Politische Wochenschau, Nr. 1 bis Nr. 9, Steyr 1848

4 der Ungarn mit den Kroaten schlichten zu lassen, erhielt heute den Oberbefehl und unumschränkte Vollmacht, um in seiner eigenen Sache Richter zu sein! Der Kaiser wirft sich oder wird in die Arme des eigenmäch¬ tigen Panslavisten Jellachich geworfen und hätte noch so viele deutsche treue Männer, die ihn noch nie verlassen haben? Womit haben sie diese Schmach, diese Kränkung und Schwächung des kaiserlichen Ansehens, diese Umwölkung des Thrones, den sie um den Preis einer vernünftigen Freiheit im alten Glanze zu erhalten fest entschlossen waren, verdient! Findet unsere Dynastie in den Kreisen deutscher Männer kein Heil mehr? Das Merkwürdigste im ganzen Reseripte bleibt der Schluß: „Wie sofort die Einheit der Wahrung und Leitung der gemeinsamen Interessen der Gesammtmonarchie auf bleibende Weise hergestellt, die gleiche Berechtigung aller Nationalitäten für immer gewährleistet, und auf dieser Grundlage die Wechselbeziehungen aller unter Unserer Krone vereinigten Völker und Länder geordnet werden sollen, wird das Geeignete mit Zuziehung von Vertretern aller Theile berathen und im gesetzlichen Wege festgestellt werden.“ Man scheint somit im Sinne zu haben dem Reichs¬ tage in Wien das Geschäft der Konstitution der nicht unga¬ rischen Länder, das Einzige, wozu er bevollmächtigt war, abzunehmen, und noch im Widerspruche mit dem gestrigen Manifeste das den Italienern eine eigene Konstitutante zu¬ sicherte, eine ganzneue Reichsversammlung aus Vertretern aller Länder der Monarchie zusammenzube¬ rufen, welche die Versprechungen der März= und Maitage in einer — wir wollen sagen nachmärzlichen Weise realisiren soll. So viel ist gewiß, der Kaiser hat schlechte Rathgeber an seiner Seite. Was macht denn unser Völkerrath: der Reichstag? Als einst im Nationalkonvent der kluge Abbé Maury aufwarf, die Versammlung habe längst ihre Vollmachten überschritten und müsse sich jetzt auflösen, rief Mirabeau: „Ich schwöre, die Versammlung hat das Va¬ terland gerettet und sie wird bleiben, bis sie alle Werke die sie in Angriff nahm, vollendet hat.“ Und sie blieb Auch ich habe oft zum Reichstage gesprochen wie der Abbe Maury — kein Mirabeau hat mir geantwortet. Zwar käme der Reichstag spät — doch heute ist der Tag, wo er das Vaterland und die Dynastie retten kann — und wir möchten beide glücklich sehen. Jetzt verlange der Reichs¬ tag Offenheit vom Kabinete, die Suspendirung Jellachichs und eine Pacificirungs=Commission in Wien und Alles wird glücklich enden. Solange aber die Camarilla Heere befehligt, die so nahe an der Leitha stehen, ist nirgends Beruhigung, Vertrauen und Friede zu hoffen. Wer von uns weiß es, wo des Hofes schwan¬ kende Politik der Vorwärtsbewegung Jellachichs ein Ziel stecken wird; wer weiß wie weit es ihm selbst gefällt zu gehen. Ein Schritt über die Leitha und der Feldzug gegen Deutschlands junge Freiheit ist in sein zweites Stadium eingerückt. Dann wird, dann muß sich Deutschland er¬ heben, die deutschen Brüder in Oesterreich zu schützen, wie es die Brüder in Schleswig=Holstein geschützt hat. Dann wird der Tag erscheinen an dem Jene, die unsere Kraft verachteten, erkennen werden, wie stark wir sind! Aler. Jul. Schindler. Eine