Zwei Jahre Dollfuß - Zum 20. Mai 1934

,, Jeder Deutsche wird diese Ereignisse nur tief beklagens– wert finden, zu bewundern ist dabei gar nichts als etwa die erstaunliche Dreistigkeit, womit das, was die Zer– reißung Deutschlands war und tatsächlich nur eine Ver– gröflerung der preufüschen Sondermacht bewirkte, für eine Einigung und deutsche Nationalpolitik ausgegeben wird! Wie desgleichen die nicht minder erstaunliche Geistesbe– schränktheit, die durch einige gewonnene Schlachten den tausendjährigen Zug der deutschen Entwicklung auf ein– mal in eine andere Richtung gebracht zu haben vermeint und sich an ihren momentanen Erfolgen vergnügt, ohne die zahllosen Gefahren zu bemerken, die dadurch hervorge– rufen wurden." Unter Preuflens Führung stieg naturgemäfl der Ein– flufl des preuflisch-absolutistischen Staatsgedankens auf die anderen deutschen Länder, die nivellierenden zivilisa– torischen Tendenzen verstärkten sich, wodurch die Ent– wicklung der Sozialdemokratie auflerordentlich gefördert wurde. In der Atmosphäre des Kantschen Vernunftstaates und seines „Zuchtmeisters", im Schatten der preufüsch– absoluten Staatsidee - denn Preuflen galt nur denen als konservativ, die konservativ mit absolutistisch verwechseln - fand sie äuflerst günstige Lebensbedingungen, weil ihr die allgemeine rationalistisch-organisatorische Einstellung entgegenkam; in keinem anderen Staate fanden die staats– sozialistischen Ideen so aufnahmsfähigen Boden, und das erklärt auch die sonst befremdliche Tatsache, dafl die so– zialdemokratische Partei im Deutschen Reiche stetig an Anhängern wuchs, trotzdem die Lebensbedingungen des Arbeiters weitaus bessere waren als in anderen Ländern; ebenso begreiflich ist es aber, dafl dadurch auch das An– wachsen der Sozialdemokratie in der Umgebung des Deut– schen Reiches gefördert wurde. - Je stärker sich die me– chanistisch-zentralistische Tendenz in der Entwicklung des Deutschen Reiches ausprägte, desto staatsfrommer wurden auch die Sozialdemokraten. ,,Lallt den Staat in Ruhe," - 16