Gemeinderatsprotokoll vom 13. September 1919

4 Man komme nicht mit der Einwendung, daß es sich hiebei nur um eine alteingewurzelte Gewohnheit handle, die sich ja auch rasch ausleben werde! kein, die gesamte Lebensart des Agrariers ist einmal darauf eingerichtet, sämtliche Wochentage nur seiner ländlichen Beschäftigung zu widmen und nur an Sonn= und Feiertagen sowohl seine religiösen, wie auch seine sonstigen weltlichen Be¬ dürfnisse zu befriedigen Weiß er aber einmal an diesen Tagen auch in Steyr alle Geschäfte gesperrt, so wird er sich in den meisten Fällen überlegen, nur wegen der hl. Messe allein den vielfach mehr¬ stündigen Marsch in unsere Stadt zu unternehmen. Dies allein kann er ja in seiner Pfarre selbst viel leichter tun Die andere Folge davon wird aber sein, daß auch an Sonntagen unsere Straßen immer mehr veröden und nicht nur die Handelswelt, sondern auch die zahlreichen Gewerbetreibenden jeder Kategorie, speziell die Gastwirte, Bäcker, Fleischhauer 2c vergeblich Ausschau nach ihren alten Kunden halten werden Dies ist aber auch um so mehr zu bedenken, als ja auch der früher so beliebt gewesene Wochenmarkt an den Donners¬ bereits nahezu zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist. tagen Da drängt sich doch schon unwillkürlich die Frage auf: „Kann sich Steyr dies wirklich leisten? Ich erlaube mir auch noch darauf hinzuweisen, daß ge¬ rade Steyr auch in weiterer zweifacher Hinsicht noch in un¬ günstigem Verhältnisse steht, u. zw. ist dies erstens seine geo¬ graphische Lage und zweitens die allzu große Nähe der Landes¬ hauptstadt Linz llso hinter uns fast nur Gebirgslandschaft mit spärlicher Bevölkerung und nicht allzu großer Kaufkraft, vor uns nur kurzes Flachland mit seinen schon mehr nach Niederösterreich hinziehenden Interessen. Und nebenbei noch die bequeme Er¬ reichbarkeit von Linz, das Besserbemittelte bei viel zu viel Einkäufen, oftmals leider ganz mit Unrecht, in seine Kreise zieht Sehr verehrte Herren! Alle diese Argumente, die ich Ihnen hiemit kurz skizziert habe, haben in den Generalversammlungen unserer Genossenschaft zu den erregtesten Debatten geführt und ind in eigentlichen schriftlichen Vorstellungen an Stadt= und Landesbehörde niedergelegt. Es wird darinnen auch darauf verwiesen, daß bei ein¬ seitiger Sonntagssperre sehr bald in den umliegenden Ortschaften größere Geschäfte erstehen werden, die sich eine ganze Reihe bisher nicht geführter Artikel zulegen werden, die es der Land bevölkerung ermöglichen werden, ihren Bedarf dann dort zu decken, wodurch den Steyrer Geschäften neue bedeutende Ver¬ uste drohen Kurz nur noch übergehend auf die ziemlich ungestümer Forderungen der Gehilfenschaft möchte ich erwähnen, daß die Kaufmannschaft in dem erst kürzlich vereinbarten Kollektiv¬ vertrage mit der bedeutenden Erhöhung aller Gehaltsstufen mit dem Achtstundentag und der bescheidenen nur zweistündigen Sonntagsarbeit von 8 bis 10 Uhr bereits die Grenze des Ent gegenkommens gegangen ist und hiedurch allein schon die Gefahr besteht, daß so manche Firma unter diesem Drucke zusammen¬ brechen wird. Eine Ueberspannung des Bogens halte ich aber sogar im Interesse der Gehilfenschaft für unklug, da ja diese nicht ohne Rückwirkung bliebe und bei gänzlicher Sonntagssperre gewiß auch zahlreiche Angestellte gänzlich entbehrlich würden und der rückfliegende Pfeil sie dann selbst verwundet. Ich bin damit am Schlusse meiner Ausführungen an¬ gelangt und richte nur noch in zwölfter Stunde den Appell an Sie, sich denselben nicht zu verschließen, da jetzt nach den traurigen Friedensbedingungen nur rastlose Arbeit unsere Volkswirtschaft retten kann und durch solch hemmende Ma߬ nahmen nur die Steuerkraft und damit auch der Staat selbst geschwächt wird Bei dem Umstande, daß bei der gegenwärtigen Zusammen¬ setzung des Gemeinderates nur ein paar selbständige Gewerbe¬ treibende demselben angehören, finde ich es ja begreiflich, daß das persönliche Gefühl der Majorität mehr oder weniger den Forderungen der Gehilfen zuneigt Nachdem aber, wie eingangs erwähnt, das heutige Votum des Gemeinderates als solchen bei den vorstehenden Beratungen des Landtages immerhin in die Wagschale fällt, bitte ich noch¬ mnals, jede persönliche Sympathie beiseite zu stellen, und dem fast befremdenden Antrage der 1. Sektion sogar ohne jede Rück¬ sicht auf etwaige andere Verfügungen für das Land und ander Städte, in Steyr trotzdem die gänzliche Sonntagssperre zu — dekretieren, ihre Zustimmung zu versagen. In formeller Hinsicht erlaube ich mir hiemit folgenden Gegenantrag zu stellen „Der löbl. Gemeinderat beschließe, in Ansehung der Ge¬ fahr, welche bei nur einseitiger Oktroierung der gänzlichen Sonntagssperre dem Großteile der Handels= und Gewerbe¬ treibenden von Steyr droht, indem hiedurch nicht nur die Steuerkraft und der bescheidene Verdienst des Einzelnen mpfindlich geschwächt, sondern teilweise sogar die Existenz möglichkeit nicht weniger überhaupt in Frage gestellt wird, einerseits dem vorliegenden Antrage der I. Sektion die Zu¬ stimmung zu versagen, andererseits der hohen Landesregierung und dem Landtage zu empfehlen, bei den diesbezüglichen Gesetzes vorlagen auf die wohlbegründeten Wünsche und Bitten der Handels= und Gewerbetreibenden Steyrs Rücksicht zu nehmen. Herr G.=R. Aigner erklärt sich namens der Gewerbe¬ treibenden den Ausführungen des Herrn Vizebürgermeister Nothhaft vollkommen anzuschließen und bemerkt hiezu, daß die besonderen Verhältnisse Steyrs, welche zwischen Großstadt und Land liegen, wodurch ganz andere wirtschaftliche Ver¬ ältnisse gegeben, die leider auch in Linz nicht verstanden verden, eine solche Einrichtung nicht zulassen. Für Linz ist es ganz begreiflich, daß dort kein Intereffe herrsche, an Sonntagen die Geschäfte offen zu halten, weil dort zum allergrößten Teile en gros=Geschäfte sind. Auch den Steyrer Geschäftsleuten würde es lieber sein, wenn sie nur en gros=Geschäfte abzuwickeln hätten. So aber hat Steyr nur Detailgeschäfte, welche durch eine gänzliche Sonntagssperre vollständig unterbunden würden Durch die Sonntagssperre wird der Zuzug vom Lande gänzlich abgeschnitten werden; es partizipieren somit nicht nur die Kauf eute, sondern auch die Gewerbetreibenden an dem Sonntag¬ geschäfte, weil die Landleute bekanntlich nur an Sonntagen in er Stadt die meisten Geschäfte abwickeln. Es wird der Fall intreten, daß sich die Landkrämer in der Zukunft alle die Ar¬ tikel beschaffen, die bisher nur in der Stadt erhältlich waren die Bauern dann nicht mehr von der Stadt abhängig sind und die Stadtkaufleute zu gewöhnlichen Krämern herabsinken. Namens der Gewerbetreibenden nimmt Redner schärfstens gegen die gänzliche Sonntagssperre Stellung und erklärt, hiezu von dem Gewerbegenossenschaftsverband beauftragt zu sein. Ins¬ esondere habe ihn auch die Genossenschaft der Friseure be¬ zu uftragt, gegen die gänzliche Sonntagsruhe vorstellig verden, welches Gewerbe ebenso wie die Kaufleute und sonstigen Gewerbetreibenden durch eine derartige Verfügung zu Grunde gerichtet würde. Redner bemerkt hiezu, daß die Gewerbe¬ treibenden einfach einmal das Steuerzahlen aufhören werden venn ihnen jede Existenzmöglichkeit unterbunden wird. Er interstütze daher den Antrag des Herrn Vizebürgermeisters Noth¬ haft auf Vertagung der Beschlußfassung bezw. heute eine solche dahin zu vollziehen, daß in