auch sofort von der Königin angenommen wurde. Am 13. August wurde Gladstone mit der Bildung des neuen Ministeriums betraut, die auch sofort vorgenommen wuree. Gladstone als Premierminister — das bedeutet, daß England nunmehr vor der Perspective der Homerule, der administrativen und legislativen Losreißung Irlands vom dreieinigen Königreiche stehe. Am 19. September fand eine Versammlung 91 der Vereinigung der Grubenarbeiter von Nord- Wales (60.000 an der Zahl) statt, welche eine Resolution zu. Gunsten des Achtstundentages an- nahm und die Forderung aufstellte, daß ein Arbeiterminister ernannt werde. Eine zweite socialistische Manifestation wurde am 13. November am Trafalgar Square in Scene gesetzt, und von etwa 60.000 Arbeitern beschickt. Am 31. Jänner erfolgte die Eröffnung des Parlaments mit Verlesung der Thronrede, die sich jedoch bezüglich der Homerule nur in sehr allgemeinen Ausdrücken erging. Erst am 13. Februar brächte Gladstone Ste Bill im Hause der Gemeinen ein. Während sie hier ihrer par- lamentarischen Erledigung eutgegensah, machten sich außer der Parlamentarischen Opposition auch in der Bevölkerung gewichtige Stimmen gegen dieselbe geltend. Namentlich der protestantische Theil Irlands verdammte in wiederholten Demonstrationen die legislatorische Action des Premiers, und am 2. März wurde in Belfast Gladstone sogar in effigie verbrannt. Im Monate April — am 26. — fand sich unter Anderem eine Deputation aus Ulster bei dem Lordmayor von London ein, um ihm vorzustellen, daß im Falle der Annahme der Bill der Bürgerkrieg mit Blutvergießen in Irland nicht zu vermeiden sei und bat ihn um seine Unterstützung. Der Lordmayor verwies die Agitation derer von Ulster zwar auf den parlamentarischen Weg, konnte aber doch nicht rrmhin, auch seinerseits ein persönliches Votum gegen Homerule abzugeben. Indessen ist im Monat Mai das Gesetz anae- nommen worden. Bis es in Giltigkeit erwächst wird allerdings bei dem Jnstanzenzuge de^ britischen Parlaments noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Am 23. Juni wurde England von einem schweren Uuglücksfall betroffen, von einem Unglücksfall, der umso mehr Bestürzung und Trauer hervorrief, als er eine Institution betraf, auf welche die Engländer vor allem stolz sind: ihre Flotte. Eines der größten und stolzesten Schiffe der englischen Mittelmeere, die „Victoria", versank ber Tripolis. Admiral Tryon, einer der angesehensten und erprobtesten Flottenführer Englands beging durch ein falsches Commando einen Fehler welcher zur Folge hatte, daß die „Victoria" von ihrem Nachbarschiffe „Camperdown" angerannt und in den Grund gebohrt wurde Tryon hielt mit dem sinkenden Schiffe Stand und bezahlte seine Schuld mit einem helden- müthigen ^.ode; mit ihm aber gingen mehrere hundert braver Seesoldaten zu Grunde. Tryon selbst gestand un Augenblicke seines Todes vor einem seiner Ofsicrere seine Schuld ein. Großartige Sammlungen zu Gunsten der Hinterbliebenen der verunglückten Seesoldaten wurde alsbald in ganz England eingeleitet. Ein freudiges Ereignis; hat bei diesem Lande den Jahresruckblick zu beschließen. In den ersten Tagen des Juli — am 6. — fand in

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