Gemeinderatsprotokoll vom 8. Oktober 1919

Herr G.=R. Schickl hält die Beschlußfassung für viel zu verfrüht. Wie man weiß, gehört der Gründ der Waffenfabrik und übergibt denselben dann der Gemeinde, wenn diese die ertigen Häuser erwirbt und den Ausbau der unfertigen Objekte übernimmt. Die Erwerbung und der Ausbau der Objekte er¬ ordern für die Gemeinde ungeheure Auslagen, die sie über haupt nie decken kann. Wenn die Waffenfabrik die Häuser er¬ wirbt, so bekommt sie dieselben um 75.000 K pro Haus, während die Gemeinde die Häuser um 140.000 K pro Haus erwerben soll. Wenn die Gemeinde aber abwartet, was mit den Häusern noch geschehen soll und auch die gegenwärtige finanzielle Krise abwartet, die unfertigen Gebäude aber inzwischen eindeckt, wird sie diese Häuser noch geschenkt bekommen. Man wird sicher darauf kommen, daß die Gemeinde einen solch vor¬ eiligen Beschluß, wie ihn dieser Antrag zeitigen will, bitter be reuen werde. Es wird kein Baumeister imstande sein, ein Ob¬ jekt zu erwerben, weil der Grund der Waffenfabrik gehört ebenso kann auch kein Privatier kein Haus dort hinbauen, weil sich die Gebäude nicht verzinsen. Die Ansicht, daß mit der Er¬ werbung der Häuser der Wohnungsnot gesteuert werde, ist falsch, licht 1 Prozent der Not werde gemildert. Bis in das nächste Frühjahr werden Sie höchstens 6 bis 7 Wohnungen zustand bringen. Die ganzen Sachdemobilisierungsgüter liegen in Juden¬ händen, denen die Gemeinde hineinfallen wird. Sie können ja ihren Beschluß fassen, ich erkläre aber, nie zuzustimmen und verde auch seinerzeit darauf hinweisen, daß ich nicht mitgestimmt habe. Ich bringe daher den Gegenantrag ein, um vor der Oeffentlichkeit gegen spätere Vorwürfe geschützt zu sein. Die end¬ gültige Beschlußfassung ist viel zu früh. Ich habe mich gestern auf dem ganzen Komplex herumführen lassen, um mich zu in¬ ormieren, weil ich nie Gelegenheit hatte, mit den Herren von Wien bei den Verhandlungen zu sprechen. Ich habe dort ge¬ ehen, daß die Träme der unfertigen Gebäude wohl sehr be¬ hädigt sind, und sie bei Ausbauung der Häuser einen Zustand wie beim Arbeiterwohnhaus in der Haratzmüllerstraße zeitigen werden. Ebenso ist es bei Teilen von Mauerwerk, da die Witterungseinflüsse in das Mauerwerk eingewirkt und bereits derartigen Schaden angerichtet haben, daß deren Behebung horrende Auslagen verursachen werden. Die Waffenfabrik ist an den Häusern ebenso interessiert und wird sich daher zu etwas ntschließen müssen. Die Gemeinde kann ganz gut abwarten, bis ihr durch den Zwang der Verhältnisse noch günstigere An¬ bote gemacht werden; für jetzt ist der Antrag verfrüht. Die ganze Sache steckt eben in Judenhänden; man sagt einfach: die Stadtgemeinde beißt ohnedies überall hinein Bedenken Sie auch urch einen solchen Beschluß schädigen Sie auch die großen Steuerträger und haben Sie doch selbst kein Interesse daran, daß die Steuern noch mehr hinaufgeschraubt werden. Ich stelle daher den Antrag, zuerst abwarten, was die Waffenfabrik macht; die Gemeinde kann immer noch sagen, was sie will. Herr G=R. Witzany. Der Gemeinderat hat zu Anfang einer heutigen Sitzung den Dringlichkeitsantrag des Herrn G.=R. Dr. Furrer wegen Tuberkulosenfürsorge angenommen, weil er sah, wie die Verhältnisse in Steyr hinsichtlich der Wohnungsverhältnisse und des dadurch bedingten Gesundheits¬ zustandes liegen. Wenn Herr G=R. Schickl die Spelunken seher würde, in welche manche Familien untergebracht sind, würde ei gewiß anders reden und kein Zuwarten in der Wohnungs fürsorge mehr zulassen. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, weil tatsächlich die Errichtung von Wohnungen zur aller¬ dringendsten Notwendigkeit geworden ist; sogar die eigene Partei des Herrn G.