Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

80 81 Am 17. März erfolgte der Rücktritt des langjährigen, verdienstvollen und unparteiischen Präsidenten des Abgeordnetenhauses Franz Smolka aus Gesundheitsrücksichten. Alle Parteien wetteiferten miteinander, dem greisen Staatsmanne den Zoll ihrer Verehrung abzu- statten. Zu seinem Nachfolger im Präsidium wurde Freiherr v. Chlumecky gewählt, der aus diesem Grunde von der Leitung des Clubs der vereinigten Linken zurücktrat. An seine Stelle trat Geheimrath Graf Kuenburg. Am 27. März starb in Emmersdorf der Politiker Dr. F- Fischhof, nachdem er bereits seit Jahren seines leidenden Zustandes wegen fern vom öffentlichen Leben, in ländlicher Muse gelebt hatte. Er war einer der hervorragendsten Führer im 48er Jahre. Deshalb wurde er unter- großer Betheiligung" und Trauer von Anhängern Areiherr v. ßytumecky. der fortschrittlichen Parteien am 29. beerdigt und am offenen Grabe von den Abgeordneten Dr. Sueß und Dr. Kronawetter in begeisterter Weise gepriesen. Am 10. April war Budapest der Schauplatz eines verruchten Atteutates. Ein entlassener Kellermeister des Fürstprimas von Ungarn, Cardinals Vaszary, wußte sich den Zutritt zu den Gemächern des Kirchenfürsten zu erschleichen und überfiel den nichts Ahnenden mit einem Messer. Glücklicherweise eilte der Sccretär des Primas. P. Medardus Kohl, hinzu und deckte den Primas mit seinem Leibe. Er erhielt dabei mehrere schwere, jedoch nicht tödtliche Wunden. Der Attentäter wurde von herbeigeeilten Priestern und Dienern überwunden und dem Gerichte übergeben. In Ungarn dauert der stille Kampf der conservativen Elemente gegen das kirchenpolitische Programm der Regierung fort. Den Reigen der Denionstrationen eröffnete am 10. März eine Denkschrift der Bischöfe; ihr folgte eine Reihe anderer Kundgebungen in demselben Sinne, welche jedoch nicht im Stande waren, die Regierung in ihrer Haltung wankend zu machen. Aber dieser Kampf vollzieht sich in äußerlicher Ruhe und Ausbrüche des Chauvinismus kamen in den letzten Monaten nicht vor. In Anbetracht dieser Sachlage unternahm der Kaiser nach halbjähriger Pause wieder eine Fahrt nach Budapest (3. Mai). Auch die am 2L Mai abgehaltene Honvedfeier verlief in völliger Ruhe. Um so bewegter sah es in Böhmen aus. Im Landtage stand Mitte Mai die in der nationalen Abgrenzungsvortage vorgesehene Errichtung der zwei deutschen Kreisgerichte in Schlan und Trautenau in Verhandlung. Die Jungczechen, die zuerst durch Obstructionsreden die Annahme dieser Vorlage zu hindern gesucht hatten, griffen am 17. Mai zu einem Mittel der Gewalt. Sie erhoben einen wilden Tumult, bei dem die Fäuste an Stelle der Argumente traten, so daß der Landtag geschlossen werden mußte. Am 23. Mai starb Auton Ritter v. Schmerling nach langem Krankenlager im hohen Alter von 87 Jahren. Jeder Oesterreicher weiß, was der Name dieses großen Staatsmannes für Oesterreich bedeutet. Er war das Haupt und die Zierde der liberalen Partei, aber auch seine politischen Gegner ehrten in ihm den überlegenen Geist, .die eiserne Willenskraft, den glühenden Patriotismus und den makellosen Charakter. Der Kaiser ehrte das Andenken seines langjährigen treuen Dieners dadurch, daß er dem Leichenbegängnisse beiwohnte. Die Führer der Partei hielten an seinem Grabe Trauerreden und bei der festlichen Jahresversammlung der Akademie der.Wissenschaften am 31. Mai hielt Erzherzog Rainer dem verewigtenCurator dieser illustren Körperschaft einen warmen Nachruf. Am 24. Mai begann der Congreß deutscher Schulmänner und Philologen unter Vorsitz des Hofrathes Härtet in Wien zu tagen. Sowohl der Kaiser als. auch Unterrichtsminister Baron G autsch anerkannten die Bedeutung dieser Gelehrtenversammlung dadurch, daß sie dieselben best sich empfingen. Auch die Stadt Wien begrüßte die fremden Gäste im Rathhause durch den Bürgermeister Dr. Prix. Am 26. Mai traten die Delegationen in Wien zusammen und wurden am 27. vom Kaiser empfangen. Der böhmische Streit wetterleuchtete auch in dieser Versammlung; die Jungczechen wurden nämlich infolge stillschweigenden Uebereinkommens der anderen Parteien von der Wahl in die Ausschüsse ausgeschlossen. Hingegen kam in den Delegationen eine andere Frage zur Klärung, die nur geraume Zeit vorher die Gemüther' in Aufregung versetzt hatte. Einzelne Regimeutscommauden hatten