Ratsprotokoll vom 14. November 1901

4 Eine weitergehende Erhöhung der Mietzins= bezw. Miet¬ wertabgabe hat das Comité deshalb nicht vorgeschlagen, wei durch angestellte Berechnungen nachgewiesen worden ist, dass durch eine weitere Erhöhung dieser Abgabe insbesondere die Geschäftsleute hoch betroffen würden, die zum Betriebe ihres Gewerbes ein Geschäftslocal mieten müssen, dessen Mietzins, wie fast bei allen Geschäftslocalen im Stadtgebiete ein hoher ist. Diese Rücksicht ist umso begründeter, als diese Geschäftsleute durch die Ungunst der Verhältnisse ohnedies schon schwer genug geschädigt sind und ihre Leistungsfähigkeit bei weiterer Belastung in Frage gestellt werden würde. Der noch verbleibende Abgangsrest konnte deshalb nur Erhöhung der Umlage bedeckt werden durch Das Comité musste den weiteren Antrag stellen, von den directen Staatssteuern mit Ausnahme der Personaleinkommen steuer, also von der Grund= Hauszins=, Erwerb=, Besoldungs und Rentensteuer, und zwar von einem Steuerbetrage von 266.666 K die Gemeindeumlage im Ausmaße von 80%, also um 20% mehr als bisher einzuheben Diese Erhöhung wird einen Mehrbetrag von 53.332 K ergeben. Der Herr Vorsitzende eröffnet hierüber die Debatte. Herr G.=R. Victor Stigler erbittet sich das Wort und ührt aus: Es ist klar, dass der Gemeinderath angesichts des Resultates der heutigen Budgetberathung sich in einer gedrückten Stimmung befindet. Der heutige Moment ist so wichtig unt einschneidend, dass Sie mir exlauben werden, einen kleinen Rück blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt nicht nur aus jüngster Zeit, sondern aus längst vergangenen Zeiten zu machen. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts, u. zw. bis zum Schlusse desselben und im Anfange des nächsten war die Stadt Steyr ein blühendes industrielles Emporium. Damals habe die ogenannte kleine Eisenindustrie prosperiert, und Eisenwaren von Steyr sind nach Deutschland, Frankreich und dem Oriente in Massen exportiert worden. Steyr hat damals auf dem Welt markt eine so bedeutende Rolle gespielt, von der wir uns heut. nichts mehr träumen lassen können. Die Wohlhabenheit war prichwörtlich, die monumentalen Bauten wie z. B. das Rath¬ haus geben Zeugnis davon. Mit der Zunahme der Weltcon. currenz hat sich ein allmähliches Rückschreiten der industriellen Verhältnisse in Steyr bemerkbar gemacht, welches im 19. Jahr¬ hundert noch mehr fühlbar wurde. Manche der Herren werden sich erinnern, dass später in den Fünfziger= und Sechziger=Jahren Steyr in einer Weise wirt schaftlich arm geworden ist, dass die Gemeinde in vielen noch nothwendig gewordenen Einrichtungen und Anschaffungen so rückständig bleiben musste. Steyr ist durch zwei Menschenalter rückständig geblieben, es konnte den Auforderungen der Neuzeit auf dem Gebiete der Schule, der Straßen und Brückenbauten, des Armenwesens, Sanitätswesens 2c. nicht gerecht werden. Anfangs der Sechziger=Jahre wurde durch den unver gesslichen Josef Werndl die Waffenfabrik gegründet, und von da ab nahm Steyr wieder einen großen wirtschaftlichen Aufschwung Die Leistungen dieses genialen Mannes haben die Gemeinde. vertretung von Steyr wieder in die Lage gebracht, etwas zu schaffen, und es wurden damals Schulhäuser, es wurden die eisernen Brücken und die Kaserne gebaut. Auf dem Gebiete der Lanalisierung, der Straßenpflege wurde manches geschaffen, ein Armenhaus errichtet, die Stadt konnte sich an der Schaffung de¬ Steyrthalbahn namhaft betheiligen. Die Waffenfabrik hat durch eine lange Reihe von Jahren geblüht, aber zeitweise auch nicht. Es sind immer wieder Stagnationen eingetreten, während deren es dem damaligen Gemeinderathe abermals beinahe nich möglich wurde, den Anforderungen des Haushaltes Rechnune zu tragen, so