=R. Schickl ist für den Sektionsantrag, weil sie einsieht, daß damit für die Not nichts erreicht ist. Der Stand¬ punkt des Herrn G.=R. Schickl ist einfach unbegreiflich, da die ernstesten Interessen für die breitesten Schichten der Bevöl¬ kerung in der Wohnungsfürsorge wurzeln. Es muß auch ein Ausdruck über die Steuerträger zurückgewiesen werden. Die Steuern werden nicht von den Gewerbetreibenden und Besitzern sondern von der Gesamtbevölkerung getragen; das ist ein über wundener Standpunkt; die Gewerbetreibenden und Besitzer sind zur die Sammler der Steuerbeträge und führen nur die von der Gesamtbevölkerung getragenen Steuern als Vollzugsorgane ab. Die Meinung, daß durch den Ausbau nur ein Prozent der Wohnungsfürsorge gemildert werden könnte, ist übertrieben; wir sind imstande, diesen Herbst noch 6 Häuser fertigzubauen, so daß 78 Wohnungen zur Verfügung stehen können. Ob die Sachdemobilisierung in Judenhänden ist, lassen wir dahin ge tellt; wir kennen Herrn Vizedirektor Handloß von Wien, welcher in Oberösterreicher ist, selbst persönlich und haben keinen solchen Eindruck gewonnen, der auf jüdische Spekulationen chließen ließe. Der Antrag ist im Interesse der Oeffentlichkeit gestellt und ist es Aufgabe der Stadtgemeinde, die Ausführung er unfertigen Gebäude so rasch als möglich in die Wege zu leiten, was durch die Annahme des Antrages auch erreicht werden würde Bravo.) derr Vizebürgermeister Dedic übernimmt den Vorsitz. derr Bürgermeister Wokral bemerkt zu den Aus¬ führungen des Herrn G.=R. Schickl, daß er sich sehr wundere daß Herr G.=R. Schickl, ein so erfahrener und so hervorragender Bansachmann ist und die Angelegenheit in so großartiger fach männischer Weise darstellt. Es haben eine Reihe von Kom¬ missionen stattgefunden, an denen Bausachverständige, Vertreter der Gemeinde und der Waffenfabrik teilnahmen und welche eine neuerliche Schätzung vornahm. Auf Grund der gemein¬ 5 samen Beratungen ist dann die bekannte Schlußsumme heraus¬ gekommen. Nun muß aber doch zu einem Abschlusse des Er¬ gebnisses dieser Beratungen gekommen werden, da die Zeit fort¬ chreitet und die Herstellungen von Wohnungen drängt. Nun gt uns allerdings Herr Schickl, wir sollen einfach die un ertigen Gebäude eindecken; mit dem ist aber der Bevölkerung ein gar nichts geholfen und ich sage ganz offen, ich glaube, wenn Herr G.=R. Schickl zu den Versammlungen in den Ba¬ acken gehen würde, daß er da mit seinen Ansichten nicht gut vegkommen würde; ich sage dies aus eigener Erfahrung, weil ich weiß, wie man sich in allen diesen Angelegenheiten herum chlagen muß. Mit dem Standpunkte, es soll der Staat die Kosten tragen oder die Fabrik, kommen wir nicht weiter. Es ist ja bequem zu sagen, warten sie ab, andererseits trägt aber die Gemeinde hiefür die Verantwortung und muß in der Wohnungs¬ ürsorge ihre Pflicht erfüllen. Es besteht für die Gemeinde die noralische Verpflichtung, für Wohnungen zu sorgen, was ohne inanzielle Opfer für die Gemeinde ausgeschlossen ist und warten, bis der Onkel aus Amerika kommt oder sich ein Geldspender infindet, können wir nicht. Die letzten Verhandlungen sind ogünstig verlaufen und es muß gesagt werden, daß wir icherlich gut gearbeitet haben. Dieses gemilderte Opfer wird aber die Gemeinde bringen müssen. Eine von den Hausbesitzern einberufene Versammlung hat sich nach Anhörung der Sachlage elbst dahin ausgesprochen, daß der vorgeschlagene Weg gangbar st, um die Wohnungen fertigzustellen. Es bleibt also nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und die Auf¬ gabe des Ausbaues der Häuser zu übernehmen. Es wurde auch on den Hausbesitzern anerkannt, daß es vollständig verfehlt wäre, wenn man sagt, mit Rücksicht