Gemeinderatsprotokoll vom 15. Mai 1922

Dringlichkeitsantrag der Gemeinderäte Franz Tribrunner, Prof. Wenzel Brand, Dr. Peyrer=Angermann und Genossen: Abermals tauchen Gerüchte darüber auf, daß das Kreis¬ gericht Steyr nach einem anderen Orte, insbesondere nach Linz verlegt werden, bezw. daß dasselbe einem anderen bereits be¬ stehenden Kreisgerichte zugeteilt werden soll; die Verwirklichung dieser Absicht würde eine schwere Schädigung der Stadt und ihrer Interessen bedeuten, denn Steyr ist mit Rücksicht au seine wirtschaftliche Bedeutung und mit Rücksicht auf die Zahl seiner Einwohnerschaft als die zweitgrößte Stadt des Landes Oberösterreich gewiß berechtigt zu verlangen, auch weiterhin Sitz eines Kreisgerichtes zu sein Wenn darauf hingewiesen wird, daß nicht genügend Be¬ schäftigung für ein Kreisgericht vorhanden sein soll, so kann dem, wie dies schon wiederholt gefordert wurde, durch die Ein¬ beziehung der niederösterreichischen Gerichtsbezirke Haag und St. Peter abgeholfen werden, wodurch auch einem längst ge botenen Wunsch der Bevölkerung dieser Gerichtsbezirke ent¬ sprochen würde Es wird daher folgender Dringlichkeitsantrag gestellt: Der Gemeinderat der Stadt Steyr beschließt, mit aller Entschiedenheit die Belassung des Kreisgerichtes in Steyr zu fordern und gegen die Verlegung oder Auflassung desselben als eine Verletzung der berechtigten Interessen der Stadt und ihrer Bewohnerschaft entschiedenst Verwahrung einzulegen; die Vertreter der Stadt Steyr im Nationalrate werden aufgefordert, diesen Beschluß des Gemeinderates beim Bundesministerium für Justiz und im Nationalrate mit aller Entschiedenheit zu vertreten. Tribrunner, Prof. Brand, Dr. Peyrer, H. Mayrhofer, Witzany Neuhold, Frühwald, Ruckerbauer, Saiber, Wolfartsberger, Fischer, Baumgartner, Reisinger. Der Herr Vorsitzende bemerkt hiezu: Ich glaube, daß sich der Gemeinderat diesem Antrage voll anschließen kann. Da zum Antrage das Wort nicht gewünscht wird, leitet der Herr Vorsitzende die Abstimmung ein. Der Dringlichkeitsantrag wird vom Gemeinderate einstim¬ mig angenommen. Zum zweiten Dringlichkeitsantrag erteilt Herr Vorsitzender dem Herrn Vizebürgermeister Mayrhofer das Wort: Herr VB. Mayrhofer berichtet, daß gegenwärtig im Natio¬ nalrate ein Gesetzentwurf behandelt wird, daß die Arbeitslosen¬ unterstützung abgebaut und produktive Arbeitsgelegenheit ge¬ schaffen werden soll. Die Arbeitslosenunterstützung erfordert ungeheuere Summen und dabei greift die Arbeitslosigkeit immer mehr um sich; es gibt nur das einzige Mittel, produktive Er¬ werbslosenfürsorge zu schaffen. Es ist mit Rücksicht auf die bestehende Sachlage klar, daß die Angelegenheit dringlich er¬ scheint, um durch die dringliche Behandlung auch einen ent¬ sprechenden Nachdruck hervorzurufen. Der Gemeinderat stimmt der dringlichen Behandlung des Antrages zu. Der Herr Berichterstatter bringt sodann nachstehenden Dring¬ lichkeitsantrag zur Kenntnis: Dringlichkeitsantrag der Gemeinderäte Mayrhofer, Witzany, Prof. Brand, Dr. Peyrer¬ Angermann über Schaffung von Arbeitsgelegenheiten für die Arbeitslosen. Im Stadtgebiete Steyr sind im Stande des Arbeitslosen¬ amtes 1160 Arbeiter gemeldet. Unterstützt werden 936 Personen (224 Arbeiter), 168 Männer, 66 Frauen sind ohne jede Unter¬ stützung, diese müssen zum Großteil von der Gemeinde erhalten werden, da die meisten ortszuständig sind. Das von