Ratsprotokoll vom 18. Juni 1918

der Wirtschaftsrat und der Gemeinderat alles ge¬ tan hat, was beide im Interesse der Bevölkerung und der Handels= und Gewerbetreibenden tun konnten. Es geht nicht anders, wir müssen uns in das Unvermeidliche fügen. Ich bitte um Annahme des Sektionsantrages Herr G.=R. Wokral: Es ist schwer, in dieser Frage twas zu sagen, weil man sich des Eindruckes nicht erwehrer kann, daß jedes Wort umsonst ist und umsonst sein muß, weil eben heute nichts mehr da ist, und wir sind der Gefahr ausge etzt, daß es gar nicht mehr lange dauern wird, und das Wenige was vielleicht doch noch vorhanden, ebenfalls aufgebraucht sein wird; es ist dies umso bedauerlicher, als man nicht sagen kann, daß die kommenden Ereignisse nicht schon längst hätten voraus¬ gesehen werden können und müssen, im Gegenteile, unsere Macht aber im Staate wurden immer und immer wieder darauf auf¬ nerksam gemacht, was die Bevölkerung braucht und sie mußten die vorhandenen Vorräte kennen, die Mängel der Verteilung wurden ihnen mitgeteilt und entsprechende Abänderungsvorschläge rstattet; aber man wollte nicht hören und insbesondere Graf Stürgkh stand allen Ratschlägen aus dem Volke vollständig ab¬ lehnend gegenüber und besonders diese Aera des Absolutismus ist es, in welcher wir so tief in die Sackgasse gerieten. lluch unter seinem Nachfolger war es nicht viel anders; man konnte sich von den Mißständen nicht mehr frei machen att aus ihnen zu lernen, wurde sorglos darauf losgewirtschafte und so mußte jenes kritische Stadium kommen, in welchem wir uns heute befinden und unter welchen wir so schwer leiden. Ja man kann sich des Eindruckes gar nicht erwehren, daß die Bevölkerung über die wirklichen Verhältnisse mit Absicht ge¬ täuscht wurde. Wir finden die Tatsache, daß zu der Zeit, als wir mit unseren Vorräten an Brot sehr knapp standen und auch die Friedensverhandlungen mit dem östlichen Feinde im Gange waren, wir immer fort vertröstet wurden, mit dem Hinweise auf die großen Vorräte in der Ukraine; als wir dann darauf hinwiesen, daß die Art, wie man Frieden schließt, nicht die rich tige ist und mit den Grundsätzen des damaligen Ministers des Aeußern Grafen Cernin im Widerspruch steht, da sagte man aß es so sein müsse, weil es ein Brotfriede ist, und jene Blätter, welche gegen die Art des Friedensschlusses Stellung nahmen, wurden beschlagnahmt und unsere Zeitungen erschiener wieder mit vielen und großen weißen Flecken. Der Friede wurde geschlossen und die Brotquote erhöht; ich kann mich des Ein druckes nicht erwehren, daß man die Erhöhung machte, um die Bevölkerung für die Kriegsanleihe zu ermutigen; = ich begreife. daß der Staat die Mittel aufbringen muß, um den Krieg fort¬ zuführen, aber ich halte es für verwerflich, daß man die Be¬ ölkerung über derart wichtige Umstände und man kann nicht anders sagen, mit Absicht im Unklaren gelossen hat. Als um Weihnachten herum die Wiener Abgeordneten beim Ernährungs¬ minister waren, lauteten die Aeußerungen schon so, daß wir nur bis Februar versorgt sind, was weiter werden werde, das wisse er nicht; also man wußte damals schon das drohende Gespenst, aber man hat nichts dagegen gemacht und jetzt haben wir die Kürzung, trotzdem soviel versprochen wurde. Das Volk wurde belogen, denn ein Mann, der so große Verantwortung wie ein Minister trägt, darf nicht sagen, wovon er nicht voll überzeug ist, sagt er das Gegenteil so ist dies eine Lüge und umso trauriger, weil es das Volk büßen muß. hätte man damals bei Abschluß des Friedens im Osten uns gesagt wie die Dinge liegen, der Friede wäre vielleicht anders geschlossen worden und wir wären dem allgemeinen Frieden weit näher — Jeder Mensch muß sagen, daß derjenige, der mit den ihm heute zugewiesenen