Politische Wochenschau, Nr. 1 bis Nr. 9, Steyr 1848

Nro. Politische Wochenschau der zwanglosen Blätter. Steyr den 4. November 1848. Deutschland. Frankfurt. Die Centralgewalt befestigt sich mehr und mehr. Preußen hat sein ganzes Heer zur Verfügung gestellt, und Bayern hat bereits seine volle Uebereinstim¬ mung dazu gegeben, daß die Vertretung jedes einzelnen Staates im Auslande an die Gesandten der Centralge¬ walt übertragen werde. New=York hat 9300 Gulden für die Familien der in den Befreiungskämpfen zu Berlin und Wien Gebliebenen oder Verwundeten eingeschikt; es wurde beschlossen den Ge¬ meindebehörden der genannten Städte je zur Hälfte die Summe zur Verfügung zu stellen. Am 27. Oktober hat die Reichsversammlung in Be¬ zug auf die österreichische Frage entschieden. Die §. 2 und 3 sind einfach angenommen. Die Reichsversammlung hat ihre Schuldigkeit gethan, und wenn Oesterreich gleich¬ falls seine Schuldigkeit thut, so sind wir über alle Schwie¬ rigkeiten hinaus, so haben wir reine Verhältnisse und einen ebenen Boden für den Neubau der Verfassung ge¬ wonnen. Daß es aber die Schuldigkeit Oesterreichs sei dem souveränen Ausspuche der Nationalversammlung sich zu fügen; das kann aber wohl nur der bezweifeln, wel¬ chem das aus der März=Revolution hervorgegangene Volks¬ recht ein Geheimniß ist, der keine Achtung hat vor den tieferliegenden Triebrädern und vor dem geschichtlichen Ziele der deutschen Bewegung. Deutsch=Oesterreich ist ein unzertrennlicher Theil des deutschen Staats¬ körpers schon kraft der alten Bundesakte, und es hat als solcher sein Gesetz aus der Paulskirche zu empfangen so gut wie der un¬ bedeutendste unserer Duodezstaaten. Erzherzog Stefan ist nach einem kurzen Aufenthalt in Frankfurt nach London abgereist. Preußen. Der Congreß deutscher Demokraten hat in Berlin am 26. Oktober seine Sitzungen begonnen. Die Zahl der aus allen Gegenden Deutschlands abgeordneten Demokraten beläuft sich bis jetzt auf 200. Ein Placat von der Volksausschußcommission ausgegeben, macht großes Aufsehen. Es beginnt: „Berlin muß sofort ver¬ proviantirt werden!“ Weiter heißt es: „Die Ereig¬ nisse Wiens haben eine Wendung genommen die uns für Berlin, für Preußen, für Deutschland alles fürchten und hoffen läßt. Und wie die Würfel in unserer deutschen Schwesterstadt auch fallen möchten, wir Berliner dürfen, ja wir müssen in jedem Moment auf ein Ereigniß gefaßt sein, welches den Belagerungszustand Berlins zu Folge hat. Denn siegt in Wien die Parthei des Volkes, so kann es nicht fehlen, daß auch Berlin sich zum letzten Kampfe gegen die Reaction erhebt; siegt in Wien aber die Parthei des Kaisers, so wird dieß unserer Reaction den Muth geben den längst vorbereiteten Staatsstreich auszuführen, woraus ebenfalls ein Kampf entspringen muß. In beiden Fällen werden wir mit einer Blokade, mit einer Belage¬ rung unserer Hauptstadt bedroht sein. Also „Verprovian¬ tirt Berlin!“ Frankreich. In Frankreich äußert sich gegenwärtig merkwürdig und auffallend Indifferenz und Apathie gegen alle aus¬ wärtigen Zustände. Ein großes, starkes Deutschland er¬ steht, ein Deutschland, mit dem einst nicht zu spaßen sein wird; Frankreich empfindet eine Art instinctmäßigen In¬ grimms darüber, begleitet seine Entwiklung mit den schlimm¬ sten Wünschen, thut aber weder etwas um seine Freund¬ schaft zu erwerben, noch etwas um seine Feindschaft nicht zu verdienen. Man liest wohl mit großem Interesse die „Wienerneuigkeiten“ aber eben wie ein spannendes, grasses Feuilleton von Eugen Sue, ohne dabei etwas zu denken, und von Tausenden fühlt kaum Einer die große welthisto¬ rische Bedeutung dieser Ereignisse. Italien — Polen? Man spricht gar nicht mehr davon, — aber wohl: „Wer wird Präsident?“ — Die Antwort auf diese Frage klingt sehr verschieden. Die Bourgeois sind monarchisch, sie wollen ihre Stimme Bugeaud=Monk geben; — das Landvolk und die Armee haben bonopartistische Instincte und rufen: Louis Napoleon! — die gemäßigten Republi¬ kaner wollen Cavaignacz — die historischen Republikaner Ledru=Rollin, und die socialistischen, Raspail; — es wird auch Leute geben die für Lamartine votiren. Wer wird Präsident? — Am 16. Dezember ist der Wahltag. Wir machen darauf aufmerksam. Dieser Tag ist ein ent¬ schiedener für Frankreich — sicher auch für uns. Italien. Oesterreichisches. Der Waffenstillstand wird nicht erneuert, sondern dauert von 8 zu 8 Tage, da er den Be¬ dingungen gemäß acht Tage vor der Wiedereröffnung der Feindseligkeiten aufgekündigt werden muß; die Minister bei den letzten Berathungen in der piemontesischen Kammer erklärten: Sie würden nicht aufkündigen, ohne die vermit¬ telnden Mächte hiervon zu benachrichtigen; Radetzky aber sagte: er werde nicht angreifen außer wenn er selbst an¬ gegriffen werde. Anderen Nachrichten zu Folge sollen sich sämmtliche österreichische Truppen gegen den Mincio hin

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