Gemeinderatsprotokoll vom 7. Februar 1920

2 )Die Aeußerung des Herrn Bürgermeisters Wokral zu dem „Eingesendet“ des Herrn Brotfabrikanten Reder, in der „Steyrer Zeitung“ vom 15. Jänner 1920, Nr. 5, welche lautet: An den Gemeinderat der Stadt Steyr. Der Bäckermeister Reder in Garsten hat in der „Steyrer Zeitung“ Nr. 5 vom 15. Jänner 1920 ein „Eingesendet“ ver¬ öffentlichen lassen, in welchem er über die seinerzeitige Eingabe der Gemeinden Steyr, Garsten und St. Ulrich höhnt und cenommiert, daß er dem Staatsamte seinen Standpunkt klar¬ gemacht und das Staatsamt noch vor Ablauf seines Ultimatums hm alles, was er wünsche, zugesagt habe. Auf den Inhalt des „Eingesendet“ einzugehen, verlohnt sich nicht, doch sei hier eines öffentlich festgestellt Was wir mit unseren Schritten erreichen wollten — daß die Bevölkerung von Steyr unbedingt Brot bekommen müsse und unter keinen Umständen von dem guten oder bösen Willen eines verschrobenen, eigensinnigen Menschen abhängen darf ist uns gelungen. Der Betrieb ist seither nicht mehr mutwillig eingestellt worden. Wenn Herr Reder renommiert, was er allenfalls inZu kunft tun werde, kümmert uns das nichts. Wir können ihm und der Oeffentlichkeit nur die eine Versicherung geben, daß, wenn Herr Reder es sich wieder einfallen lassen wollte, aus nichtigen Gründen seinen Betrieb einzustellen und dadurch die Bevölkerung in eine katastrophale Situation gebracht würde ich unbekümmert um das Geschrei des Herrn Reder nicht nur n gleicher Weise, sondern noch fester zugreifen werde. In der Republik muß eben das Recht der Bevölkerung auf Leben höher stehen als das private Profitrecht eines Einzelnen. Ich erachte damit die Diskussion mit Herrn Reder für erledi t und bitte den Gemeinderat um Kenntnisnahme. Steyr, 4. Februar 1920. Der Bürgermeister: Wokral. Diese Berichte werden vom Gemeinderate einhellig zur Kenntnis genommen Herr Vorsitzender Vizebürgermeister Dedic bringt sodann nachstehende Interpellation in der Nationalversammlung sowie die Beantwortung derselben vom Magistrats=Präsidium an den herrn Staatssekretär zur Verlesung, welche lauten: Anfrage der Abgeordneten Thanner, Krötzl Grahamer, Mayr und Genossen an den Herrn Staatssekretär des Innern betreffend die bauernfeindlichen Ausschreitungen in Steyr am 10 Dezember 1919 Am 10. d. M. kam es in Steyr zu Demonstrationen aufgehetzter Arbeitergruppen wegen der kurz vorher von der Landesregierung verfügten Kürzung der Brot= und Mehlquote. Diese Demonstrationen arteten schließlich zu Ausschreitungen gegen die anläßlich des Wochenmarktes erschienenen Bauern aus, die hiebei ausgeplündert und mißhandelt, manche sogar blutig geschlagen wurden. Es ist bezeichnend, daß sich die Ausschreitungen in erster Linie gegen die Bauernschaft richteten, daß es sich um eine wohlvorbereitete Hetze gegen diese handelte Man beschuldigte die Bauern, daß sie die Lebensmittelkürzung eranlaßt hätten und drohte ihnen, aufs Land hinauszuziehen und sich bei ihnen die Lebensmittel zu holen, wenn im Laufe der nächsten Woche die Kürzung nicht aufgehoben ist. Diese Anschuldigungen sind aber vollkommen haltlos. Die Ab¬ ieferungen im Bezirke Steyr sind bisher gut vor sich gegangen eit Wochen kann man Tag für Tag ungezählte Getreidefuhren vor den Mühlen, insbesondere der großen Rederschen Dampf¬ mühle stehen sehen, ja, die Mühlen weigern sich bereits, Ge reide anzunehmen, weil die Magazine schon überfüllt sind. Solche Vorfälle verursachen natürlich unnötige Aufregung und die Unterzeichneten richten daher an den Herrn Staats¬ ekretär des Innern folgende Anfragen: 1. Sind ihm diese Vorfälle bekannt? Hat er veranlaßt daß den Geschädigten aus Staatsmitteln eine Entschädigung ge¬ währt und die Schuldtragenden zur Verantwortung gezogen werden 2. Sind gegen die angedrohte Wiederholung dieser Aus¬ chreitungen entsprechende Maßnahmen angeordnet?