Lebensmitteln das Auslaugen finden soll, ver¬ ungern muß, erklärt man aber anderseits, daß wir nicht weiter können und Friede geschlossen werden muß, dann ist man ein Vaterlandsverräter; es ist nur zu begreiflich, wenn in der Be¬ völkerung der Gedanke Platz greift, daß die Soche laufen mag wie sie will, bevor man verhungert; trotzdem man sich klar sein muß, wie die Sache mit dem Staate dann werden wird, wenn ein Friede Hals über Kopf geschlossen werden muß, so muß man dennoch die Bevölkerung begreifen und man muß jene in manchen Gegenden, insbesondere die in Nordböhmen, geradezu bewundern, daß sie die Not so ruhig erträgt und angesichts dieses Umstandes kann man heute schon sagen, daß es nur der Zustonk der Not ist, wenn es zu Unwillensäußerungen kommen sollte. Wir können der Bevölkerung nichts anderes sagen, als daß wir, soweit es im Rahmen der Gemeinde=Vertretung mög¬ lich gewesen ist, versucht haben, diesen Umständen entgegenzu¬ wirken; doß es nicht erreicht wurde, ist nicht unsere Schuld, sondern jene der anderen, welche trotz eindringendster Mahnungen nicht gehört haben Es wäre äußerst zu bedauern, wenn es zu Verzweiflungsausbrüchen kommen sollte, aber sie wären erklärlich, wvenn man bedenkt, wie mit der Bevölkerung umgesprungen wurde Es nützt alles nichts, auch wenn uns Deutschland in dieser Not zu Hilfe kommt, dann müssen die Deutschen büßen, daß wir so eine schreckliche und schlampige Wirtschaft gehabt haben. Dann müssen es die Deutschen entbehren und es wird fraglich, ob die Siege und Opfer im Westen die erhofften Früchte zeitigen können Wenn der Krieg weitergehen sollte, bei Fortbestand dieser Ver hältnisse, so soll man es nicht Böswilligkeit des Volkes, nich nationale Verhetzung nennen, sondern der Regierung die Schuld zuschieben, wenn wir in Zustände geraten, wie sie in Rußland herrschten und noch herrschen, wenn alle Bande der Ordnung gesprengt werden und nur noch das Faustrecht herrscht. Es ist nur dann eine Besserung zu erwarten, wenn unsere Staatslenker ndlich begreifen und aus der Vergangenheit lernen und dieser otterwirtschaft ein Ende machen, wenn Frieden herbeigeführt wird, denn so lange der Krieg dauert, wird auch eine eiserne Hand an diesen Verhältnissen, die schon zu tief eingerissen sind, lichts mehr ändern können Wir wünschen, daß der Friede möglichst bald komme, nicht adurch, daß die Bevölkerung durch Verzweiflungsausbrüche den Schluß erzwingt, aber andererseits wollen wir wenigstens uns ber die Siimmung der Bevölkerung nicht täuschen. Unsere An¬ icht ist, daß das Ziel des Krieges, die Verteidigung des Vater¬ landes, bereits erreicht ist, denn es nützt nichts, wenn die Be¬ ölkerung nicht die Kraft hat auszuhalten und sich späterhin so zu entwickeln, daß sie aus einem günstigen Friedensschlusse einen entsprechenden Segen genießt; wenn die Bevölkerung verhungert und die Jugend degeneriert, wird der schönste Friede nichts nützen, darum soll ehestens das Ende dieses entsetzlichen Krieges herbeigeführt werden err G.=R. Ing Huber: Meine Herren! Es ist ohne Zweifel begreiflich, daß besonders die Industriellen und die Handels= und Gewerbetreibenden um das Wohl ihrer Familien und weiters um das Wohl ihrer Arbeiter besorgt sind, da sie die Aufgabe haben, ihre Geschäfte aufrecht zu erhalten. Durch die neueste Verkürzung des Brot= und Mehlbezuges tauchen für die Zukunft die bedenklichsten Gefahren auf, die umso bedenklicher werden, als auch andere Lebensmittel, wie Fleisch usw., fast voll¬ tändig zu Ende gehen. Es ist daher sehr dankenswert, daß sich ofort nach Bekanntwerden der letzten verfügten Brot= und Mehl¬ kürzung die Stadtgemeinde im Vereine mit der Stadtgemeinde inz bemüht hat, Abhilfe zu schaffen, besonders aber für Steyr, veil