auf die Belastung der Steuer träger könne die Gemeinde nicht auf die Erwerbung und en Ausbau der Gebäude eingehen. Von einem Redner wurde darauf hingewiesen, daß in dieser Beziehung früher sehr viel ersäumt wurde und zum Schaden der Steuerträger. Es wurde arauf verwiesen, daß gerade zur Zeit, als die Waffenfabrik gebaut wurde, diese überall Wohnungen suchte und die Arbeiter auswärts in Grünburg usw. untergebracht werden mußten, veil in Stehr keine Unterkunftsmöglichkeit bestand; das ver¬ iente Geld ist den Gewerbetreibenden durch den Mangel an UInterkunft für die Arbeiter in Steyr verloren gegangen. Sind also Wohnungen für die Arbeiterschaft gesichert, so wird auch hier der Verdienst verzehrt und verbraucht. Was den Ausdruck Steuerträger“ anbelangt, so wurde oftmals von uns darauf ingewiesen, daß unser Steuersystem falsch ist. Die Meinung, die Gebäude ohne Uebernahme in die Gemeinde durch dieselbe einzudecken, um sie vor Verderben zu schützen, wird auch vom echtlichen Standpunkte aus anzukämpfen sein, weil die Ge¬ mneinde auf fremdem Grund und Boden kein Recht besitzt, Ver¬ änderungen an darauf befindlichen fremden Gebäuden vorzu¬ nehmen. Die Verantwortung der Gemeinde, der Bevölkerung Wohnungen für 273 Parteien durch eine weitere Verzögerung vorzuenthalten, ist für die Gemeinde weitaus wichtiger, als das Daraufzahlen einiger tausend Kronen Die Gemeinde Graz ist gegenwärtig infolge der Wohnungsnot daran, Holzhäuser für 418 Wohnungen zu errichten und scheut sich nicht, hiefür 10 Millionen auszugeben, obwohl eine Ver¬ zinsung des aufgewendeten Kapitales im vorhinein unmöglich erscheint. Nun ist aber der Gemeinde Steyr tatsächlich die Gelegen heit geboten, auf der neuen Grundlage die Erwerbung und Fertigstellung der Häuser auf der Ennsleite zur Linderung der Wohnungsnot durchzuführen und würde es später niemand begreiflich finden, daß die jetzige Gemeindevertretung sich diese belegenheit entgehen ließ. Herr G.=R. Dr. Peyrer=Angermann. Herr G.=R. Schickl teilt die Sache in zwei Teile. Erstens in die Erwerbung er bestehenden und zweitens in die Fertigstellung der un¬ ertigen Gebäude. Es kann aber nach Berechnung der gebotenen begünstigungen für die Gemeinde auch pro Haus keine größere Kaufsumme als höchstens bis 90 000 K herauskommen, so daß die von Herrn G.=R. Schickl angegebene Kaufsumme mit 75.000 K licht so wesentlich mehr differiert Die Bauvollendung ist ein andere Sache. Hier muß die Opposition verlangen, daß eine Ueberwachung der Ausgaben stattfinden müsse; heute stehe man vor der vorläufigen Frage, daß die Gebäude nicht weiter ver¬ fallen und der Gemeinde dadurch bedeutende Mehrkosten er¬ vachsen. Die Instandsetzung der unfertigen Gebäude in der Weise, daß sie durch die Gemeinde ohne faktische Uebernahme durch Eindeckung geschützt werden sollen, ist eine peinliche Sache die uns in Unrecht versetzen kann. Herr G.=R. Schickl verwahrt sich dagegen, daß er gegen ine Wohnungsfürsorge gesprochen habe; dem Herrn G.=R. Dr. Peyrer müsse er antworten, daß das liquidierende Mini¬ erium die Gebäude auch ganz einfach stehen ließ, obwohl die Bürger= und Arbeiterschaft an der Fertigstellung lebhaft in¬ teressiert ist. Die Wohnungsnot kenne er durch seinen Beruf besser als man glaube. Herr G.=R. Schörkhuber bemerkt, daß das Wohnungs amt am besten wisse, wie es mit den Wohnungen in Steyr estellt sei; der Zustand mancher Wohnung spotte jeder Be¬ chreibung. Bezüglich der dort bestehenden Blockhäuser ersucht Redner, daß auch seinerzeit deren Vollendung in Angriff genommen werde Herr G.=R. Frühwald verweist darauf, daß nicht allein die Wohnungsnot, sondern auch die Sorge um die Ar¬

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