Ratsprotokoll vom 29. Dezember 1911

6 Nachdem sich also die Sektion nicht dazu berufen gefühlt hat, in dieser wichtigen Sache Vorschläge zu machen, wird fol¬ gender Sektionsantrag gestellt: Der Gemeinderat beschließe, mit dem eingehenden Studium der Eingabe des Vereines „Heimatschutz“ wegen Erhaltung und Schutz der alten Kunstbauten der Stadt Steyr wird die III. Sektion betraut und hat sich dieselbe behufs Ausarbeitung geeigneter Vor¬ schläge mit dem petierenden Verein, sowie mit den Baugewerbe¬ Genossenschaften wegen Erlangung von authentischen Meinungs¬ äußerungen ins Einvernehmen zu setzen. Herr G.=R. Aigner erklärt, daß ihm als Vertreter der Gewerbetreibenden in Steyr die Pflicht obliege, die Interessen derselben so weit es in seinen Kräften steht, zu wahren und zu vertreten. Nachdem ihm heute durch dieses Ansuchen des Vereines „Heimatschutz“ Gelegenheit geboten ist, in dieser Frage Stellung zu nehmen und nachdem die Gewerbetreibenden in Steyr voraus¬ setzen, daß sie durch eine derartige Aktion schwer geschädigt werden, und da es wiederholt vorgekommen ist, daß gegen diese Aktionen in Steyr niemand Stellung nimmt, so habe er hiezu das Wort ergriffen. Die Stadt Steyr als solche sei, wie bekannt, bereits ziemlich stark geschädigt worden, und zwar nicht nur die Stadt allein, sondern auch die Gewerbetreibenden. Redner verweist diesbezüglich auf den Innerberger=Stadel, wo heute anstatt dessen ein schönes Postgebäude hätte erbaut werden können; dieses hätte sich amortisiert und die Stadt Steyr hätte einen Nutzen davon ge¬ habt, so auch die Gewerbetreibenden. Wie es aber jetzt der Fall ist, seien dieselben nur geschädigt worden. Er ist daher der An¬ sicht, daß durch derartige Aktionen, speziell durch dieses Ansuchen, wenn dieselben größere Formen annehmen würden, eine weitere Bautätigkeit unterbunden werden würde, denn durch dieses An¬ suchen würde der Vereinigung „Heimatschutz“ eine Berechtigung an die Hand gegeben werden, daß der Hausbesitzer nicht mehr das Recht hätte, an seinem Hause zu tun, was er wolle. Redner bemerkt, daß sich solche Fälle bereits schon einmal ereignet haben, und daß es dann in Zukunft noch viel schlechter werden würde. Was die historische Ansicht der Stadt Steyr an¬ belangt, so werde diese ja von den Gewerbetreibenden sehr ge¬ schätzt, aber die Verhältnisse in Steyr seien heute derartige, daß die Gewerbetreibenden von diesem schönen Stadtbild nicht leben können. Es wäre zu wünschen, daß statt dieser Aktion eine solche ür eine bessere Bautätigkeit u. s. w. in Steyr eingeleitet werden würde. In Großstädten werde auch nicht Rücksicht genommen auf das alte Stadtbild, dort wird eben alles weggerissen, um den Verkehr 2c. zu heben. Redner verweist diesbezüglich auch auf das hiesige Steueramt am Stadtplatze, wo die altertümlichen Fenster, trotz daß die Vereinigung dagegen Stellung genommen hat, weg mußten und durch neue ersetzt wurden. Also auch der Staat hat darauf keine Rücksicht genommen. Was den Vorwurf anbelange, daß die Gewerbetreibenden keinen Kunstsinn hätten, so könne er nur das Eine sagen, daß die Herren vom „Heimat¬ schutz“ keine blasse Idee haben von der schweren Existenz der Gewerbetreibenden; und von diesem schweren Existenzkampf könne er den Beweis damit liefern, daß man nur ins Kreisgericht zu gehen brauche, um zu sehen, wie viele Gewerbetreibende Konkurs ansagen; und noch ein Beweis hiefür, wie glänzend es den Ge¬ werbetreibenden geht, ist der Umstand, daß zu den Quartalen von den Amtsdienern ganze Päcke von Mahnzetteln ausgeschickt werden und worin vermerkt ist, daß innerhalb 3 Tagen die Zahlung zu erfolgen hat. Man werde den Gewerbetreibenden mit der Zeit noch das Letzte herausreißen, und sei er der An¬ sicht, daß man auf einen Faktor, welcher 1400 Mitglieder zählt, denn doch Rücksicht nehmen müsse. Die Gewerbetreibenden als solche haben ja mit allen möglichen Schwierigkeiten zu