dass zur Aufnahme neuer Darlehen geschritten vurde Im Laufe der letzten sieben Jahre aber musste der Ge meinderath wieder mit der äußersten Sparsamkeit vorgehen. S. mufste eine Reihe von überaus wünschenswerten Einrichtungen wie die Erbauung eines Schlachthauses, eines Krankenhauses einer Wasserleitung 2c. immer wieder zurückgestellt werden, um das drohende Gespenst, die Belastung ihrer Mitbürger durch Er höhung der Umlagen, ferne zu halten. Der Gemeinderath ha ich mit einem Worte fortgefrettet, solange es gieng, die wirt schaftlichen Verhältnisse sind aber immer ungünstiger, die Ein nahmen immer kleiner geworden, so dass die unabweislicher Anforderungen nicht mehr gedeckt werden können, und so sim wir heute in die unangenehme Lage gekommen, jenen Vor kehrungen zustimmen zu müssen, die uns von der Budget. Commission soeben vorgeschlagen wurden. Die Gemeindever retung kann nicht zulassen, dass jetzt und in der kommender Zeit der passive Voranschlag unbedeckt bleibt oder mit unzu. länglichen Mittelchen fortgefrettet wird, es muss für ein bleibende ordentliche Bedeckung gesorgt werden, sonst kann die Gefahr kommen, dass das Schlufswort ein Sequester spricht, und einer solchen Eventualität werden wir uns gewiss im Sinne unserer Mitbürger nicht aussetzen wollen. Möge wer immer in diesem Saale sitzen, er könnte zi keinem anderen Schlusse kommen. Es wurde im Budgetausschusse gesprochen von einem eventuellen Hinüberhelfen auf ein oder wei Jahre durch den Verkauf eines vorhandenen Postens an Wertpapieren; aber dem zuzustimmen, habe er nicht für gut be unden, weil beinahe keine Hoffnung vorhanden sei, dass sich die Verhältnisse nach Verlauf von 1 bis 2 Jahren soweit bessern könnten, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen ohne Erhöhung der Umlagen. Steyr ist um 4000 Einwohner zurückgegangen, die Ein¬ nahmen aus den Umlagen sind von Jahr zu Jahr geringer er Bierconsum ist schwächer geworden, die bewilligte Bierumlag von 1 fl. 60 kr. wurde wieder verringert durch die Einführung der Landesbierauflage, wodurch die Gemeinde per Hektoliter um 60 kr. zu Schaden kommt. Zu dem kommt noch die bedeutende Vermehrung der Armenauslagen durch das neue Heimatsgeset und die immer größer werdenden Anforderungen an die Ge¬ neinde im übertragenen Wirkungskreise, für welche vom Staate keine Entschädigung geleistet wird, der alte große Schuldenstand die Kosten der letzten Ueberschwemmungen, kurz alles das hat es veranlasst, dass wir heute vor einem Deficite stehen und ge zwungen sind, unseren Mitbürgern neue Lasten zumuthen zu müssen, so tiefbetrübend für jeden von uns auch das ist. Die wirtschaftliche Depression, unter der wir leiden, hat übrigens in ganz Mitteleuropa platzgegriffen, überall herrschte eine Ueber production, an deren Folgen man leidet, und auch in Oberöster reich ist Steyr nicht die einzige Stadt, die diesen Druck verspürt, ehr viele andere Städte und Märkte leiden unter ähnlichen wirt schaftlichen Verhältnissen Redner glaube im Sinne aller Gemeinderäthe zu sprechen wenn er sage: Was wir heute thun, thun wir nur mit schwerem Herzen, und wir werden auch in der Zukunft wie seit vielen Jahren die äußerste Sparsamkeit walten lassen. Wir haben num den einen Wunsch, dass wieder bessere Zeiten kommen möchten, vor allem in den Verhältnissen der Waffenfabrik, damit wir in die Lage kommen, die Lasten unserer Mitbürger wieder zu er leichtern Herr G.=R. Schachinger führt aus: Er pflichte der Ausführungen des Herrn Vorredners bei, doch könne er die rüheren Gemeindevertretungen nicht ganz davon lossprechen, dass man heute in einer solchen Lage sei. Nach seiner Ansicht hätt man schon in den besseren Zeiten die Umlagen um 10% erhöher ollen, um sich dadurch einen Reservefond zu verschaffen. Er sehe ein, dass man heute nicht anders kann, als eine Erhöhung der Umlagen und der Zinskreuzer zu beschließen, denn für eine neuerliche Geldaufnahme sei er nicht. Wir wollen die Anträg es Präliminar=Comités annehmen in der Hoffnung, dass doch die nächsten Jahre bessere Zeiten für Steyr bringen werden. Herr G.