nämlich den Mißgriff begangen, den zu Reserveofficieren ernannten Studirenden das Versprechen abzu- nehmen, daß sie keiner studentischen Verbindung angehören wollten. Darüber erhob sich ein gewaltiger Sturni in der gesammten Studentenschaft, welche darin mit Recht eine Verletzung der durch die Staatsgrundgesetze gewährleisteten staatsbürgerlichen Rechte erblickten. In Innsbruck nahmen die Studenten zuerst Stellung gegen diese Verfügung, die Wiener und Grazer akademischen Bürger schlössen sich ihnen sofort an Die akademischen Behörden gaben den Studenten Recht und nahmen ebenfalls Stellung gegen das Vorgehen der Militärbehörden. Professor Sueß erhielt das Mandat, eine diesbezügliche Interpellation in der österreichischen Delegation an den Kriegsminister zu richten. Am 6. Juni kam jedoch der Kriegsminister dieser Interpellation zuvor, indem er erklärte, daß dieses Vorgehen der Z^gimentscommanden einen mißverständlichen Uebereifer zur Ursache hätte, und daß eine Remedur unverweilt eintreten werde. Am 2. Juni nahm inSchwechat das siebente nieder österreichische - Bundesschießen seinen Anfang, welches dadurch ein besonderes historisches Interesse erlangte, daß mit demselben zugleich der Gedenktag des dreihundertfünfzig- jährigen Bestandes des Schwechater Schützencorps gefeiert wurde. Schwechat weihte mit diesem Tage auch seine neue Schießstätte ein. Zahlreiche Gäste fanden sich zu dem Feste ein, sogar aus der Schweiz waren Schützen zugegen. Am 3. Juni besuchte Erzherzog Rainer den Schießplatz und am 4. Juli widerfuhr den versammelten Schützen die Ehre, den Kaiser in ihrer Mitte begrüßen zu können. Das Fest verlief in der glänzendsten Weise. Der Distanzritt Wien-Berlin hat eine ganze Reihe von ähnlichen Veranstaltungen hervorgerufen. Die nächste war der Distanz marsch Berlin-Wien, diesem folgte etwas später die Distanzradfahrt Wien-Berlin. Der Distanzmarsch begann am 29. Mai und am 4. Juni kamen bereits die ersten Fußgänger in Wien an; es waren dies der Buchdrucker Peitz aus Flöha und der Ingenieur Engländer aus Magde- burg. Wegen einer Uebertretung der Marschvorschriften wurde jedoch Peitz auf den zweiten Platz zurückgestellt und erhielt nur die silberne Medaille, während Engländer die goldene als Preis davontrug. Außer Peitz erhielten noch drei andere Theilnehmer silberne Medaillen, alle . Äderen bronzene. Der Umstand, daß sowohl Engländer als auch Peitz Vegetarier sind, wurde von der in Wien bestehenden Vegetariergemeinde ein Sieg ihrer Sache ausgenommen und den egern ein festlicher Empfang bereitet. essantes fiL^ W? ^^ Juni fällt cin inter- SÄ^- Der Mailänder Musik- Erfüll >>^ ^, Macen S v n z o g n o, durch die „. S,,™ Stafteiter iu der Musik- und Theater- an H &^ veransta tete im Theater an der Wwn e,ne Stugio, e, in welcher er sämmtliche neue Opern Jung-Jtaliens vor- führte. An denselben Tage, an dem diese künstlerische Veranstaltung begann, am 3. Juni, waren die österreichischen Delegationen der Schauplatz einer höchst wichtigen politischen Kundgebung. Graf Kalnoky besprach nämlich die äußere Lage und äußerte sich in überaus erfreulicher Weise über die Beziehungen Oesterreich-Ungarns zu den Nachbarstaaten, über die friedliche Weltlage unb die Ziele der - österreichischen, auswärtigen Politik. Nicht nur innerhalb der Grenzen unseres Reiches, sondern auch im Auslande wurden die Erklärungen mit Befriedigung ausgenommen, besonders die französischen und englischen Blätter äußerten ihre rückhaltlose Zustimmung. Anton SMer v. Schmerling. Traurige Naturereignisse beherrschten die nächsten Junitage. Am 6. und 6. Juni gingen in der Bukowina und im östlichen Gali- zien heftige Regengüsse nieder, von denen die dortigen Müsse, namentlich der D nie st er und Pruth, heftig auschwollen und das Land über- flutheten. Ungeheuere Verheerungen wurden durch die Wassermassen angerichtet; Häuser zerstört, Wälder beschädigt, das Ackerland vernichtet, das Vieh ertränkt — ja sogar Menschenleben fielen den entfesselten Elementen zum Opfer. Die so arg betroffenen Landestheile sind nun der Noth preisgegeben, die durch die Veranstaltung von Sammlungen kaum halbwegs gemildert werden kann. Am 17. Juni fand wieder ein frohes Fest statt: in Innsbruck wurde mit Sang und Klang die Tiroler Landesausstellung eröffnet. Tirol 6

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