gerade in Steyr die Verhältnisse durch die geographische Lage des Ortes sehr ungünstige sind und daher Steyr eine be¬ ondere Berücksichtigung verdienen würde. Die Stadtgemeinde als solche wird von allen Seiten mit allen möglichen behördlichen Maßregeln abgesperrt, während sich die Landbevölkerung doch och immer leichter etwas beschaffen kann. Uns wird so wenig zugewiesen, daß ein Auskommen damit ganz unmöglich wird Die Stadtbevölkerung ist daher gezwungen, nicht mit Geld, son¬ ern durch einen Tauschhandel für ihren Haushalt vom Lande sich Lebensmittel einzuheimsen. Was geschieht aber; auf allen Ecken und Enden der Straßen und auf der Bahn ist wie eine Kette eine Reihe von Gendarmen aufgestellt, welche den Leuten die kleinen Mengen an Lebensmitteln, die sie mühsam durch den Tausch der abgesparten Artikel mit landwirt¬ schaftlichen Produkten auf dem Lande eingeheimst haben, weg¬ nehmen. Ich möchte Herrn Bürgermeister fragen, ob die solcher Art beschlagnahmten Sachen in die Lebensmittelstelle der Stadt¬ gemeinde Steyr gelangen oder ob sie wo anders hinwandern, wo sie nicht für den Genuß der Stadtbewohner vorbehalten bleiben, und nicht nach Wien oder sonst wohin kommen. Ich möchte ferner bitten, daß vielleicht dahin gewirkt wird, daß bei den Sammlungen von kleinen Mengen von Lebensmitteln mit Rucksack, auf welchem Weg doch immer eiwas in die Stadt kommen kann, diese nicht mehr abgenommen werden. Die Kontrolle solle sich lieber gegen jene Elemente wenden, die betrügerischer und preistreiberischer Weise auf dem Lande Aufkäufe machen und unbeanständet große Mengen dem Versorgungsgebiet der Stadt enziehen. Die Aufhebung dieser allzustrengen und die Allgemeinheit schwer schädigenden Kontrolle der kleinen nur für den eigenen Haushalt Nahrung suchenden Käufer der Stadt wäre noch ein Mittel, um die traurigen Zu¬ tände wenigstens einigermaßen zu erleichtern; ein anderes Mittel wissen wir nicht Herr Bürgermeister: Auf die Anfrage, ob die be¬ hlagnahmten Güter der Stadtgemeinde überwiesen werden, kann ch dahin beantworten, daß für die Stadt nur diejenigen Güter bergeben werden, die in der Stadt selbst beschlagnahmt werden. Eine merkwürdige Erscheinung ist aber, daß unser. Bezirk, der im Frieden die Stadt allein mit Butter ausreichend versorgt hat, kein Dekagramm Butter an die Butterzentrale nach Wels iefert. So stark kann die Buttererzeugung nicht zurückgegangen ein; es kann daher nur eine Verschleppung vorliegen oder ein Fehler in der Verteilung Herr G.=R. k. k. Prof. Erb: Ich halte dafür, daß das, vas Herr G=R. Ing Huber ausgeführt hat, zu einem zu tellenden Antrag führt oder es möge Herr G=R. Huber viel¬ eicht selbst diesen Antrag stellen. Es liegt in seinen Worten für die Stadt eine Hoffnung, das Durchhalten zu erleichtern. In Graz wurden unlängst im Gemeinderate ähnliche Debatten über den Rucksackverkehr abgeführt; auch dort wurde dieser Rucksack¬ erkehr durch übertriebene behördliche Maßnahmen verhindert bis eben der Gemeinderat hierzu eine scharfe Stellung nahm und hat nun merswürdigerweise, nachdem auch in Wien eine iesbezügliche Vorstellung bei den Regierungsstellen erfolgt ist die Drangsalierung der kleinen Rucksackleute aufgehört. Entgegen¬ esetzter Weise hat aber in der Umgebung Steyrs in letzter eit eine äußerst scharfe Kontrolle eingesetzt und muß man auch hier gegen diese Drangsalierung unserer kleinen Leute Stellung ehmen und ist deshalb ein Beschluß des Gemeinderates unum¬ änglich notwendig. Es wolle daher dr Herr Bürgerweister das Amt beauftragen, sofort an die Statthalterei in An¬ ehung der außerordentlich bevrohlichen Lage der Bevölkerung Steyrs, insbesondere für die Arbeiterschaft und die

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