kämpfen, und zwar wie alle anderen auch mit der Lebensmittelteuerung, owie speziell mit der Konkurrenz und überdies noch mit dem gewerblichen Nachwuchs. Redner weist darauf hin, daß keine Lehrjungen mehr zu bekommen seien, und zwar sei dies darauf zurückzuführen, daß jetzt alles zur höheren Schulbildung herangezogen wird. Durch solche Sachen werde nur das herbeigeführt, daß der Gewerbe¬ tand mit der Zeit gänzlich verschwindet, und wer dann zur Arbeit übrig bleibe, sei wohl eine fragliche Sache. Es sollte daher in dieser Beziehung eine andere Anregung für Steyr gemacht werden, damit das Gewerbe und die Industrie gehoben wird. Infolge¬ dessen haben die Gewerbetreibenden alle Ursache, gegen derartige Aktionen, wie die des „Heimatschutz", entschieden Stellung zu nehmen, und sei er von vielen Gewerbetreibenden beauftragt worden, dies zu tun, nachdem keine Aussicht vorhanden ist, daß durch diese Aktion eine größere Bautätigkeit in Steyr platz¬ greift oder eine bessere Entwicklung von Industrie und Gewerbe zu hoffen ist, so können die Gewerbetreibenden auch nicht dafür stimmen. Er müsse deshalb im Namen der Gewerbetreibenden und Hausbesitzer der Stadt Steyr, die sich absolut nicht dazu hergeben, in ihrem Eigentum eine Einschränkung zu erfahren, chon bitten, diesem Ansuchen nicht zuzustimmen und beantrage er, dasselbe abzuweisen. Herr G.=R. Kirchberger erwidert auf die Ausführungen des Herrn G.=R. Aigner, daß ihm bei der zuletzt in Salzburg tattgefundenen Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz Ge¬ legenheit geboten war, diesbezüglich die Ansichten hoher Persön¬ lichkeiten und geistiger Kapazitäten und Vertreter der Mini¬ sterien 2c. zu hören. Es haben sich dort, wie das stenographische Protokoll zeigt, sehr lebhabfte Debatten abgewickelt, welche gewiß Zeugnis von der eminenten Wichtigkeit des Gegenstandes ablegen. Was den Vorwurf des Herrn G.=R. Aigner anbelange, könne er nur versichern, daß die Bestrebungen des Vereines „Heimatschutz“ eben dahin gehen, die heimische Bauweise zu wahren und zu fördern. Daß man hierin den Niedergang des heimischen Gewerbes erblicken kann, könne er sich nicht recht er¬ klären; die Ursache des schlechten Geschäftsganges aber dem Verein „Heimatschutz“ in die Schuhe zu schieben, müsse er entschieden zurückweisen. Der Verein „Heimatschutz“ strebe nur darnach, die Bauordnung der Stadt Steyr und so manches andere zu formu¬ lieren, um frühzeitig genug einem gewissen Vandalismus wirksam entgegentreten zu können. Redner bringt hiebei aus dem Protokolle über die Tagung den Ausspruch des Geheimrates Dr. Gurlit aus Dresden zur Verlesung welcher lautet: „Glücklich die Städte, in denen zur rechten Zeit der rechte Mann an der Spitze stand. Ein Mann, der das Verständnis hatte, gewisse Teile der Stadt im alten Zustande zu erhalten, glücklich vor allem Brüssel, wo Charles Buls den großen Markt zu erhalten wußte, glücklich Hildesheim, das in Struckmann, unserem verehrten Mitgliede, einen Bürgermeister besaß, der zur rechten Zeit alle Häuser am Markte kaufte und damit ihre Er¬ haltung gewährleistete. Wir haben so viel Gutes gehört von den hier und da erlassenen Ortsgesetzen. Die Ortsgesetze werden ein¬ geführt, wo ein tüchtiger Bürgermeister und eine kunstsinnige Stadtvertretung von der Notwendigkeit der Erhaltung der Schön¬ heit der Stadt überzeugt sind. Die Tüchtigkeit des Bürgermeisters eigt sich darin, daß er nicht nur Rücksicht nimmt auf das, was ihm von außen befohlen oder zugeflüstert wird, sondern daß er den Mut hat, den diesen Gedanken widersprechenden Elementen entgegenzutreten und die Verantwortung für Maßnahmen auf sich zu nehmen, die ihm vielleicht im Stadtverordnetensaal harte Kämpfe verursachen. — Und wir Denkmalpfleger werden gut tun, uns mit Geduld zu wappnen und die zahlreichen Mißerfolge, die jeder ernstlich in den Kampf um die Erhaltung alter Häuser Eintretende erfahren