“ Wien, 17. Dezember 1919. Thanner. Dr. Straffner. Grahamer. Dr. Angerer Krötzl Stocker. J. Mayer, Birchbauer Altenbacher. Dr. Viktor Wutte. Egger. Magistrat Steyr. Steyr, am 4. Februar 1920 Z 1042 An Herrn Staatssekretär für Inneres und Unterricht in Wien In der 48. Sitzung der konstituierenden Nationalversamm¬ lung vom 17. Dezember 1919 haben Herr Nationalrat Thannen und Genossen an den Herrn Staatssekretär eine Anfrage betreffend auernfeindliche Ausschreitungen in Steyr am 10. Dezember 1919 gerichtet Diese Anfrage ist voller Unwahrheiten, denn es ist nicht wahr, daß die Arbeiterschaft zu dieser Demonstration aufgehetzt worden war und es sich daher um eine wohlvorbereitete Hetze handelte, es ist gänzlich aus der Luft gegriffen, daß auch nur in Bauer, geschweige denn alle anläßlich des Wochenmarktes in Steyr erschienenen Bauern ausgeplündert worden waren. Richtig ist nur, daß am 10. Dezember 1919 eine große Hungerdemonstration vormittags am Stadtplatz vor der Bezirks hauptmannschaft und dem Rathause stattgefunden hat. Mehrere tausend Bauarbeiter und von der Waffenfabrik waren geger halb 10 Uhr vormittags in die Stadt marschiert, um ihre For¬ erungen wegen besserer Regelung der Verpflegung geltend zu nachen. Eine Deputation wurde gewählt, die die Forderungen er Versammelten vertrat. Vom Balkon des Rathauses herab nachten Herr Bezirkshauptmann Pilshofer und G.=R. Gen. Stein¬ recher Zusagen, energisch für die Versorgung zu wirken Richtig ist, daß sich der Arbeiterschaft infolge der außer¬ ordentlichen Lebensmittelnot eine große Erregung bemächtigt hatte, die aber doch nicht zu Ausschreitungen ausgeartet hätte, venn nicht einzelne vom Lande zum Wochenmarkte erschienen Bauern die demonstrierende Menge verhöhnt und durch Bemer kungen, welche selbst ein ruhiges Blut in Wallung bringen und empören müssen, gereizt hätte. So sei nur auf eine derartige Bemerkung verwiesen, nämlich „das Gesindel soll sich Kuhfladen auf das Brot streichen“. Wenn Menschen, denen es zum Leben an nichts mangelt, über andere Mitmenschen, die bitterste Not eiden müssen und nicht einmal ihre Kinder mehr nähren und kleiden können, derartige Bemerkungen machen, dann ist es kein Wunder, daß die durch Hunger und Not zur Verzweiflung getriebene Menge, welche aber trotzdem noch an sich hielt und n gesetzmäßiger Weise um Abhilfe ansuchen wollte, von Empörung iber solche Gemütsroheit erfaßt wird und einem derart unver chämten Menschen die einzige richtige Antwort gibt. Es waren und das sei lobend hervorgehoben, nur ganz wenige Bauern, die sich zu solchen Aeußerungen hinreißen ließen, etwa 3 oder 4 und nur diese waren es, welche von der aufgeregten Meng eine Tracht Prügel erhielten; allerdings sollen hiebei auch noch zwei Unschuldige zum Handkuß gekommen sein, die Schuld daran kann aber nicht der Arbeiterschaft zugemessen werden, sondern en Provokateuren. Im Interesse unserer Stadt und im Interesse der Wahrheit ehe ich mich veranlaßt, Herrn Staatssekretär diese wahrheits¬ getreue Mitteilung zur Widerlegung der von Unwahrheiten erfüllten Anfrage des Herrn Abgeordneten Thanner zukommen zu lassen. Der Bürgermeister: Wokral Die Aeußerung des Magistratspräsidiums wird vom Ge¬ meinderate zur Kenntnis genommen. Hierauf tritt der Gemeinderat in die Verhandlung der Tagesordnung ein. Die Punkte 1, 2 und 3 werden der vertraulichen Sitzung orbehalten 4. Wahl von Vertrauensmännern nach § 199 des Per¬ sonalsteuergesetzes Referent Herr G.=R. Tribrunner. Die Bezirks= Steuerbehörde Steyr hat mit Zuschrift vom 30. Dezember 1919, Z 40, anher berichtet, daß die Tätigkeits¬ dauer der laut Zuschrift vom 27. Mai 1914, Z. 15.310, für die eit bis Ende 1919 gewählten Vertrauensmänner nach § 191 es Gesetzes vom 25. Oktober 1896, R.. G.=Bl. Nr. 220 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Jinner 1914, R.=G.=Bl. Nr. 13, erloschen ist und nach § 199, P.=St.=G. ersucht, die vorgeschriebene Neuwahl durch den Magistrat zu veranlassen und das Ergebnis nit zuteilen Die Tätigkeitsdauer der zu wählenden 20 Vertrauensmänner währt vom 1. Jänner 1920 bis 31. Dezember 1925 Der Sektionsantrag lautet: Der Gemeinderat wolle im Sinne des § 199 P.=St.=G. nachstehende Herren als Vertrauens¬ männer bestimmen: Heinrich Mann, Buchbindermeister Haratzmüllerstra߬ Johann Ferletic Kettenschmied, Oelberggasse. Josef Puchner, Kaufmann, Stadtplatz Friedrich Schickl, Kaminfegermeister, Stadtpla Wolfgang Heinzl, Gemischtwarenhändler, Wieserfeld Dr. Ullrich Furrer, Oberbezirksarzt, Garstenstraße Franz Mitterlehner, Fabriksarbeiter, Haratzmüllerstraße 4. Leopold Schagerl, Kaufmann, Kirchengasse. Georg Eglmayr, Zuckerbäcker, Sierningerstraße Johann Laschober, Kurschmied Alois Saiber, Steuer=Ober verwalter Franz Tribrunner, Krankenkassabeamter, Gemeinderat u. Landlags¬ Abgeordneter Ludwig Reisinger, Maschinsteller Julius Rußmann, Gefangenhausoffizial, Berggasse. Josef Schreiner, Gastwirt, Gleinkergasse Josef Radler, Malermeister. ohann Mayrhofer, Maschinenmeister. Johann Hofinger, Schriftsetzer. Franz Sailinger, Gastwirt. Georg Mayr, Oberlehrer, Steyr. Der Sektionsantrag wird vom Gemeinderate einhellig an¬ jenommen. — Z. 365

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