Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

42 führen, denn sie würden von der in derselben herrschenden Noth und Verzweiflung und auch davon auf das Genaueste unterrichtet gewesen sein, wo der beste Angriffspunkt, die in Bezug auf Befestiguilg oder Besatzung schwächste Stelle und dergleichen mehr. ■ Der Herzog fertigte sofort ein Antwortschreiben aus. Darin stand Alles genau von dem Verrathe des Polen, ferners, daß die Hilfsarmee in der Stärke von 70-000 Mann in zwei oder drei Tagen angelangt sein müsse. Am Abend wurde auf dem Bisamberge das verabredete, von Einen: gewiß nicht erwartete Signal gegeben. Balduin^ kehrte ungefährdet durch das türkische Lager zurück und kam durch dieversteckleAussallspforte beimSchotteu- thor wieder in die Stadt. Ohne Verzug .begab er sich in die Burg zum Commandanten und übergab die Botschaft. Die Wirkung, welche die Mittheilung von der Niedertracht seines, wie er vermeinte, getrenesten Vertrauten auf den Grafen äußerte, soll uube-. schreiblich gewesen sein. Er ordnete die sofortige Verhaftung des Verrüthers an, H u m ori Ein Krwervszweig. Einen nicht gewöhnlichen Erwerbszweig hat sich ein Amerikaner geschaffen. Er wohnte außerhalb der Stadt an einer Eisenbahnlinie; in seinem Gehöfte haust er mit einer Anzahl von Hunden, die er darauf dressirt hat, alle vorüberfahrenden Züge mit furchtbarem Gebell zu begrüßen. Daraus hat sich bei dem Lo- komotivpersonal der Eisenbahnlinie der Sport entwickelt, an der bewußten Stelle jedesmal ein Bombardement mit Kohlen- stücken auf die kläffenden Köder zu eröffnen, und der findige Hnndebesitzer erhält auf diese Weise nicht nur so viel Kohlen geliefert, wie er selbst braucht, sondern ver ivohl dem verdienten, schimpflichen Tode durch Henkershand nicht entgangen wäre, wenn er sich nicht mit eigener Hand das Leben genommen hätte.-------- Ueber die glorreiche Entsatzschlacht, welche kurze Zeit darauf die Helden- wüthige Wieuerstadt, dieses eigentliche Bollwerk der abendländischen Civilisation, gegen den Ansturm eines barbarischen und mächtigen Gegners und mit dieser auch das Reich aus großer, in ihrer ganzen Bedeutung von den Epigonen wohl kaum zu würdigenden Gefahr befreite, wollen wir nicht sprechen, denn alle Details derselben werden dem Leser jetzt bei zahlreichen anderen Anlässen in Erinnerung gebracht, das Eine aber muß, um diese kleine Geschichte zum Allschluß zu bringen, noch beige- fügt werden, daß sich Balduin und Minna durch ihre endliche Vereinigung für all die ausgestandene Pein reichlich entlohnt fühlten, und daß es dem wackeren Meister Gottfried Schwendtlein noch recht lauge vergönnt war, im Kreise seiner Kinder und einer ganzen Schaar holdseliger, goldlockiger Enkel einen sonnigen Lebensabend zu. genießen. st l s ch e s. er soll sogar schon mit dem Gedanken umgehen, ein Kohlenlager zu errichten. Ei» Warurtheilbloser. Sie (verschämt): „Ich will aufrich- richtig sein, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie zurücktreten — ich war schon viermal verlobt." Er (sinnend): „Vier Mal — (pathetisch): Haben Sie die Verlobungsgeschenke zurückgeschickt?" Sie (schüchtern): „Der Wahrheit die Ehre — nein!" Er (gerührt): „Dann verzeihe ich Ihnen." Heimätham Die Nihilistin. Ein Sittenbild aus der russischen Gesellschaft von Wladimir KreiK. v. Kr . ... nserer Zeit war es Vorbehalten, den urewigen Gegensatz zwischen den socialen Schichten der Gesellschaft in unheilvollster Art und Weise zu verschärfen. Die sociale Frage ist ein Problem geworden, welches selbst die getvaltigstcn Staatsmänner und Philosophen, denen es doch sonst ein Leichtes ist unserem lieben Herrgott alle bei der Erschaffung der Welt begangenen Einrichtungssthler überzeugend nachzuweisen, auch nicht zu löse» im Stande sind. Es ist wohl zu Genüge bekannt, welch grauenvoll beängstigende Erfolge die Unzufriedenen im erbitterten und ohne Nachsicht geführten Kampf mit den Gesetzen bereits aufzuweisen haben, namentlich aber in dem Vaterland dieser unheilvollen Bewegung, in dem so großen und gewaltigen Zarenreiche Rußland. Die finsteren Gewalten scheinen daselbst unbesiegbar, die Grundsäulen des fast gänzlich unterwühlten Staatsgebiets beginnen zu wanken, alle gesetzmäßige Obrigkeit erweist sich als viel zu ohnmächtig und beinahe alle Tage vermehrt sich die ungeheuere Zahl der Opfer, die deu so blutigen Lehren Bakunins von seinen fanatischen Jüngern bereits dargebracht wurde. Daß man es aber hierbei nicht blos mit einem gewöhnlichen „Principienstreit" zu thun hat, sondern daß sehr häufig rein persönliche Gründe es ganz vortrefflich verstehen, sich die herrschende, . gewaltige Strömung für ihre besonderen Zwecke dienstbar zu machen, möge das Beispiel der hier nachfolgenden Begebenheit, deren Helden in leicht zu durchblickende Falschnamigkeit eingehüllt Ilno, darthun. b. Alles geopfert. . , JP^n die hervorragenden Zierden .er MovkauerUniversität aufgezählt wurden, da durfte auch der Name des Professors Natikoff nicht fehlen, und wenn die „Maulwürfe der russischen Gesellschaft", die Terroristen, von ihren vielen Anhängern an dieser Stätte der Wissenschaft sprachen, dann war es wieder dieser Name, den man unter den allerersten nannte. Von diesem letzteren Umstände hatte man behördlicherseits allerdings schon seit sehr langer Zeit ganz genaue Kenntniß, doch der Professor verstand es außerordentlich geschickt, allen Fallen, auch den bestverborgeueu, die man ihm legte, um eine Handhabe zu gewinnen, aus- zuweichen, daß nichts erübrigte, als jeden seiner Schritte sorgfältig bewachen zu lassen. Ratikoff aber hielt, scheinbar unbekümmert, sein gastliches Haus nach wie vor allen geöffnet, welche durch eine bedeutende Stellung im Reiche des Wissens oder in der Gesellschaft sich ans- zelchneten. Daß sich auch solche darunter befanden, welche den Ruf genossen, mit der Umsturzpartei in recht enger Beziehung zu stehen, konnte billigerweise nicht ihm zum Vorwurfe angerechnet werden. Ganz anders war es freilich, als er init einem seiner ain meisten bloßgestellten Bekannten in sehr nahe verwandtschaftliche Beziehung trat als be- kaunt wurde, daß sich seine einzige Tochter, die vielumworbene schöne Pras- kowia mit einem seiner Schüler, dem noch recht jungen Mediciner Gawrilo Lebin verlobt habe. Was konnte ihn denn eigentlich bewegen, eine solche Verbindung für wün- schenswerth zu halten? „ "^ war ganz gewiß, daß sie vollständig das Ergebniß seiner persön- lichen Thätigkeit bildete; das Gefühl, welches Praskowia dem noch so jungen

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