wird, ruhig auf uns zu nehmen und nicht zu verzweifeln, selbst wenn man nach Ansicht mancher Leute mehr oder weniger dadurch zur lächerlichen Figur innerhalb seiner Stadt wird. — Ich möchte sogar davor warnen, daß man in der Oeffentlichkeit allzu heftig gegen diejenigen auftritt, die im entscheidenden Augenblick nicht unseren Anschauungen hul¬ digen und nicht ihnen folgen. Man soll sich hüten, etwa durch scharfe öffentliche Angriffe die Besitzer alter Häuser zu verärgern. Jenen allzu feurigen Pflegern des alten Stadtbildes, jenen allzu freudigen Freunden malerischer Häuser sollte man ein von Jahr¬ hunderten und von Hypotheken reichlich bedecktes Haus zum Be¬ wohnen und zum Verwalten geben — ich glaube, es ist ein vorzügliches Abkühlungsmittel, ein Mittel, die Forderungen, die wir zu stellen haben, auf das richtige Maß hinzuführen.“ Man könne hieraus ersehen, daß der Verein „Heimatschutz“ seine Aufgabe nicht darin erblickt, das Alte nur des Alten wegen zu erhalten. Der große Gedanke des Heimatschutzes sei der, das Alte in kunstvolle Form möglichst vor Vernichtung zu be¬ wahren, den Kunstsinn und das Verständnis für heimische Bau¬ art 2c. zu wecken und zu fördern. Dadurch erhofft sich derselbe ben gerade eine Hebung des Gewerbestandes insoferne, als amit der schablonenhaften und fabriksmäßigen Erzeugung Ein¬ halt geboten, dem Gewerbe somit zu mehr künstlerischer Tätigkeit Gelegenheit geboten wird. Es sei jetzt nicht nur die geeignete Zeit, sondern auch die höchste Zeit, sich aufzuraffen, um in diesem Sinne Verfügungen auch in der Bauordnung der Stadt Steyr aufzunehmen. Es mag dies wohl Manchem dermalen hart er¬ scheinen, spätere Geschlechter aber werden uns hiefür Dank wissen. Er erlaube sich deshalb, das Ansuchen des Vereines „Heimat¬ chutz“ auf das wärmste zu befürworten mit der Bitte, ähnliche Paragraphe in die Bauordnung der Stadt Steyr einzufügen. Herr G.=R. Erb erklärt, die III. Sektion habe eben diesen Antrag gestellt, nachdem allerlei Bedenken in dieser Angelegen¬ heit vorliegen und komme dieser den Wünschen, die geäußert wurden, vollkommen nach. Aber die Eingabe des Vereines „Heimatschutz“ gleich abzulehnen, käme doch direkt einer Beleidi¬ gung gleich und sei es seines Wissens noch nie der Fall ge¬ wesen, daß ein Ansuchen keiner Sektion zugewiesen worden wäre, elbst in Sachen und Angelegenheiten, über die heute hier ge¬ prochen wird. Die Debatte zeigt aber auch, daß es gut war, zuerst die Meinungen des Gemeinderates einzuholen, und zwar aus dem Grunde, weil sich die Bausektion bei Beratung dieser Angelegenheit nach beiden sich scheinbar sehr scharf gegenüber¬ stehenden Richtungen halten muß. Sicherlich sei die Erhaltung wertvoller alter Besitze, alter Häuserschönheiten der Stadt unbe¬ dingt notwendig, aber altes erhalten zu wollen, nur weil es alt ist, aber sonst keinen historischen Wert hat, sei nicht zweckmäßig. Außerdem müsse man sich auch immer das Eigentumsrecht der Besitzer vor Augen halten und auch darauf achten, daß die Er¬ weiterung der Stadt und der industriellen und gewerblichen Unternehmungen diesbezüglich nicht eingeschränkt werde. Redner sei gewiß ein Freund des Vereines „Heimatschutz“ dahingehend, daß bei Neu= und Umbauten derselbe mit warnen¬ der, beratender Stimme eingreift und das sei gewiß sehr schön und lobenswert. In einer Stadt nach der anderen wurden solche Vereinigungen gegründet, hiebei ist vor allem die Zentralkom¬ mission für Kunst= und historische Denkmale in Wien zu er¬ wähnen, welche sich aber manchmal wieder in Dinge mischt, die sie nichts angehen. Einesteils sind ja, wie bereits erwähnt, solche Vereinigungen gewiß am Platz und in dieser Angelegenheit einen Ausgleich zu finden, wird Sache des Gemeinderates sein. Der Obmann der Bausektion habe auch darnach gestrebt, daß in dieser Frage nicht einseitig vorgegangen werde, nachdem

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