Steyr aus Rücksichten des öffent¬ lichen Interesses weiterhin an Sonntagen die Geschäfte mindestens wei Stunden offen gehalten werden Herr Vizebürgermeister Dedic entgegnet, daß das Friseur¬ gewerbe eigentlich nicht zu den Handelsgewerben zu zählen ist. Die Handelsgehilfenschaft kämpfe schon fast 20 Jahre um die Sonntagsruhe und das was heute ausgesprochen wurde, sei auch schon vor 20 Jahren gesagt worden, widerspricht aber heute vollkommen dem modernen Geiste unserer Zeit. Wenn gesagt wird, daß die Kaufmannschaft durch die Einführung der Sonntags¬ ruhe ruiniert wird, so wird dies nicht so ernst gemeint sein denn, wenn es für den Geschäftsmann auf den Verdienst von zwei Stunden ankommen sollte, müßte es um die Geschäfte traurig bestellt sein. Man hat auch in Linz gegen die Sonntags¬ geschäftssperre Manöver gemacht und heute habe man sich schon anz darangewöhnt, ohne daß von einer Schädigung oder Be¬ nachteiligung gesprochen wird. Es ist nicht richtig, daß Linz tur en gros=Geschäfte besitze; es sind dort auch kleinere Ge¬ chäfte, die sich nur mit Detailhandel befassen und trotzdem habe man bis heute nicht gehört, daß ein solches Geschäft begen der Durchführung der allgemeinen Sonntagsruhe zu Grunde gegangen sei. Das Gesetz schreibt übrigens die Sonntags¬ ruhe für das ganze Land vor. Statt, daß die Kaufmannschaft keine Ausnahmen mehr dulde, verlangt sie für Steyr eine Aus¬ nahmsstellung; wenn sie keine Ausnahme für das ganze Land erlangen würde, entfiele auch die Einwendung, daß die Land¬ krämer dann die Stadtkunden an sich ziehen werden. Auch ist die Einwendung nicht stichhältig, daß die Bauern nur an Sonntagen ihre Geschäfte in der Stadt abwickeln; die Bauern benützen außer den Sonntagen auch die Wochenmarkttage sowie die bei denselben noch immer eingeführten sogenannten Bauern eiertage. Der Gemeinderat solle sich nicht dagegen verschließen, daß uch den Handlungsgehilfen das Recht zustehe, gleich den nanuellen Arbeitern die vollständige Sonntagsruhe zu begehren, welches Begehren noch dazu durch die erschienene Vollzugsan¬ weisung des Staatsamtes bekräftigt ist Was die Einwendung wegen der Bäcker= und Fleischer¬ eschäfte anbelangt, so haben diese sowieso heute nichts an die Landbewohner abzugeben und bis es soweit ist, daß sie wieder den freien Verkehr mit ihren Erzeugnissen besitzen, hat sich die Sonntagsruhe längst eingelebt Die Befürchtung, daß die Landkrämer die Stadtgeschäfte überflügeln würden, sei nicht zu teilen, denn es bleibe doch ein größeres Geschäft immer leistungsfähiger und je leistungsfähiger in Geschäft ist, desto billiger wird es seine Waren absetzen können Es wäre daher die Festhaltung an der Sonntagsruhe zu egehren und sage ich mir, daß die zwei Stunden dem Ge chäftsmann nicht soviel verdienen, um nicht darauf verzichten zu können. Der Sektionsantrag wolle daher und zwar auch mit tücksicht auf das Staatsgesetz angenommen werden Herr G.=R. Schickl schließt sich den Ausführungen der Herren Vizebürgermeister Nothhaft und G.=R. Aigner an und etont, daß die Fleischhauer wegen der Wurstlieferungen und Verkauf von Selchfleisch interessiert sind. Insbesondere seien es aber die Gastwirte, die auf das Sonntagsgeschäft durch den Zuzug der Landbevölkerung angewiesen sind. Die meisten Geschäft wickeln bekanntlich die Bauern im Gasthause ab, und würden s besonders die Gastwirte schmerzlich empfinden, wenn der Zuzug der Landbevölkerung an Sonntagen unterbunden würde Linz und Steyr stehen in dieser Beziehung weit auseinander¬ Redner befürwortet wärmstens den Antrag des Herrn Vize ürgermeisters Nothhaft und ersucht um Annahme desselben

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