Stimme aus Ungarn über Ungarn. Immer bunter, immer toller dreht sich der Wirbel der Zeitbewegung, immer unentwirrbarer werden die sich durch¬ kreuzenden Fäden derselben, immer drohender die Zukunft eines neuen Faustrechts, in welcher die Fäuste, Knittel, Sensen und Bajonnete der verschiedenen Partheien die Hebel sein werden, mit denen die Welt bewegt wird. In Frank¬ furt hat man den Satz: hinter der Minorität des Parla¬ ments stehe die Majorität des Volkes bis zu den Barri¬ kaden, Kanonaden und zur schändlichen Ermordung von Volksrepräsentanten blutig kommandirt, in Wien gährt es bedenklich, Radicalismus und Reaktion rüsten sich zu ent¬ scheidendem Kampfe. In Ungarn tobt der Bürgerkrieg, in Italien lodert das nur mit Asche bedeckte Feuer unter ihr fort, Berlin, Süddeutschland, Frankreich, Irland und das westliche England, Spanien, selbst Rußland fühlen vulka¬ nisches Dröhnen unter ihrem Boden! Unter oberhalb des¬ selben? —? Intra Iliacos muros peccatum et extra! Beide oder alle Partheien fehlen, lügen, vergreifen sich, verderben sich ihre Gegenwart, ihre Zukunft u. s. w. Ich will den geehrten Lesern hier Fragmente aus einem Briefe mittheilen den ich vor wenigen Tagen aus Ofen erhalten habe. Hier sind die Fragmente: Ofen am 23. September. „Freund! ich bin Europamüde! So viel Niederträch¬ tigkeit auf der einen, so viel Selbstverkennung, so viel Thorheit, Uebermuth, Verkehrtheit und Erbärmlichkeit auf der andern Seite verleiden Einem die Lust zu all dem Ding! Und die Massen!! gedankenlos und wetterwendisch wie immer, sind sie willenlose Werkzeuge abwechselnd in der Hand eines Schurken, eines ehrgeizigen Phantasten oder großmauligen Thoren. Alles regiert Alles politisirt, Alles wühlt, Alles macht Parthei, nur die Besonnenheit und einfache Ehrlichkeit findet keinen Anwerth. Wie kann es Einen unter solchen Umständen freuen Mensch zu sein! Mich widert die Politik an ——. Ich hatte bisher nicht begreifen können, daß ein Mann wie Goethe, mitten in der großen politischen Bewegung seiner Zeit keinen Antheil an derselben nahm. Jetzt kann ich mir's erklären. Ueber Ungarns Lage schreibt derselbe Freund folgende bemerkenswerthe Worte: „Neuigkeiten von hier gäbe es zwar eine Menge zu schreiben. Allein ich müßte jedes einzelne Blatt der Wienerzeitung und der allg. österreich. Zeitung widerlegen um dir eingetreues Bild unserer Zustände zu machen. Es ist unerhört, zu welchen Mitteln man greift, um uns die Sympathieen der Oesterreicher zu entziehen. Und leider gingen wir mitunter selbst in die Falle und das niederträchtige Komplott gelang besser, als es die Urheber vielleicht selbst geahnt. Doch sie werden nicht Waizen ernten, wo sie Unkraut gesäet haben. Wir werden viel¬ leicht untergehen doch auf unserm Grabe werden nicht sie die Siegesfahne pflanzen. Furchtbar kommt das Ungewitter von Osten, Süden und Norden. Jellachich, Gaj, Hurban, Kollär, Najacic, Wucie, u. s. f. dürften, im Falle sie siegen, ganz andere Dinge verlangen, als daß das ungarische Kriegs=, Finanz= und Handels=Mi¬ nisterium im Wiener=Ministerio aufgehen soll!“ P. W. Bermmwerlicher Aodetur Aler. Jul. Schindter; Mindaesenr F. 25. Arminge Druck und Verlag von Haas in Steyr.

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