der Regierung vorgelegte Investitionsprogramm hat allerdings die vorgesehenen Summen auf rund 55 Milli¬ arden Kronen erhöht, doch entfallen ohne Berücksichtigung der Ausgaben für Verkehrswesen und des Bundes=, Wohn= und Siedlungsfondes, für alle anderen öffentlichen Ausgaben und Arbeiten nur 547 Millionen Kronen für Oberösterreich. Es ist nichts vorgesehen für die Ausgestaltung und Er¬ weiterung des Steyrer Bahnhofes, noch ist vorgesehen die Aus¬ bauung der elektrischen Bahn St. Florian—Steyr. Es fehlt an genügenden Zuschüssen seitens des Bundes-, Wohn- und Sied¬ lungssondes für Wohnungsbauten. Der Gemeinderat von Steyr richtet daher an die hohe Bundesregierung das dringende Ersuchen, die Ausgestaltung des Steyrer Bahnhofes in das Programm aufzunehmen, die Summen für das Investitionsprogramm ehestens flüssig zu machen und die Anträge über die Ausgestaltung der produk tiven Erwerbslosen=Fürsorge raschestens durchführen zu wollen. Mayrhofer in p. Witzany m p. Prof. Brand m p. Dr. Peyrer¬ Angermann m. p Baumgarkner m. p Radmoser m. p. Rucker¬ bauer in P Fischer m. p. Klement m. p. Reisinger m. p. Neuhold m p. Frühwald m. p. Hiezu bemerkt der Herr Referent, daß aus dem Antrage gewiß zur Genüge hervorgehe, wie notwendig es ist, daß Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden. Gewiß ist auch, daß die Gemeinde dies allein nicht tun kann, ebensowenig wie das Land allein. Es ist daher dringend geboten, daß von der Bundes¬ regierung Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden, indem sie auch die nötigen Kredite hiezu bewilligt. Es tut einem in der Seele weh, daß tausende rüstige Hände keinen Erwerb finden und trotz der Unterstützung diese Leute noch in Not sind. Sie bitten ständig um Arbeit, wollen arbeiten und es muß eine Arbeits¬ gelegenheit geschaffen werden. Herr GR. Witzany: Ich halte es für dringend not¬ wendig, daß wir diesen Antrag weiterleiten. Aus dem Investi¬ tionsprogramm, welches die Regierung vorgelegt hat, ist er¬ sichtlich, daß zwar die Summen bedeutend erhöht worden sind und zwar auf 55 Milliarden Kronen. Hiebei sind aber ver¬ schiedene Wünsche noch nicht berücksichtigt, z. B. die Ausgestaltung des Steyrer Bahnhofes, für welchen sich die Gemeinde wiederholt in geharnischter Weise eingesetzt hat; diese ist aber trotzdem bisher nicht durchgeführt worden. Man hat zwar bei verschie¬ denen Vorsprachen immer Zusagen gemacht, ins Investitions¬ programm wurde jedoch leider nichts aufgenommen. Auch dem Begehren auf Schaffung von Wohnhäusern für die Eisenbahner wurde nicht entsprochen; nur ein einziges Haus für zehn Par¬ teien wurde errichtet. Bezüglich der Schaffung von Wohnhäusern in Garsten wurden schon vor langer Zeit mit dem Justizmini¬ sterium Verhandlungen gepflogen und wurde bereits vor sechs Wochen eine kommissionelle Begehung des Baugrundes festge¬ legt, ohne daß diese bisher erfolgt wäre. Eine für das Verkehrs¬ wesen namhafte Forderung ist der Ausbau der elektrischen Bahn Taunleiten—Steyr, welche ebenfalls nicht ins Kalkül gezogen erscheint. Es mag dabei der Umstand mitgespielt haben, daß die von oben verschiedenen Interessentengruppen geäußerten Wünsche noch nicht klar die richtige Trasse erkennen lassen. Herr Dr. Plattner in Enns wurde auf ein weiteres Jahr mit der Durchführung der Trasse betraut, sodaß die Angelegenheit wieder auf ein Jahr verschleppt erscheint. Für