=R. Stigler bemerkt, dass durch die Erhöhung der Umlagen um 10% in den letzten 6—8 Jahren nicht das erreicht worden wäre, was Herr G.=R. Schachinger wünscht, nämlich die Anlage eines Reservefondes in jener Höhe, dass e über den heutigen Jammer hätte hinüberhelfen können. Einen kleinen Reservefond haben wir ohnehin gesammelt, aber er ist heute erschöpft. Er glaube, wenn man schon bei Zeiten, also vo¬ 8—20 Jahren, mit einer sehr ausgiebigen Erhöhung der Um¬ age vorgegangen wäre, um vor allem die Schuldenlast abzu¬ wälzen, das geholfen hätte, aber mit einer kleinen Umlage=Er höhung in den letzten Jahren wäre nicht mehr erreicht worden als dass man vielleicht damit eine oder die andere sehr wünschens¬ werte Neuschaffung damit bestritten hätte, die eben so nicht ge macht wurde, gründlich aber hätte das der Calamität nicht ab zeholfen. Dass man dem heutigen Gemeinderathe überhaupt einen Mangel an Vorsicht nachsagt, halte er wohl für nicht be ründet. Kein Gemeinderath wird sich leicht bereit finden in chlechten Zeiten, solange nicht die unbedingte Nothwendigkeit vorhanden ist, die Umlagen zu erhöhen, und gute Zeiten hat dieser Gemeinderath in den letzten acht Jahren gewiss nicht rlebt. Es freue ihn, dass der Vorredner die leider unabweis bare Nothwendigkeit der Anträge der Budgetcommission anerkenne Herr G.=R. Lintl ergreift das Wort und sagt: Er stehe auf demselben Standpunkt wie Herr G.=R. Schachinger, nämlich, dass es besser gewesen wäre, man hätte die Umlagen schon früher erhöhen sollen. Damals, als die Verhältnisse noch besser waren hat er die Anregung gegeben, die Umlagen zu erhöhen, allein es sei damals nicht geschehen, weil man sagte, es sei keine Ver¬ anlassung dazu. Die Unstabilität der Geschäfte in Steyr drückte luf die Verhältnisse der Bürgerschaft ganz besonders, und er halte die jetzige Zeit für ungünstig, der Bürgerschaft eine solch Zahlung aufzuerlegen. Allein er werde für den Antrag des Präliminar=Comites stimmen, weil es nichts anderes gebe, und weil die Vertheilung der neuen Auflage eine gerechte ist, da nicht wieder blos die Umlagenträger getroffen werden, sonder auch die übrige Bewohnerschaft, welche keine Umlagen zahlt. Er möchte aber an die Budget=Commission die Anfrage stellen, ob sie nicht über andere Einnahmen nachgedacht hat, die der Stadt Steyr zugute kommen könnten, ob man nicht andere Stadttheil incorporieren könnte. Redner verweist darauf, dass die Städt Prag, Graz und Lemberg um eine Staats=Subvention zur Sanierung ihrer Finanzlage angesucht haben, und glaubt, wenn die Stadt Steyr darauf hinweisen würde, dass sie durch die Agenden des übertragenen Wirkungskreises jährlich 52.000 K Auslagen hat, sie auch eine Entschädigung erhalten könnte Herr G.=R. Dr. Angermann bemerkt auf die Aus führungen des Herrn G.=R. Lintl, dass er derselben Anschauung sei, wie Herr G.=R. Stigler, dass man den früheren Gemeinde vertretungen von Steyr durchaus keinen Vorwurf machen könne weil sie in besseren Zeiten die Gemeindeumlagen nicht erhöht haben So lange eine Gemeinde=Verwaltung mit den ordentlichen Einnahmen ihr Auslangen findet, wird dieselbe keine Erhöhung er Abgaben einführen. Das ist doch überall der Fall, und nur wenn das Auslangen nicht mehr gefunden wird, oder ganz be¬ onders wichtige Actionen durchgeführt werden sollen, wozu die Einnahmen der Gemeinde nicht hinreichen, wird die Erhöhung

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