Wasserbauten in Oberösterreich sind 63 Millionen vorgesehen, unser Land ist mit 51 Prozent bedacht und wird die Gemeinde ganz gewaltig trachten müssen, daß die Regulierung des Füchslbaches, besonders im Lumplgraben energisch in Angriff genommen wird, damit die Hochwasserschäden nicht wieder so verheerend auftreten können. Eine weitere Frage, welche von besonderem Interesse ist, ist die des Wohn= und Siedlungsfondes Für Oberösterreich ist hier eine geringfügige Summe vorgesehen, insgesamt nur 76 Häuser mit 487 Wohnungen, das wären 60 Prozent für Wohnungen und nur 9 Prozent von Häusern, so daß Ober¬ österreich sehr stiefmütterlich behandelt erscheint, wogegen wir uns energisch zur Wehr werden setzen müssen. Ein Land wie Oberösterreich, welches industriell so hoch entwickelt ist, muß be¬ rücksichtigt werden. Eine weitere Angelegenheit ist der Anschluß St. Valentin an die Kraftwerke Steyr, der wieder auf unsere Kosten gehen soll, weil wir die Verteuerung des Strompreises sofort zu spüren bekommen werden. Begrüßenswert erscheint es, daß die Ausgestaltung des Fernsprechnetzes in Steyr mit 30 Millionen Kronen votiert ist, wogegen für unsere Wohnbauten wieder viel zu wenig angesetzt ist. Wir hatten vorige Woche im Finanzministerium Verhandlungen, an welcher auch die Herren Vizebürgermeister Dedic und Mayrhofer teil¬ nahmen und konnten wir nur erwirken, daß uns Geringes zur Ausgestaltung der Wohnobjekte bei der Artilleriekaserne zuge¬ billigt wurd-, während für andere Zwecke noch keine ent¬ sprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden konnten. Nun hat meine Partei im Nationalrate verlangt, daß der Siedlungs¬ fonds um 10 Milliarden Kronen erstarkt werde, weil die Arbeiten aus demselben unbedingt notwendig sind Eine weitere Möglich¬ keit für die Erwerbslosenfürsorge bildet die dadurch möglich gewordene Durchführung des Wasserleitungs= und Kanalisierungs¬ programmes. In dieser Hinsicht ist bisher nichts geschehen und ist es höchste Zeit, daß der durch die Stauung des Grundwassers verursachte Gestank der Kanäle in den Straßen verschwindet. Hiebei ist vorgesehen, daß zu dieser produktiven Erwerbslosen¬ fürsorge der Bund die nötigen Mittel zur Verfügung stellt und Darlehen in der Höhe von 1000 Arbeitslosen=Unterstützungen für ein halbes Jahr an die Gemeinden gewähren kann. Wenn man die kommende Teuerung des Brotpreises, der für den Laib Broi schon in nächster Zeit bis zu 900 Kronen steigen wird, in Betracht zieht, muß erkannt werden, daß die Erwerbs¬ losenfürsorge dringend ist. In Steyr hatte man am Stichtag den 10 Mai rund 1160 Arbeitslose, wovon rund 960 im Ge¬ nuße einer Unterstützung stehen und 224 ohne jeder Unter¬ stützung sind. Das bedeutet das Preisgeben dieser Leute für das tiefste Elend; ich kann daher nur für den Antrag eintreten und empfehlen, daß derselbe an die kompetenten Stellen weiter¬ geleitet wird. Herr GR. Frühwald verweist auf die Ausführungen des Herrn Vorredners und stellt fest, daß Oberösterreich im Investitionsprogramm sehr stiefmütterlich behandelt wird. Wenn die Summe für die Wohnbauten nicht erhöht wird, ist die Gemeinde auch heuer nicht in der Lage, die Bauten zur Vollendung zu bringen. Es kann dann der Fall eintreten, daß von den Wohnungslosen sämtliche öffentliche Gebäude von Steyr besetzt werden, womit das Versprechen an

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